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Lucia Montanaro von Saferworld legt in einer neuen FES-Analyse dar, warum der Trend zur Versicherheitlichung der EU-Außenpolitik kritisch zu sehen ist.
Staatsstreiche, Konflikte und Instabilität haben in der Sahelzone zugenommen, ohne dass die eigentlichen Ursachen der Unsicherheit angegangen wurden. In dem von Lucia Montanaro, der Leiterin von Saferworld Europe, verfassten Analysepapier „Insecurity in the Sahel: Rethinking Europe's response“ (Unsicherheit in der Sahelzone: Die Reaktionen Europas überdenken) wird der Trend zur Versicherheitlichung der EU-Außenpolitik skizziert und dargelegt, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten dringend Überlegungen anstellen müssen, wie ihr Vorgehen angepasst und den aus Afghanistan und anderen Ländern gezogenen Lehren Rechnung getragen werden kann.
Mit Blick auf die aktuellen geopolitischen Verwerfungen und deren Auswirkungen auf die europäische Außenpolitik erklärt die Autorin, warum sie befürchtet, dass die Zivilbevölkerung wieder einmal zwischen die internationalen Fronten gerät. Annette Schlicht stellte die Fragen.
Sie begrüßen die EU-Strategie 2021 für die Sahelzone als Gelegenheit, sich wieder auf eine auf die Menschen ausgerichtete Strategie zu konzentrieren, die die Ursachen der Unsicherheit bekämpft. Außerdem formulieren Sie Empfehlungen, die von der EU in Betracht gezogen werden sollen. Welche müssten angesichts der wachsenden physischen und wirtschaftlichen Unsicherheit in der Region am dringendsten umgesetzt werden?
Angesichts der überarbeiteten Sahel-Strategie der EU, in der ein ziviler und politischer Aufbruch gefordert wird, ist es als Grundlage für eine friedensorientierte Antwort von maßgeblicher Bedeutung, dass eine Verlagerung von staatszentrierter Stabilisierung hin zu mehr zivilgesellschaftlichem und gemeinschaftlichem Engagement erfolgt und dabei auch von Frauen geführte Organisationen eingebunden werden. Es ist notwendig, die längerfristigen strukturellen Ursachen der Unsicherheit anzugehen. Dazu gehören gravierende Ungleichheiten, eine schwache und korrupte Regierungsführung, Gewalt gegen Zivilpersonen, Straflosigkeit, Kriminalität, geschlechtsspezifische Gewalt, Konflikte zwischen Bauern und Hirten, Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, Binnenvertreibungen, Umweltgefährdungen, Ernährungs- und Wasserversorgungssicherheit, die Bewältigung des raschen Bevölkerungswachstums, schlechter Zugang zu Erwerbsmöglichkeiten sowie zu Gesundheit und Bildung.
Die EU sollte der menschlichen Sicherheit Vorrang einräumen und bei all ihren Initiativen eine konfliktgerechte und Geschlechtergerechtigkeit fördernde Sichtweise anwenden. Außerdem sollte die Sicherheitshilfe die Sicherheitsbedürfnisse der Menschen, ihre Anforderungen an Recht und Gerechtigkeit und den Schutz der Zivilbevölkerung in den Fokus rücken, wodurch die demokratische Kontrolle des Sicherheitssektors gestärkt und Vertrauen zwischen den Sicherheits- bzw. Streitkräften und der Zivilbevölkerung aufgebaut würde.
Letztlich ist es wichtig, dass Schutzmaßnahmen, Überwachung, Evaluierung und Rechenschaftspflicht gestärkt werden.
Angesichts des Krieges in der Ukraine beschloss die EU am 28. Februar 2022 zum ersten Mal in der Geschichte, einem Drittland letales Gerät bereitzustellen, indem sie die Europäische Friedensfazilität (EFF) mobilisierte. Ist dies ein weiterer Schritt in Richtung einer Versicherheitlichung des auswärtigen Handelns der EU oder beweist es vielmehr, dass die EFF als flexibles Instrument in verschiedenen Krisensituationen eingesetzt werden kann? Hat diese Entscheidung Auswirkungen sowohl auf Deutschland als auch auf die Situation in der Sahelzone?
