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Bilaterale Rückführungsabkommen werden die Zahl der Menschen, die aus afrikanischen Ländern auswandern wollen, nicht reduzieren.
Bild: Darfurians refugees in Eastern Chad von European Commission DG ECHO lizenziert unter CC BY-SA 2.0
Im Spätsommer 2015 flimmerten immer neue Bilder von Männern, Frauen und Kindern auf der Flucht über die deutschen und europäischen Bildschirme und rückten mit voller Wucht ins Zentrum der gesellschaftspolitischen Debatten. Nunmehr scheint die „Bilderflut“ seit der Schließung der Balkanroute deutlich gebremst. Auch in der europäischen Tagespolitik schaltet man langsam wieder um vom Krisenmodus in die kritische Nachlese. Tatsächlich jedoch legen aktuelle Zahlen der International Organisation for Migration (IOM) nahe, dass zwar die Anzahl der Migrant_innen, die in Europa ankommen, deutlich zurückgegangen ist: im Zeitraum von Januar bis September 2016 waren es nur noch knapp 300.000 im Vergleich zu über 500.000 im selben Zeitraum des Vorjahres. Die Zahl der zu beklagenden Toten hingegen ist mit 3.213 im selben Zeitraum im Vergleich zu 2.924 im Vorjahr sogar noch gestiegen.
Expert_innen sind sich einig darin, dass dies auf eine noch höhere Risikobereitschaft der Migrant_innen hindeutet, die auch mit gestiegenen Gewinnspannen für die kriminellen Anbieter einhergeht. „Fluchtursachenbekämpfung“, das vielbeschworene Schlagwort des vergangenen Jahres, sieht wohl anders aus. Zwar sind die enormen Fortschritte in der Flüchtlingsaufnahme, -unterbringung und -integration nach Anlaufschwierigkeiten mittlerweile zumindest in Deutschland offensichtlich. Doch der große politische Wurf, wie jenseits von Aktionismus und Abschottung eine wirklich tragfähige und nachhaltige Lösung aussehen könnte, fehlt weiterhin. „Geschafft“ hat Europa derzeit vor allem, die nach wie vor virulente Flucht- und Migrationsproblematik auszulagern und damit vorerst wieder stärker aus dem kollektiven Bewusstsein auszublenden - u.a. durch das Rückführungsabkommen mit der Türkei.
Einen besonderen Stellenwert nimmt dabei der afrikanische Kontinent ein, auch wenn derzeit weniger als 20 Prozent der in Europa ankommenden Migrant_innen aus Afrika stammt. Doch bei Bevölkerungswachstum, Jugendarbeitslosigkeit und prekären Beschäftigungsverhältnissen verzeichnet der Kontinent hohe Raten. Ein strategischer Dialog mit afrikanischen Ländern ist für Deutschland und Europa daher unerlässlich. Und zwar nicht etwa, weil „das zentrale Problem die Migration aus Afrika ist“ wie Bundeskanzlerin Merkel unlängst auf dem CDU-Wirtschaftstag Ende Juni bemerkte. Der Grund ist vielmehr, dass in vielen afrikanischen Staaten jetzt noch mit vereinter internationaler Unterstützung grundlegende Weichen für langfristige Entwicklung und Konsolidierung gestellt werden könnten – anders als beispielsweise in Syrien mit seiner extrem komplexen politischen Situation. Dies wäre durchaus auch im Eigeninteresse Europas als Nachbarkontinent, v. a. wenn nicht nur auf kurzfristige Migrationskontrolle abgezielt würde, sondern tatsächliche „Fluchtursachenbekämpfung“ erfolgen würde.
Der europäisch-afrikanische „Gipfel für Migration“ im maltesischen Valletta am 11./12. November 2015 hingegen war aus afrikanischer Sicht klar dominiert von der europäischen Seite. Seine Ergebnisse zielten auch eher auf europäische Wähler_innen ab. Der dort beschlossene EU-Treuhandfonds setzt neben Schutz- und Resilienzprogrammen für Geflüchtete vor allem auf Maßnahmen des Migrationsmanagements, so z. B. im Niger und am Horn von Afrika. Die Eindämmung und Bekämpfung irregulärer Migration setzt jedoch nur bei den Symptomen an und verlagert die Problematik lediglich, statt sie aufzulösen – dies betrifft auch die Vereinbarungen im Rahmen des Khartum-Prozesses seit 2014 für das Horn von Afrika und im Rahmen des Rabat-Prozesses seit 2008 für Zentral-, West- und Nordafrika.
