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Feminismus bedeutet immer auch Widerstand gegen den Status quo

Ein Interview mit Patricia McFadden, Soziologin und Kämpferin für afrikanische und globale Frauenrechte.

Porträt einer älteren Frau im Freien, die lächelnd in die Ferne blickt. Sie trägt Ohrringe in Form von Blüten und ein helles Oberteil. Im Hintergrund ist eine üppige, grüne Pflanzenlandschaft zu sehen.

Bild: Patricia McFadden von privat: Tina Hennecken-Andrade - FES Mosambik

 

Die Gestaltung der internationalen Entwicklung im 21. Jahrhundert krankt zunehmend an den unzureichenden Antworten auf die Probleme des globalisierten Kapitalismus, der nachhaltigen Entwicklung und der Verwischung der Nord-Süd-Grenzen. Patricia McFadden, in Swasiland geboren, ist Soziologin, Autorin, Pädagogin und Verlegerin; sie engagiert sich in der afrikanischen ebenso wie in der globalen Frauenbewegung. Am Rande des Netzwerktreffens Gender und Innovationen der FES in Berlin sprach sie mit Natalia Figge über die Suche nach alternativen Entwicklungsstrategien, insbesondere aus der Sicht feministischer Aktivistinnen und Bewegungen.

Frage: Die heutigen Volkswirtschaften und politischen Systeme (den Bereich der Entwicklungshilfe eingeschlossen) reproduzieren patriarchalische Verhältnisse und Ungleichheit. Wie sehen feministische Ansätze aus und wie können sie Machtverhältnisse und Strukturen so verändern, dass die Handlungsfreiheit von Frauen gewährleistet ist?

Antwort: Das Unrecht des Patriarchat gründet unter anderem auf der Kommodifizierung und Privatisierung der Frau, ihres Körpers, ihrer Ideen und Kreativität und deren Umwandlung in privates Eigentum. Darauf reagieren Feministinnen, indem sie ihre Interaktionen auf den Prinzipien der körperlichen und sexuellen Unversehrtheit, der Würde, des Wohlergehens und der sozialen Gerechtigkeit aufbauen.

Der Kampf um gerechte Machtverhältnisse beginnt damit, anzuerkennen, dass es keine Kompromisse bei den Grundwerten der körperlichen und seelischen Unversehrtheit von Frauen geben kann.

Nach fast zwei Jahrhunderten des öffentlichen organisierten Widerstands gegen patriarchale Ausgrenzung und Herrschaft treten politische und soziale Veränderungen ein. Immer mehr Frauen bilden sich, erwerben technische und wissenschaftliche Qualifikationen sowie berufliche und andere öffentliche Identitäten oder gelangen in Regierungsämter. Trotzdem bleibt die Mehrheit der Frauen von diesen Errungenschaften ausgeschlossen – und das ist die größte feministische Herausforderung.

Können Akteurinnen aus dem globalen Norden und internationalen Entwicklungsorganisationen zum globalen Feminismus beitragen? Auf Basis welcher Grundsätze und Werte würde der Feminismus wirklich alle einbeziehen?

Heute lassen sich die Reaktionen auf die Krisen, die geschlechtsspezifischen, rassistischen, sexuellen und klassenbedingten Ungleichheiten geschuldet sind, als institutionell-strukturelle Systeme und Konzepte beschreiben, die weitgehend durch die UNO und andere globalisierte finanzielle und fachliche Infrastrukturen als humanitäre Hilfe konzipiert und umgesetzt werden. Ergänzt werden diese Ideologien durch vielfältige Gruppen von NGOs und zivilgesellschaftlichen Organisationen und Netzwerken. Innovative feministische Ideen und Aktionen finden sich aber bislang nur außerhalb des breiteren Rahmens von „Entwicklungspolitik und Aktivismus“, aus den folgenden Gründen:

  • Der Feminismus als Weltanschauung der Freiheit von Frauen stellt den Kern und die Mythen von Demokratie und „Zivilisation“ in Frage. Er stört die Diskurse und fördert den Dissens gegen soziale Neuerungen, die den Status quo stützen.
  • Feministinnen pochen darauf, dass die Kämpfe der Frauen die frühesten und wichtigsten Ausdrucksformen ihres Freiheitswillens sind. Dies steht im Widerspruch zum vorherrschenden Bild, die Kämpfe für Demokratie (das „menschliche Antlitz“ des Kapitalismus) seien Wesensmerkmal heutiger gesellschaftlicher Existenz.
  • Die Gegenreaktion, die wir Frauen erleben, ist ein Ausdruck der Wut des Patriarchats darüber, dass Frauen seine Macht untergraben. Aber das Recht auf Unversehrtheit in all ihren Formen ist unveräußerlich und nicht verhandelbar. Diese Position wird allerdings nicht von allen Feministinnen geteilt – viele Spannungen unter ihnen hängen mit diesem Thema zusammen.
  • Feministinnen, vor allem aus dem Süden, warnen immer wieder vor Rassismus und Klassismus in den Beziehungen zwischen Frauen aus dem Norden und ihnen selbst. Dies zeigt sich beispielsweise in den Debatten im Kontext von Feminismus, Humanität und Entwicklung in Afrika und berührt Narrative von Antikolonialismus und Leben in neokolonialen Gesellschaften.
  • Sprache ist ein mächtiges Werkzeug. Seit je sind die Machthaber bestrebt, die Sprachschöpfer des radikalen Ausdrucks systematisch zu eliminieren: durch verschiedene Formen von Freiheitsentzug, die Verweigerung bezahlter Arbeit und durch Verbannung – in der Hoffnung, dass ihre Ideen an Kraft verlieren. Die Institutionen des Status quo werben gezielt die brillantesten Denkerinnen des Feminismus an, indem sie sie mit finanzieller und sozialer Belohnung ködern. Diese „Abgeworbenen“ werden zu Dolmetscherinnen feministischer Sprache, die gemäßigt und umdefiniert wird, damit sie in „Gender Mainstreaming“-Konzepte und -Programme passt. Derartiges Gerede zementiert die Kluft zwischen Feministinnen und jenen, die Positionen in den großen Institutionen oder der Zivilgesellschaft innehaben, ja sogar die Kluft in persönlichen Beziehungen.

