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Im Westen nichts Neues? Damit das deutsche Engagement für Frieden und Sicherheit überzeugend ist, muss die Bundesregierung die Spielregeln für die internationale Zusammenarbeit mit politischen Akteuren des Globalen Südens neu aushandeln.
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat bisherige Gewissheiten in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik erschüttert und einen Paradigmenwechsel eingeleitet. Was bedeutet diese Zeitenwende für die internationale Zusammenarbeit und für das deutsche Engagement für Krisenprävention und Peacebuilding? Dieser Beitrag führt Beobachtungen und Schlussfolgerungen aus einer Dialogreihe der Arbeitsgemeinschaft Frieden und Entwicklung (FriEnt) zusammen und greift Überlegungen aus der Diskussion rund um die Nationale Sicherheitsstrategie auf. Insbesondere die Auswirkungen für Frieden und menschliche Sicherheit in verschiedenen Weltregionen und globale Zusammenhänge in der Zusammenarbeit mit Partnerländern sind dabei ein zentrales Anliegen. Entscheidende Herausforderungen für den künftigen Kurs der deutschen Friedenspolitik liegen insbesondere in veränderten Interessen und Prioritäten sowie möglichen Zielkonflikten, die daraus entstehen können:
In allen Bereichen zeigt der aktuelle Diskurs über die Folgen der Zeitenwende offene Fragen und Spannungsfelder auf. Diese verdeutlichen, dass die Navigationspunkte für den politischen Kurswechsel noch nicht abschließend bestimmt sind: Aus den Beiträgen und Erkenntnissen der FriEnt-Dialogreihe erschließen sich dazu einige Referenzpunkte, die Anforderungen und Klärungsbedarfe für die Friedens- und Sicherheitspolitik im Zuge der Zeitenwende beschreiben.
Demokratie ist keine Voraussetzung für Kooperation – aber Werte wiegen schwerer als Interessen: Globale Risiken und Herausforderungen für Frieden und menschliche Sicherheit, allen voran die Klimakrise, verlangen eine umfassende Zusammenarbeit jenseits politischer Konfliktlinien zwischen Autokratien und Demokratien. Das macht Grundwerte wie die Achtung der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit jedoch nicht verhandelbar. Diese Werte bleiben ein Kernprinzip für jedes Politikhandeln – unabhängig von staatlichen Zielen und Interessen oder vermeintlich ‚unpolitischer‘ Kooperationsfelder.
Glaubwürdigkeit, Führung und Verantwortung: Eine Führungsrolle in der Friedens- und Sicherheitspolitik verlangt Zuverlässigkeit in allen Bereichen und Politikfeldern. Das deutsche Engagement als einer der größten Geber für Peacebuilding gewinnt vor diesem Hintergrund an Bedeutung und setzt Maßstäbe in der globalen Zusammenarbeit für Frieden und Sicherheit. Das gilt umso mehr angesichts aktueller Entwicklungen in anderen europäischen Staaten mit einem Wiedererstarken nationalistischer und protektionistischer Kräfte.
Emanzipatorischer Anspruch und Systemwandel: Eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik verlangt Strukturen, die eine selbstbestimmte und gleichberechtigte Teilhabe aller Mitglieder einer Gesellschaft ermöglichen. Dazu gehört eine Umverteilung von Machtressourcen und gemeinsame Anstrengungen zur Überwindung von Ungleichheit – auf nationaler und internationaler Ebene sowie mit globalen und lokalen Partnern als eigenständige Akteure mit eigenen Interessen.
Interessenkonflikte und politische Dilemmata: Es gibt keine Patentlösung für den Umgang mit konkurrierenden Zielsetzungen und Prioritäten auf nationaler und internationaler Ebene. Politische Konfliktlinien, gegensätzliche Werte und Interessen müssen offen thematisiert werden und können in einen mehrdimensionalen Ansatz aus Kooperation und Konfrontation für unterschiedliche Bereiche und Handlungsfelder münden. Politische Akteure müssen dafür alle Möglichkeiten für eine verlässliche Zusammenarbeit in Fragen gemeinsamer Interessen ausloten – besonders mit Blick auf globale Risiken und Herausforderungen wie die Klimakrise sowie für eine regelbasierte internationale Ordnung – und Ansatzpunkte für die Förderung der Menschrechte und demokratischer Teilhabe nutzen.
