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Johanna Plenter geht in dieser Analyse der Frage nach, ob sich prekär und atypisch Beschäftigte in Deutschland der Arbeiter:innenklasse zugehörig fühlen und ob sie durch gemeinsame Policy-Präferenzen miteinander verbunden sind.
Die Studie ist Teil des ProjektsKartographie der Arbeiter:innenklasse, mit dem wir eine Vermessung der (erwerbs-)arbeitenden Gesellschaft vornehmen.
Die Arbeitswelt westlicher Industriestaaten ist in den vergangenen Jahrzehnten vor allem von zwei Trends geprägt worden: Einerseits ist ein Wandel der Berufsstrukturen von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft zu beobachten. Andererseits wächst der Anteil prekärer und atypischer Beschäftigungsformen wie Minijobs und Zeitarbeitsverträge immer weiter an. Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass sich prekär und atypisch Beschäftigte zum Großteil der Mittelschicht zuordnen, obwohl ihre Lebensumstände häufig von Unsicherheit und finanziellen Schwankungen geprägt sind. Gleichzeitig weist insbesondere die Gruppe der prekär Beschäftigten ein starkes Zugehörigkeitsgefühl zur Arbeiter:innenklasse auf. Das Zugehörigkeitsgefühl zur Arbeiter:innenklasse ist entsprechend weitgehend entkoppelt von der subjektiven Schichtzugehörigkeit. Mit Blick auf die Policy-Präferenzen zeigt sich ein gemischteres Bild, das vor allem dadurch gekennzeichnet ist, dass die Interessen der Gruppen sehr heterogen sind. Dies lässt sich insbesondere dadurch erklären, dass sich auch innerhalb beider Gruppen die Konflikt- und Diskussionslinien widerspiegeln, die auch gesamtgesellschaftlich beobachtet werden können.
Ausgewählte Ergebnisse der Studie präsentieren wir auf dieser Seite, die gesamt Studie ist hier kostenfrei abrufbar.
Das eigene Zugehörigkeitsgefühl zu einer Schicht und / oder Klasse in Deutschland ist der erste Ausgangspunkt der Analyse. Die Befragten wurden zunächst gebeten, sich auf einer siebenstufigen Skala einer gesellschaftlichen Schicht von „unten“ bis „oben“ zuzuordnen. Abbildung 1 zeigt die subjektive Schichtzugehörigkeit für die Gruppe der atypisch und der prekär Beschäftigten jeweils gruppiert nach ihrem Zugehörigkeitsgefühl zur Arbeiter:innenklasse. Auffällig und dennoch wenig überraschend ist, dass für beide Gruppen eine extreme Tendenz zur Mitte zu beobachten ist. Dies unterstreicht das Ergebnis über die gesamte Stichprobe , bei der sich die Tendenz hin zur Selbstverortung zur gesellschaftlichen Mitte über alle Berufsklassen hinweg deutlich abzeichnet. Insgesamt ist die Verteilung innerhalb der Gruppe der atypisch Beschäftigten etwas breiter, während sie sich in der Gruppe der prekär Beschäftigten sehr deutlich auf die dritte, vierte und fünfte Kategorie konzentriert. Diese Zuordnung zeigt sich auch in den Aussagen der Teilnehmenden der Fokusgruppe „atypische Beschäftigte“: Sie ordnen sich dem unteren Drittel zu und bezeichnen diese Kategorie als „Durchkämpfer“ oder „Achterbahn-Menschen“. Das Leben dieser Menschen sei durch finanzielle Schwankungen geprägt, die z .B. durch gesundheitliche Umstände ausgelöst werden können.
„die Arbeiter von damals [sind] die heutigen Dienstleister […]; die meisten Dienstleistungsberufe heutzutage sind ja eher ungelernte Kräfte“ (Kundenbetreuerin, 30 Jahre alt, Bochum)
Die Teilnehmenden wurden zudem gefragt, ob sie sich der sogenannten Arbeiter:innenklasse zugehörig fühlen. Hier zeigt, dass sich von den atypisch Beschäftigten über alle Schichtzugehörigkeiten hinweg deutlich weniger dieser Klasse zugehörig fühlen als von den prekär Beschäftigten. Auffällig ist, dass das Zugehörigkeitsgefühl zur Arbeiter:innenklasse weitestgehend entkoppelt ist von der subjektiven Schichtzugehörigkeit, da sich in allen Schichtgruppen ein gewisser Anteil dieser Klasse zugehörig fühlt.
