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An die Arbeit!

Im Interview analysiert Claudia Detsch den Arbeitsmarkt in der Klimawende. Klar ist: Die Jobs gehören ins Rampenlicht.

Alexander Bodenstab führte das Interview.


Vom Jobkahlschlag bis zum Jobwunder – über die Auswirkungen des klimaneutralen Umbaus der Wirtschaft gab und gibt es sehr unterschiedliche Prognosen. Claudia, ihr habt euch damit im Kompetenzzentrum Klima und soziale Gerechtigkeit in eurer Studie Auf die Jobs kommt es an näher beschäftigt. Was gilt denn nun? Anlass zur Panik oder Anlass zur Euphorie?

Mit Blick auf die nüchternen Zahlen kann man auch hier ganz nüchtern bleiben; also weder Panik noch Euphorie. Wir haben uns Studien und Hochrechnungen zur Entwicklung des europäischen Arbeitsmarkts angeschaut und größtenteils gehen diese von einer leicht positiven Bilanz aus, also einem moderaten Stellenzuwachs. Und ganz ehrlich – mit einem Jobwunder wären wir unter Umständen sogar überfordert. Denn der Fachkräftemangel ist ein Problem in ganz Europa, das ist ein Ergebnis des zweiten Teils unserer Studie, in der wir Gewerkschafter_innen und Arbeitsmarktexpert_innen befragt haben.
 

Dann kann man mit Blick auf den europäischen Arbeitsmarkt in dieser Phase des Umbruchs und der Modernisierung also ganz ruhig bleiben?

Keineswegs! Denn es gibt zahlreiche Baustellen, an die wir dringend ranmüssen. Wohl und Wehe des wirtschaftlichen Erfolges und des Wohlstands in Europa hängen ganz entscheidend von den Fachkräften ab. Auf sie kommt es weiterhin an - in einer wirtschafts- und industriepolitisch so entscheidenden Phase wie der aktuellen umso mehr.
 

Worauf müssen wir uns denn vorbereiten bzw. worauf sind wir bisher nicht ausreichend vorbereitet?

Der klimaneutrale Umbau der Wirtschaft ist mit einem großen Innovations- und Modernisierungsschub verbunden. Damit verändern sich entsprechend auch viele Jobprofile. Einige wenige Jobs werden wegfallen; hier braucht es Angebote der Weiterqualifizierung sowie attraktive Alternativen für die betroffenen Arbeiterinnen und Arbeiter. Auch gänzlich neue „grüne“ Jobs entstehen; hier braucht es entsprechend zeitgemäße Curricula und eine enge Kooperation zwischen Bildungseinrichtungen, Wirtschaft, Gewerkschaften und staatlichen Akteuren. Bei vielen Jobs aber verändern sich schlicht Tätigkeiten und damit auch ihre Anforderungen; ihr ökologischer Anteil wächst, könnte man sagen. Mehr Öko bedeutet etwa häufig mehr Digitalisierung.
 

In den zahlreichen Gesprächen, die ihr geführt habt – welche Themen waren da am drängendsten?

Die mangelnde Planungssicherheit rund um den Umbau und die nötigen Investitionen. Denn mangelnde Planungssicherheit ist natürlich auch schlecht für den Arbeitsmarkt. Wer bewirbt sich bei einem Unternehmen, wenn unklar ist, ob am heimischen Standort auch künftig noch produziert wird? Und welches Unternehmen investiert in die Weiterbildungen seiner Belegschaft bei solcher Unklarheit? Ohne klaren Kurs bleiben Investitionen aus, Europa fällt zurück.
 

Wie wichtig ist dafür ein europaweit koordiniertes Vorgehen?

Enorm wichtig. Es braucht diesestärkere europaweite Koordinierung, um den Übergang in eine klimaneutrale Wirtschaft zu steuern und europäische Netzwerke für regionale wettbewerbsfähige Lieferketten in sensiblen Bereichen zu schaffen. Ansonsten droht Konkurrenz statt Kooperation; knappe Mittel könnten verschwendet werden und wir verfehlen die nötigen Skaleneffekte - das nutzt nur den außereuropäischen Mitbewerbern.
 

Ihr habt eure Interviews in zahlreichen europäischen Ländern geführt. Du hattest schon gesagt, dass der Fachkräftemangel alle umtreibt. Gibt es weitere Gemeinsamkeiten?

Die Sorge vor Kannibalisierung im Wettbewerb um Arbeitskräfte wird häufig geäußert, und dies gleich mehrfach: im Sinne des Braindrains zwischen Ländern und Regionen, von Ost nach West und Nord; zwischen ländlichen Gebieten und urbanen Zentren; zwischen KMU und internationalen Konzernen.
 

Und was lässt sich gegen den geschilderten Fachkräftemangel tun?

Es braucht mehr Frauen in diesen Jobs. Weibliche Beschäftigte sind im Energie- und Clean Tech-Sektor unterrepräsentiert. Das Umfeld für Arbeitnehmerinnen muss attraktiver gestaltet werden. Zudem braucht es positive Vorbilder. Stereotype Berufsmuster erweisen sich bislang als erstaunlich resistent.

Von vielen Gewerkschaften wird ein Mangel an Strategien für Langzeitarbeitslose beklagt. Sie drängen darauf, dass den Betroffenen deutlich bessere Qualifizierungsangebote unterbreitet werden müssen, um sie in den Arbeitsmarkt zu integrieren und den Fachkräftemangel nicht allein durch Zuzug zu lösen.

Künftig wird es nicht mehr reichen, nur die ohnehin Überzeugten für Weiterbildungen und Qualifizierungen anzusprechen oder – wie bisher – die bereits Gutqualifizierten zu gewinnen. Wir müssen in die Breite kommen. Es gibt vielversprechende Pilotprojekte, die wir in der Studie vorstellen. Aber wir brauchen künftig ganz andere Dimensionen. Auch wichtig: Ausbildungsberufe müssen wieder attraktiver werden. Dies gilt für Bezahlung, Arbeitsbedingungen und besonders in Bezug auf gesellschaftliche Werte und Image.

Eine stärkere Verknüpfung des öffentlichen Beschaffungswesens mit der Einhaltung hoher sozialer Standards sowie von sozialem Dialog, Tarifautonomie und Tarifbindung ist ein starker, bislang nicht ausreichend genutzter Hebel. Dies gilt auch und gerade für bisher gewerkschaftskritischere Branchen im Clean Tech-Bereich. Davon haben die Unternehmen auch etwas. In Zeiten des Fachkräftemangels können sie damit attraktiver für Fachkräfte werden.
 

Das ist ein ganzer Strauß an Forderungen…

Es ist ja auch ein ganzer Strauß an Herausforderungen, der vor uns liegt! Die ökologisch-industrielle Modernisierung muss zum Mainstream werden, auch in der Arbeitsmarktpolitik.

 


 

Claudia Detsch leitet das FES-Kompetenzzentrum für Klima und Soziale Gerechtigkeit mit Sitz in Brüssel.

 

Alexander Bodenstab ist Regional Communications Manager der FES für Europa mit Sitz in Brüssel.


Detsch, Claudia

Auf die Jobs kommt es an

In Arbeitskräfte und Kompetenzen investieren für eine starke klimaneutrale Wirtschaft in Europa
Brussels, 2023

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