Außerdem bleiben die Post-Valetta-Ansätze aus afrikanischer Sicht weit hinter dem zurück, was im Rahmen der Joint African-European Strategy (JAES) zu Mobilität und Migration verankert wurde. Insbesondere die nun geplanten Abkommen der EU mit Ländern wie Nigeria, Senegal, Mali, Äthiopien und Niger zur Rückführung irregulärer Migrant_innen und zur Zusammenarbeit bei der Eindämmung der Migrationsbewegungen in Richtung Europa gehen dabei genau den umgekehrten Weg: Sie setzen bilateral mit Zuckerbrot und Peitsche an, anstatt strukturellen Entwicklungshemmnissen mit multilateralen Ansätzen zu begegnen. Somit werden sie einen Keil zwischen afrikanische Nachbarländer treiben. Diese Strategie wird mittelfristig regionale Ansätze und Lösungen behindern - ähnlich den bilateralen Handelsabkommen der EU, die in mehreren afrikanischen Regionen eher zu einer Deintegration denn zu einer Verstärkung regionaler Wirtschaftsräume beitragen. Dieses Vorgehen entlässt außerdem Europa aus seiner Mitverantwortung, beispielsweise durch unfair gestaltete Handels- und Rohstoffpolitik.
Die politische Krise Europas nach „dem langen Sommer der Migration“ von 2015 hat somit den Weg geebnet für einen Schwenk weg von multilateralen hin zu bilateralen Ansätzen, was die eigene Politik zur Stärkung afrikanischer Institutionen eindeutig konterkariert. Abgesehen davon werden EU-Mittel zu Lasten der Entwicklungszusammenarbeit umgewidmet.
Es ist zu bedenken, dass reguläre Migration und Mobilität innerhalb Afrikas, aber auch nach Europa und darüber hinaus, durch persönliche und wirtschaftliche Verflechtungen in den Herkunfts-, Transit und Ankunftsländern eine erhebliche Rolle für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung nationaler und regionaler Wirtschaftsräume spielen. Besonders deutlich wird dies an den Rücküberweisungen, die die Beträge internationaler Entwicklungszusammenarbeit für Afrika pro Jahr um rund das Dreifache übersteigen.
Studien entlang der wichtigsten Migrationsrouten auf dem afrikanischen Kontinent belegen, dass diejenigen, die sich auf den langen, teuren und gefährlichen Weg machen, oft sehr gut über die Gefahren und Herausforderungen Bescheid wissen. Gesetzliche Einschränkungen und Kontrollen treiben daher lediglich die Kosten in die Höhe, führen aber nicht dazu, dass das Vorhaben abgeblasen wird. Die Transaktionskosten bringen die illegalen Wirtschaftszweige weiter zum Erblühen, statt in Form von Rücküberweisungen gezielt in Altersvorsoge und Bildung der eigenen Familie zu fließen. Allein für das Horn von Afrika wird der Jahresumsatz von Schleuser_innen auf mehrere Milliarden Euro geschätzt. Es muss zwangsläufig ein Tropfen auf den heißen Stein bleiben, wenn diesen enormen finanziellen Anreizen bilaterale Unterstützung zur besseren Grenzkontrolle entgegen gesetzt wird – insbesondere, wenn es kaum Alternativen legaler Einkommenserzielung gibt.
Beispiele für einen anderen Ansatz finden sich dabei in Afrika selbst. Nach langen Jahren einer stark auf Abschottung setzenden Anti-Migrationspolitik setzt beispielsweise Südafrika nunmehr verstärkt auf legale Möglichkeiten der Migration – und zwar aus politischen, aber auch aus wirtschaftlichen Motiven. Und auch von der ugandischen Integrationspolitik, die die Geflüchteten schnell und unbürokratisch mit einem Status versieht und ihnen Bodennutzung für den Eigenbedarf erlaubt, könnte Europa lernen. Doch dafür müsste es sich darauf einlassen, den unterschiedlichen und zweifelsohne nicht immer einfachen afrikanischen Gesprächspartner_innen wirklich zuzuhören, einen offenen strategischen Dialog zuzulassen, und nicht nur aus innenpolitischen Motiven heraus die kurzfristige Migrationskontrolle im Blick zu haben.
Um diese Themen geht es bei folgender Diskussionsveranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung mit Gästen aus Deutschland und Afrika:
Podiumsdiskussion „Jenseits von Aktionismus und Abschottung: Migration und Mobilität zwischen Afrika und Europa nachhaltig gestalten“ am Mittwoch, 28.9, ab 19 Uhr in der Friedrich-Ebert-Stiftung, Haus I, Hiroshimastr. 17, 10785 Berlin
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Koordination Dr. Cäcilie Schildberg
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