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Neue Herausforderungen für eine transformative feministische Politik. Ein FES W7-Blogbeitrag von Corina Rodríguez Enriquez (DAWN).
Staatliche Reaktionen auf die COVID-19-Krise sowie Ankündigungen für wirtschaftlichen Wiederaufbau haben gezeigt, welchen neuen Herausforderungen eine transformative feministische Agenda gegenübersteht. Das alte Austeritätsparadigma ist wieder fest in der nationalen Politik verankert; privatwirtschaftliche Unternehmen werden immer stärker an der Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen beteiligt (einschließlich Zugang zu Impfstoffen). Soziale Maßnahmen, die wesentlich für die Bekämpfung der Pandemie sind, wurden vermarktlicht und finanzialisiert. All das verschärft sozioökonomische und vergeschlechtlichte Ungleichheiten.
„Die ganze Wirtschaft im Blick“ zu behalten, hilft uns zu verstehen, welche Auswirkungen die Wirtschaftspolitik eines Staates auf seine Fähigkeiten zur Bekämpfung der Pandemie hat. Obwohl als Reaktion auf die Krise zahlreiche wirtschaftliche Entlastungsprogramme aufgelegt wurden (einschließlich der Mobilisierung von Ressourcen durch ungewöhnliche finanz- und geldpolitische Maßnahmen), sind Sparmaßnahmen in vielen Ländern nach wie vor das Mittel der Wahl. Durch Haushaltskürzungen wurden jedoch Handlungsräume beschnitten, die dringend nötig gewesen wären, um strukturelle Ungleichheiten nach Geschlecht, Klasse und Rassifizierung zu beheben, die sich während der Pandemie in einer ganzen Reihe von Bereichen noch verschärft haben – darunter Arbeitsmarktbeteiligung, Arbeitslosigkeit, Einkommen und Sorgelast. Kürzungen im Rahmen von Sparmaßnahmen wirken sich überproportional zu Lasten von Frauen aus, denn Frauen sind in den Wirtschaftssektoren, die am härtesten von der Krise getroffen wurden, überrepräsentiert. Dazu gehören insbesondere die informelle Wirtschaft, soziale und persönliche Dienstleistungen, der Tourismus und das Gastgewerbe. Als Ergebnis haben Sparmaßnahmen, die die wirtschaftliche Erholung insgesamt bedrohen, besonders nachteilige Auswirkungen auf Frauen und verschärfen gleichzeitig alte Ungleichheiten.
Diese Situation erinnert an frühere Krisen. Auf kurze Perioden steigender öffentlicher Ausgaben folgten immer wieder lange Jahre der Austerität (vgl. Ortiz/Cummins 2021). Der Druck, Sparmaßnahmen zu ergreifen, wird dadurch verstärkt, dass Haushaltslöcher in immer kürzeren Zyklen durch die Aufnahme immer neuer Schulden gestopft werden müssen. Die historische Erfahrung zeigt, welche sozialen und wirtschaftlichen Konsequenzen diese Dynamik hat: Die wirtschaftliche Erholung wird erschwert, und die Kosten werden ungleich verteilt. Makroökonomische Dynamiken, die sich aus den Dilemmata und der Instabilität hochverschuldeter Volkswirtschaften ergeben, schlagen sich durch zahlreiche Verwerfungen auf mikroökonomischer Ebene auch in den Privathaushalten nieder: Arbeitsplätze werden prekärer, Kaufkraft geht verloren (was sowohl für Arbeitseinkommen als auch für Einkommen aus sozialen Transferleistungen gilt), Zugang zu sozialen Gütern und Dienstleistungen wird erschwert, und die allgemeine soziale Infrastruktur verschlechtert sich.
Die fiskalische Belastung, unter der viele Länder des Globalen Südens stehen, hat wesentlich dazu beigetragen, dass große Unternehmen ihre Macht über wirtschaftliche Dynamiken innerhalb von Volkswirtschaften noch einmal ausbauen konnten. Es entsteht ein Teufelskreis: Fehlverhalten von Unternehmen erodiert öffentliche Finanzen, während geschwächte Staaten sich aus der Bereitstellung essenzieller öffentlicher Dienstleistungen zurückziehen. In diese Lücke stoßen dann transnationale Konzerne vor, die auf ihrer dominanten Marktposition aufbauen und in der Krise die Chance sehen, ihre Profite und ihre Wirtschaftsmacht weiter auszubauen.
Die Frage von Big Pharma und dem Zugang zu Impfstoffen während der Pandemie ist ein deutliches Beispiel. Laut Schätzungen der People´s Vaccine Alliance haben die drei Pharmaunternehmen, die hinter den beiden am häufigsten verabreichten COVID-19-Impfstoffen stecken, ihre Gewinne vor Steuern im Jahr 2021 um 34 Milliarden US-Dollar steigern können. Unterdessen ist die COVAX Facility, die ärmeren Ländern Zugang zu Impfstoffen garantieren sollte, krachend gescheitert. Initiativen für TRIPS-Waiver für Impfstoffe, Medikamente und Diagnostika zur Bekämpfung von COVID-19 wurden komplett verwässert.
Parallel zu all diesen Entwicklungen ist die Finanzialisierung des Alltagslebens im Zuge der Pandemie noch weiter angestiegen. Zu den ersten sozialpolitischen Maßnahmen, die die Regierungen ergriffen, gehörten Barmitteltransfers. Das war erwartbar. Barmitteltransfers haben viele unbeabsichtigte negative Auswirkungen auf die Sorgelast und die Autonomie von Frauen, aber in Zeiten von Social Distancing und steigender Arbeitslosigkeit sind es die Maßnahmen, die am schnellsten ergriffen werden können. Begleitet werden sie von einer wachsenden Kommodifizierung von Zugang zu den grundlegendsten Waren und Dienstleistungen (Lebensmittel, Wasser, Gesundheitsversorgung, Energie). Außerdem hat die Pandemie dem globalen Finanzsektor einen kräftigen Schub verliehen – und zwar dadurch, dass die Verschuldung der Privathaushalte zugenommen hat. Sozialleistungen dienen dabei oft als Sicherheit für den Zugang zu Krediten.
Feministinnen plädieren schon lange für eine wahrhaft transformative Strategie des Wiederaufbaus. Jede der genannten Herausforderungen muss bekämpft werden, wenn wir die Knoten lösen wollen, die alte Ungleichheiten immer wieder reproduzieren. Die vielfältigen Aktionen miteinander zu verlinken¹, in denen wir bereits jetzt zusammenarbeiten, wird notwendig sein, wenn wir wirklich die ganze Wirtschaft verändern wollen.
¹ Einige Beispiele: https://feminists4peoplesvaccine.org/es/; https://www.globaltaxjustice.org/en/action/make-taxes-work-for-women; https://peopleoverprofit.online/; https://www.womenalliance.org/feminists-4-binding-treaty/.
Corina Rodríguez Enriquez ist Forscherin und Aktivistin aus Buenos Aires (Argentinien). Sie ist Mitglied des Exekutivkomitees von Development Alternatives with Women for a New Era (DAWN).
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