Betrachtet man von den Gruppen der prekär bzw. atypisch Beschäftigten jeweils nur diejenigen, die sich der Arbeiter:innenklasse zugehörig fühlen, und gruppiert diese nach den Berufsklassen von Oesch, so zeigt sich ein interessantes Bild. Mit jeweils knapp einem Viertel stechen innerhalb der prekär Beschäftigten die Produktionsarbeiter:innen (23 Prozent) sowie das Dienstleistungspersonal (23 Prozent) hervor. Innerhalb der atypisch Beschäftigten gehören vor allem das Dienstleistungspersonal (27 Prozent) sowie mit 18 Prozent die soziokulturellen Fachkräfte, zu denen z. B. Lehrer:innen oder Sozialarbeiter:innen zählen, zu denjenigen, die sich der Arbeiter:innenklasse zugehörig fühlen. Für beide Gruppen besteht also ein Zusammenhang zwischen der subjektiven Klassenzugehörigkeit und der Art der Tätigkeit, der auch den zuvor skizzierten Wandel der Berufsstruktur widerspiegelt.
Kollektives Handeln ist nach marxistischer Klassentheorie ein Identifikationspunkt für eine gemeinsame Klasse; dieses setzt jedoch gemeinsame Interessen voraus, die sich bspw. in der Zustimmung bzw. Ablehnung von politischen Aussagen widerspiegeln. In der „Kartographie der Arbeiter:innenklasse“ wurden die Befragten aufgefordert, sich auf einer Skala von 1-5 zu ausgewählten politischen Aussagen zu positionieren.
Insgesamt ergibt sich sowohl innerhalb der Gruppe der prekär Beschäftigten als auch innerhalb der Gruppe der atypisch Beschäftigten ein sehr heterogenes Bild. Beide Gruppen weisen jedoch einige Gemeinsamkeiten auf, sodass keine generellen Unterschiede in der Beantwortung zwischen beiden Gruppen erkennbar sind. So sind in beiden Gruppen die Frage nach der Angst, abgehängt zu werden, und die nach der kulturellen Bereicherung durch Migration am umstrittensten. Eine mögliche Erklärung dafür könnte darin liegen, dass vor allem die Frage nach Migration generell gesellschaftlich extrem umstritten ist, sodass es wenig verwundert, wenn sich dies auch in beiden Beschäftigungsgruppen widerspiegelt. Es kann basierend auf diesen beiden Statements daher aber nicht abgeleitet werden, dass die prekär Beschäftigten oder die atypisch Beschäftigten jeweils gemeinsame Policy-Präferenzen haben. Die größte Übereinstimmung in der Zustimmung zu den Ungleichheitsaussagen gibt es hingegen bei beiden Gruppen in Bezug auf die gleichgeschlechtliche Ehe sowie die Wichtigkeit von Gewerkschaften. Auch hier folgt die Verteilung jedoch der Zustimmung bzw. Ablehnung zu beiden Statements im Großen und Ganzen der Gesamtbevölkerung.
Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass sowohl prekär als auch atypisch Beschäftigte dazu tendieren, sich der Mittelschicht zuzuordnen, obwohl ihre Lebensumstände oft von Unsicherheit und finanziellen Schwankungen geprägt sind. Darüber hinaus lässt sich zeigen, dass das Klassenbewusstsein und insbesondere das Zugehörigkeitsgefühl zur Arbeiter:innenklasse weitestgehend entkoppelt ist von der subjektiven Schichtzugehörigkeit. Insbesondere die prekär Beschäftigten fühlen sich dabei in großem Maße der Arbeiter:innenklasse zugehörig.
Für die Politik ergeben sich aus den Ergebnissen mehrere Handlungsempfehlungen. So ist bspw. die Stärkung der sozialen Sicherheit und die dauerhafte Aus- und Weiterbildung von (prekär und atypisch) Beschäftigten zentral, um der Angst vor sozialem Abstieg innerhalb dieser Gruppen entgegenzuwirken. Dies hilft außerdem, die Beschäftigungsfähigkeit und damit die beruflichen Perspektiven zu verbessern. Zudem sollte die Politik über die staatliche Regulierung atypischer und prekärer Beschäftigungsverhältnisse diskutieren. Eine solche Einschränkung kann die Unsicherheit solcher Jobs reduzieren und damit die finanzielle Stabilität und Unabhängigkeit dieser Arbeitnehmer:innen vom Staat fördern.
Johanna Plenter forscht als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf zu Parteistrategien zur Adressierung von Beschäftigten in der Gig Economy.
annika.arnold(at)fes.de
Plenter, Johanna
Analyse des Klassenbewusstseins prekär und atypisch Beschäftigter in Deutschland / Johanna Plenter ; Herausgeberin: Abteilung Analyse, Planung und Beratung. - Bonn : Friedrich-Ebert-Stiftung, Juli 2024. - 12 Seiten = 430 KB, PDF-File. - (FES diskurs)Electronic ed.: Berlin : FES, 2024ISBN 978-3-98628-562-3https://library.fes.de/pdf-files/a-p-b/21361.pdf
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Koordination Dr. Cäcilie Schildberg
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