Nationale Sicherheitsstrategie – Akteure, Strukturen und Prozesse: Die erste Nationale Sicherheitsstrategie für Deutschland muss relevante politische Vorgaben und Vereinbarungen wie die Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ der Bundesregierung aufgreifen, neue Handlungs- und Entscheidungsbedarfe adressieren sowie politische Ziele und Prioritäten an ein nationales und internationales Publikum vermitteln. Angesichts dieser Herausforderungen scheint es ratsam, für die internationale Dimension der Strategie gemeinsame Interessen für eine regelbasierte Ordnung in den Mittelpunkt zu stellen. Die Strategie sollte überzeugende Narrative liefern, die konkurrierenden Deutungsmustern, Ansprüchen und politischem Gaslighting durch autoritäre Regime und/oder antidemokratische Kräfte standhalten.
Wann wird die Grenze überschritten? Auch oder gerade das konsequente Einstehen für den Schutz der Menschenrechte und die Unterstützung der Zivilgesellschaft verlangt, die eigene Position zu hinterfragen und eine bevormundende Politik zu vermeiden, die nationale Initiativen für Frieden und Demokratie in den Partnerländern übergeht. Was bedeutet das für die politische Praxis? An welchen Kriterien und Bedingungen lässt sich festmachen, wo Kooperation möglich und wo Konfrontation notwendig ist? Angesichts zunehmender systemischer Rivalitäten, anti-westlicher Narrative und Vorwürfen gegen eine Doppelmoral mit unterschiedlichen Maßstäben im Umgang mit dem Globalen Süden sollten politische Entscheidungsträger:innen auch historische Faktoren im Blick haben, um den Eindruck einer einseitigen und eigennützigen Politik zu vermeiden. Dazu gehören der Kolonialismus und politische Einflussnahme durch die Instrumentalisierung von Unterstützungsleistungen in der Zeit des Kalten Krieges. Diesen Anspruch in konkretes Politikhandeln zu übersetzen, ist jedoch eine besondere Herausforderung – wie an den Aushandlungsprozessen um politische Maßnahmen in Reaktion auf die Klimakrise, besonders mit Blick auf Kompensationsleistungen für Entwicklungsländer, erkennbar wird.
Handlungsfähigkeit und Eigenverantwortung: Auch das politische Bekenntnis für eine gleichberechtigte Teilhabe aller Akteure an internationalen Governance- und Entscheidungsprozessen für Frieden und Sicherheit mit entsprechenden Reformen und Systemveränderungen – auf allen Handlungsebenen – wurde in der Praxis bislang kaum umgesetzt. Die internationale Friedens- und Sicherheitsarchitektur der Gegenwart spiegelt politische Verhältnisse der Vergangenheit wieder und wird den aktuellen Herausforderungen aufgrund politischer Blockaden und ungleicher Machtverhältnisse nicht gerecht. Politische Entscheidungsträger:innen aus westlichen und transatlantischen Kooperationsstrukturen täten gut daran, staatliche und nichtstaatliche Akteure aus dem Globalen Süden als selbstbestimmte und gleichberechtigte Partner für Dialog und Zusammenarbeit anzuerkennen. Dazu gehört auch eine kritische Reflexion außen- und entwicklungspolitischer Ansätze und Instrumente.
Es ist kompliziert: Die aktuellen globalen Entwicklungen und die politische Dynamik verlangen eine klare Haltung der Bundesregierung und ein entschiedenes Eintreten für Krisenprävention und Friedensförderung. Die Beiträge und Erfolge der Entwicklungszusammenarbeit und der zivilen Konfliktbearbeitung für Frieden und Sicherheit sind meist jedoch weniger sichtbar als diplomatische, wirtschaftliche und militärische Instrumente – insbesondere im Hinblick auf lokale Ansätze und Erfahrungen für Peacebuilding. Weil sich Entwicklungszusammenarbeit auf strukturelle Konfliktursachen und langfristige Transformationsprozesse richtet, sind diese friedensfördernden Beiträge häufig schwerer zu vermitteln. „Es ist komplex und kompliziert“ ist als Antwort auf die aktuellen Herausforderungen für die Friedens- und Entwicklungspolitik jedoch wenig hilfreich. Lokale und internationale Friedensakteure müssen geeignete Strategien für den politischen Diskurs entwickeln – mit klaren Botschaften und überzeugenden Narrativen, um den Mehrwert der zivilen Konfliktbearbeitung anschaulich zu vermitteln.
