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Was wir aus dem Lohn- und Prestigeniveau systemrelevanter Berufe für die Zeit nach Corona lernen müssen. Ein Beitrag von Josefine Koebe.
„Wir gehören zu folgenden anspruchsberechtigten Berufsgruppen für Kita-/Schulnotbetreuung“
Was auf die von Eltern auszufüllende Selbsterklärung folgt, damit derzeit trotz Corona die eigenen Kinder in Kitas oder Schulen betreut werden, ist eine Liste von Berufen: Berufe, für die schnell fest stand, dass sie „den Laden am Laufen halten“, um mit den Worten der Bundeskanzlerin zu sprechen. Berufe, die in Corona-Zeiten als unverzichtbar für die wesentlichen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens und damit als systemrelevant definiert wurden. Eltern, die ihre Berufe nicht in der Aufzählung wiederfinden, betreuen ihre Kinder aktuell zuhause und versuchen nebenher, im Homeoffice zu arbeiten. Dieser Ausnahmezustand macht Eltern, ihren Arbeitgeber_innen und uns allen nun sehr eindrücklich bewusst, was für einen Knochenjob Erzieher_innen sonst jeden Tag leisten: anspruchsvoll, mitunter nervenzehrend und vor allem unerlässlich für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
In einer aktuellen Studie haben wir uns diese systemrelevanten Berufsgruppen im Hinblick auf ihr außerhalb von Krisenzeiten übliches Berufsprestige, ihre durchschnittliche Entlohnung sowie den Frauenanteil und Gender Pay Gap einmal genauer angesehen. Ähnlich wie für den Großteil dieser Berufe trifft auch auf Erzieher_innen zu: Sie genießen ein eher geringes Ansehen, werden unterdurchschnittlich bezahlt, und es sind vor allem Frauen, die zur Berufsgruppe zählen.
Insgesamt weisen die systemrelevanten Berufe ein rund 5 Punkte geringeres Prestige auf als der Gesamtdurchschnitt aller Berufe, der bei 63 von 200 Punkten liegt. Gemessen wird dies mithilfe der sogenannten Deutschland-spezifischen Magnitude-Prestige-Skala, einem in der Wissenschaft anerkannten Maß, um das gesellschaftliche Ansehen von Berufen zu quantifizieren. Besonders auffällig ist das geringe Ansehen für Reinigungsberufe, aber auch für Berufe im Bereich Post und Zustellung sowie für Fahrzeugführer_innen im Straßenverkehr. Ärztinnen und Ärzte üben im Gegensatz dazu eine vergleichsweise hoch anerkannte Tätigkeit aus - könnten dieser aber kaum nachkommen, wenn der gereinigte Behandlungsraum und die Nachsorge durch Pflegepersonal fehlen würden. Diese Leistungen werden von Berufsgruppen erbracht, die nur eine geringe Anerkennung erfahren.
Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Entlohnung. Ein Großteil der Beschäftigten in systemrelevanten Berufen wird unterdurchschnittlich bezahlt. Während der Bruttostundenlohn aller Berufe im Mittel bei 19 Euro liegt, sind es bei den systemrelevanten Berufen im Durchschnitt unter 18 Euro – rund 7 Prozent weniger.
Die Problematik um die Geringschätzung und -entlohnung systemrelevanter Berufe ist vor allem auch eine Geschlechterfrage. Der Frauenanteil in diesen Berufsgruppen liegt bei insgesamt knapp 60 Prozent, der Gender Pay Gap bei 16 Prozent und damit etwas unter den aktuell 20 Prozent Durchschnitt über alle Berufe in Deutschland. In allen systemrelevanten Berufsgruppen gibt es eine geschlechtsspezifische Verdienstlücke, ihre Höhe variiert jedoch je nach Frauenanteil und Lohnniveau der Berufsgruppen. Grob zusammen gefasst: Ein hoher Männeranteil und ein geringes Lohnniveau verringern den Gender Pay Gap. Wo Lohnniveau und auch Frauenanteil hoch sind, ist auch der Gender Pay Gap hoch - beispielsweise in den Pharmazieberufen bei 40 Prozent zuungunsten der Frauen. In einer ähnlich großen systemrelevanten Gruppe wie den IT-Berufen, in der vorwiegend Männer arbeiten, zeigt sich ein deutlich kleinerer Gender Pay Gap von rund drei Prozent. Wir halten fest: Nicht nur sind knapp drei Viertel der in systemrelevanten Berufen Beschäftigten Frauen, sondern darüber hinaus werden diese, vor allem in „Frauenberufen“ mit vergleichsweise hohem Lohnniveau, deutlich schlechter bezahlt als ihre männlichen Kollegen. Mitunter, da Männer oft auch in diesen Berufen die Führungspositionen besetzen.
Spätestens jetzt muss allen klar werden: Die Last der Aufrechterhaltung kritischer Infrastruktur in Zeiten der Corona-Pandemie liegt mehrheitlich auf den Schultern der Frauen. Noch dazu sind sie und ihre Berufe unterbezahlt und zu wenig wertgeschätzt. Einmalzahlungen wie sogenannte „Corona-Boni“ und gelegentlicher Applaus der Mitbürger_innen werden es ihnen in Zukunft nicht leichter machen, ihre Miete zu zahlen oder sich vor Altersarmut zu schützen. Es müssen nachhaltige Lösungen wie eine bessere tarifvertragliche Einbindung und eine substantielle Erhöhung ihres Lohnniveaus gefunden werden, um die systemrelevanten Arbeitnehmer_innen angemessen zu honorieren. Der Laden sollte nämlich auch noch in Zeiten nach Corona laufen.
Autorin:
Josefine Koebe ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Bildung und Familie am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Sie ist Promotionsstipendiatin der Friedrich-Ebert-Stiftung und promoviert an der Graduate School der Universität Hamburg im Bereich der frühen Bildungs- und Familienökonomie. Sie hat einen Masterabschluss in Volkswirtschaftslehre von der Humboldt Universität zu Berlin und studierte darüber hinaus in Tübingen und Paris.
Der Text enstand gemeinsam mit den Autorinnen der Studie "Systemrelevant und dennoch kaum anerkannt: Das Lohn- und Prestigeniveau unverzichtbarer Berufe in Zeiten von Corona" Claire Samtleben, Annekatrin Schrenker, Aline Zucco.
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