Wie verhalten sich nun internationale Entwicklungsorganisationen und Einzelpersonen zu Feminismus und zu feministischen Kämpfen?

Ich möchte mich dieser Frage über die Geschichte und die Ideologie nähern. Die Anerkennung und Artikulation historischer Ungerechtigkeiten sowie ihr Platz in den Diskursen innerhalb der „Entwicklungs“-Einrichtungen und mit ihren Partnern über räumliche, klassismus- und rassismusbedingte Trennlinien hinweg bleiben die Kernmerkmale menschlicher Beziehungen. Dies und die Entschlossenheit, sich zu engagieren und diese Spaltungen zu überwinden, macht für mich jenen grundlegenden Wandel aus, den wir brauchen, damit wir nachhaltige alternative Beziehungen und Gesellschaften denken können.

Offene, ehrliche und systematische Debatten und Gespräche – sowie Akzeptanz und Lernbereitschaft auf beiden Seiten – sind der Schlüssel zum Aufbau anderer Beziehungen, in denen wir unser gemeinsames Menschsein würdigen. Dies ist der subjektive Prozess, der die Ausarbeitung verschiedener Konzepte und Praktiken nähren muss, die Humanisten von herablassendem Denken und Verhalten weg- und zu eigenem Wachstum und persönlicher Erfüllung hinführen.

Gesellschaftliche Teilhabe, soziale und Geschlechtergerechtigkeit und Solidarität sind wesentliche Bestandteile der DNA der FES. Doch obwohl die Ungleichheit weltweit zunimmt, geht es mit der Sozialdemokratie überall bergab. Wie lässt sich das sozialdemokratische Projekt neu erfinden? Was können Frauen und feministische Bewegungen dazu beitragen, welche feministischen Beiträge müssen unbedingt in diesen Prozess integriert werden?

Feministische Grundsätze und Werte zu integrieren würde eine grundlegende Neubewertung in vielerlei Hinsicht voraussetzen:

  • Zunächst ist das Verhältnis von Sozialdemokraten zum Staat, seinen Einrichtungen und seiner Außenpolitik neu zu bewerten sowie die Rolle, die Sie als Vertreter sozialdemokratischer Ideen und Praxis spielen. Das ist die große Frage – ursprünglich von Rosa Luxemburg aufgeworfen.
  • Feministische Debatten um Begriff und Praxis von Solidarität und radikalem Humanismus sind unerlässlich, um das sozialdemokratische Projekt neu zu denken – in historischer Hinsicht, in Bezug auf Gerechtigkeit ohne Ansehen von Rassen- oder Klassenunterschieden und in Bezug auf die Kernfragen der Frauenzentriertheit beim Aufbau einer anderen Welt.
  • Solidarität verdankt sich als Begriff und Praxis den auf Fortschritt gerichteten Energien und dem Widerstandsgeist der Lohnabhängigen. Die radikalen Organisationen und Forderungen von Frauen im gemeinsamen Kampf mit den Beschäftigten haben das Wesen der Solidarität verändert – eher fort vom kraftvollen Ausdruck politischer Einheit und Stärke im universellen Kampf gegen das Kapital und hin zu einem umfassenderen Verständnis des Wertes der Ideen, der Arbeit, der Kreativität, der Gestaltungskraft und der Erfahrung von Frauen im Widerstand gegen das Patriarchat.

Ich betone die Möglichkeiten, sich mit Frauen auszutauschen, die ihre Arbeit und ihr Leben im Kontext des Kampfes für soziale Gerechtigkeit definieren, und ich sehe, dass sich eine unsere Sphären übergreifende Veränderung abzeichnet – eine Hinwendung zu den progressiven Tendenzen, die schon immer und überall die treibende Kraft menschlichen Fortschritts waren.

Ich gebe zu, dass die Regionen, in denen die FES arbeitet, vor besonderen Herausforderungen stehen, aber der Punkt ist doch, dafür zu sensibilisieren, dass der Kampf gegen Ungerechtigkeit und Straffreiheit uns alle betrifft. Diese Erkenntnis ist meines Erachtens entscheidend, um neue und dringend notwendige politische und strategische Initiativen zu konzipieren und zu gestalten.

Bedeutet Feminismus immer Widerstand gegen den Status quo?

Ja, unbedingt. Es geht dabei auch um Liebe und Solidarität unter Frauen, um Güte und Einfühlungsvermögen (ohne Abhängigkeit und Erniedrigung), um Autonomie und ein freudvolles und autarkes Leben. Und neben all den anderen Möglichkeiten, die Schönheit, Intelligenz, Weisheit, Wissen und Kreativität, den Mut und den unbeugsamen Geist der Frauen zu würdigen, geht es auch darum, als Hüterinnen und Verteidigerinnen menschlicher Freiheit zu wirken.


Gerechtigkeitswoche

Koordination
Dr. Cäcilie Schildberg

Kontakt & Anmeldung
Sergio Rakotozafy
gerechtigkeitswoche(at)fes.de

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Ansprechpartnerin

Natalia Figge
Natalia Figge
+49 30 26935-7499

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