Die Entscheidung des Rates, 1 Milliarde Euro zur Ertüchtigung der ukrainischen Streitkräfte bereitzustellen, bedeutet in Verbindung mit dem kürzlich verabschiedeten Strategischen Kompass der EU und der massiven Aufstockung der Verteidigungshaushalte Deutschlands und anderer EU-Mitgliedstaaten definitiv eine Konsolidierung der europäischen Versicherheitlichung. Es handelt sich um eine historische Weichenstellung, die den Trend zur Versicherheitlichung der Außenpolitik noch beschleunigt. Deutschland wird nach den USA und China bald zur drittgrößten Verteidigungsmacht der Welt aufgestiegen sein. Deutschlands Beweggründe für die Versicherheitlichung waren in erster Linie sein Streben nach einer stärkeren globalen Rolle, die Eindämmung der Migration und die Territorialverteidigung sowie geopolitische Einflussnahme. Es wurde jedoch in das von Frankreich angeführte europäische Paradigma der Terrorismusbekämpfung hineingezogen. Nun stellt sich die Frage, was Deutschland mit dieser Dreifachkombination aus großer politischer, wirtschaftlicher und verteidigungspolitischer Macht tun wird?
Werden die EU und Deutschland angesichts der katastrophalen Ergebnisse in der Sahelzone (wo sich die Gewalt gegen die Zivilbevölkerung in den G5-Sahel-Ländern verzehnfacht hat) kritisch Bilanz ziehen, um endlich ihre Reaktion zu überdenken und neu zu justieren? Werden sie die Fehlschläge bei der Sicherheitshilfe in Afghanistan, Somalia, im Jemen, im Irak und in der Sahelzone untersuchen, um die weitreichenderen und längerfristigen Auswirkungen zu überdenken? Sicherheit ist kein linearer Prozess und Maßnahmen, bei denen einzig die Sicherheit an erster Stelle steht, wie das in der Sahelzone der Fall ist, bergen das Risiko einer Ausuferung der Gewalt gegen die Zivilbevölkerung. Letzten Endes läuft man Gefahr, sich am Leid mitschuldig zu machen, indem man Sicherheitskräfte ausbildet, ausrüstet und stärkt, die dann in einem Umfeld der Straflosigkeit operieren.
Es bleibt die Wahl zwischen einer Haltung strategischen Starrsinns, die weder zu Frieden noch Stabilität geführt hat (ganz im Gegenteil), oder einem Umdenken und einer Neuausrichtung der Maßnahmen auf Strategien, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen und die strukturellen Ursachen der Unsicherheit anpacken.
Sie führen das Zusammenwirken zwischen Frankreich und Deutschland als entscheidend für die Gestaltung der wachsenden Rolle der EU als globaler Sicherheitsakteur an. Die 2014 eingeleitete strategische Verschiebung hin zu einer stärkeren Rolle in der internationalen (militärischen) Sicherheit, die Sie für Deutschland beschreiben, wurde durch die jüngsten Entscheidungen, die Ausgaben für den Verteidigungshaushalt deutlich zu erhöhen, enorm beschleunigt. Wie kommt das bei den in Brüssel ansässigen zivilgesellschaftlichen Organisationen an, die sich im Bereich der Friedenskonsolidierung und Krisenverhütung engagieren?
Ich denke, wir sind von den Narrativen der Aufstandsbekämpfung zur Terrorismusbekämpfung übergegangen und dann zu dem, was wir jetzt haben: Die Geopolitik konkurrierender Blöcke, bei der die Zivilbevölkerung immer wieder zwischen die Fronten internationaler Absichten und Vorstellungen gerät. Zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen sowohl in Brüssel als auch weltweit zeigen sich besorgt über das Vorherrschen simplifizierter Sicherheitsreaktionen auf komplexe, mehrdimensionale Konflikte. Besorgt sind wir bei Saferworld zudem über die Kluft zwischen den Verpflichtungen der europäischen Politik (Reform des Sicherheitssektors, Frauen, Frieden und Sicherheit, Menschenrechte, Schutz der Zivilbevölkerung und die deutschen Leitlinien zur Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung) und der Realität der derzeitigen Praxis. Das Hauptaugenmerk auf die Schlagkraft der Streitkräfte statt auf die Umgestaltung der oft ausbeuterischen Sicherheitskräfte zu lenken, birgt die Gefahr, dass der Missbrauch von Zivilpersonen verschärft wird, anstatt zu Frieden und Sicherheit für die Bevölkerung beizutragen.
Montanaro, Lucia
Rethinking Europe's response / Lucia Montanaro ; Friedrich-Ebert-Stiftung [Division for International Cooperation, Global and European Policy]. - Bonn : Friedrich-Ebert-Stiftung e.V., March 2022. - 8 Seiten = 210 KB, PDF-File. - (Analysis). - (Peace and security)Electronic ed.: Bonn : FES, 2022ISBN 978-3-98628-096-3
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Eine zivilgesellschaftliche Koalition erhebt ihre Stimme und fordert besseren Schutz der Bevölkerung im Sahel.
Koordination Dr. Cäcilie Schildberg
Kontakt & Anmeldung Sergio Rakotozafygerechtigkeitswoche(at)fes.de
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