Zusammenfassend ergeben sich aus den Ergebnissen der FriEnt Dialogreihe einige Navigationspunkte für den künftigen Kurs der deutschen Friedenspolitik.
Zur Politikgestaltung unter veränderten Bedingungen und neuen (globalen) Herausforderungen für Frieden und menschliche Sicherheit: Die Auswirkungen der Zeitenwende erfordern eine kohärente Politik, die verschiedene Bereiche und Handlungsfelder verknüpft und den wechselnden Anforderungen für Kooperation und Regierungshandeln gerecht wird. Mit Blick auf die Defizite des internationalen Systems für Frieden und Sicherheit – wie Machtungleichgewichte, politische Blockaden und mangelnde Beteiligungsmöglichkeiten für Akteure aus dem Globalen Süden – gilt es, alternative Wege für eine gleichberechtigte Teilhabe an internationalen Governance- und Entscheidungsprozessen zu erschließen. Um das zu erreichen, sind besonders westliche Regierungsakteure wie die Bundesregierung dazu aufgerufen, verstärkt Wahrnehmungen und Einschätzungen außerhalb Europas in den politischen Dialog zu integrieren und sektorübergreifende Ansätze für eine mehrdimensionale Friedenspolitik über Akteursgruppen und Handlungsfelder hinweg zu befördern.
Zu Kooperationen und Partnerschaften jenseits von Staaten und Regierungen: Der Erfolg von Friedensbemühungen hängt auch entscheidend davon ab, dass die Zivilgesellschaft aktiv daran beteiligt ist. Menschliche Sicherheit und gute Regierungsführung sind ohne Einbindung der Zivilgesellschaft nicht möglich – das gilt für den Schutz vor Diskriminierung und Ausgrenzung sowie insbesondere für die politische Rechenschaftslegung. Ansätze, die den Schutz und die Sicherheit aller Menschen in den Mittelpunkt stellen und verschiedene Akteursgruppen einbinden, sind somit besonders geeignet, um gesellschaftliche Friedenspotenziale und Resilienz – auch gegen extremistische Tendenzen – zu stärken. In fragilen und komplexen Krisenkontexten ist ein starker Fokus auf menschliche Sicherheit somit unverzichtbar.
Zu Kontroversen um Doppelstandards und zur Gewichtung von Werten und Interessen: Im Hinblick auf die zunehmende Konkurrenz zwischen demokratisch und autokratisch regierten Staaten lässt sich ein inklusives und am Schutz der Menschenrechte orientiertes Politikhandeln nur durchsetzen, wenn politische Entscheidungsträger:innen ihre Verpflichtungen wahrnehmen und konsequent danach handeln. Das gilt für politische Inhalte und ihre Umsetzung gleichermaßen. Als Grundvoraussetzung für ein glaubwürdiges und verantwortliches Regierungshandeln müssen Zielkonflikte und konkurrierende Schwerpunkte in unterschiedlichen Politikfeldern adressiert und transparent gelöst werden. Folglich trägt ein konsequentes Bekenntnis zu Grundwerten wie Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit auch entscheidend dazu bei, welche Überzeugungskraft politische Botschaften entfalten können.
Westliche Regierungen müssen politischen Akteure aus dem Globalen Süden dafür attraktive Angebote machen, die sich an ihren Interessen und Prioritäten ausrichten sowie an gemeinsamen Zielen für die Bewältigung globaler Herausforderungen für Frieden und Sicherheit. Ein Beispiel dafür sind die Partnerschaften für eine gerechte Energiewende (Just Energy Transition Partnerships), die das Entwicklungsministerium unterstützt.So lassen sich auch Bekenntnisse zu Solidarität und Partnerschaft und das politische Engagement für globale Gerechtigkeit, den Schutz der Menschenrechte und nachhaltige Entwicklung verstärken – und damit für die Kernanliegen der globalen Agenda für Friedensförderung und menschliche Sicherheit.
Eine längere Fassung dieses Beitrags ist ursprünglich als FriEnt Policy Brief(2.2023) sowie gekürzt im Blog 49security erschienen.
Dr. Tanja Kasten ist Vertreterin des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) bei FriEnt. Annette Schlicht ist Referentin für Migration und Entwicklung bei der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Die im Artikel zum Ausdruck gebrachten Meinungen und Äußerungen der Gastautorin spiegelt nicht die Haltung der Redaktion oder der Friedrich-Ebert-Stiftung wieder.
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Dr. Dietmar MolthagenMolthadg(at)fes.de
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