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Ein Interview mit Dr. Bärbel Kofler, Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, über die Lage an der Außengrenze der Europäischen Union.
Bild: Pressefoto Dr. Bärbel Kofler, MdB von Susie Knoll
Bild: Lesvos, 28.02.2020 Eindrücke der Seebrücke-Delegationsreise rund um das Lager von Moria. von SEEBRÜCKE Schafft Sichere Häfen! lizenziert unter CC BY-ND 2.0
Die Lage an der EU-Außengrenze ist angespannt. Seit Wochen sitzen Geflüchtete an der griechisch-türkischen Grenze fest. Anfang März erklärte der türkische Präsident Erdogan die Grenzen nach Griechenland für offen und viele Geflüchtete folgten den Aufruf nach Europa weiterzuziehen – teilweise mit logistischer Unterstützung der Regierung in Ankara. Zurück in die Türkei können und wollen die meisten nicht, nach Griechenland, in die Europäische Union (EU), lässt man sie nicht. Auch die Ankunftszahlen auf den griechischen Inseln stiegen kurzeitig sprunghaft an, was die Lage in den Flüchtlingslagern verschärft.
Wir sprachen mit der Beauftragten der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe, Dr. Bärbel Kofler über die aktuellen Situation und Wege aus der Krise.
FES: Frau Kofler, wie sollte die Europäische Union nun auf die Ereignisse reagieren? Was wurde in der Vergangenheit versäumt?
Dr. Bärbel Kofler: In der aktuellen Situation gilt selbstverständlich, dass sich alle Mitgliedsstaaten der EU und die Türkei an die Menschenrechte und das Völkerrecht halten müssen. Täglich erreichen uns erschreckende Berichte von tragischen Schicksalen an der türkisch-griechischen Grenze, von Menschen, die zum Spielball machtpolitischer Interessen geworden sind. Die EU muss jetzt deutlich zeigen, dass sie Griechenland nicht alleine lässt.
Ich finde es nicht tragbar und beschämend, dass sich die Europäische Union bisher immer noch nicht auf einen verbindlichen und solidarischen Schlüssel zur Aufnahme der Geflüchteten geeinigt hat. Wir brauchen dringend ein europäisches Asylsystem, das gerade die Mittelmeerstaaten entlastet. Ein solches gemeinsames Asylsystem kann nur auf der Grundlage von menschenrechtlichen Standards und internationalen Vereinbarungen zum Schutz von Geflüchteten und politisch Verfolgten wirksam sein, eine Prüfung des individuellen Einzelfalls muss dafür immer gewährleistet werden. Eine gesamteuropäische Lösung sollte nach wie vor unser Ziel und damit auch die Antwort auf die aktuelle Situation sein. Dies wird von verschiedenen Seiten seit Jahren gefordert, aber die faire Verteilung und solidarische Unterstützung wird von einigen europäischen Staaten wie etwa Österreich, Ungarn und Polen immer wieder behindert. Daher kommt es immer nur zu kurzfristigen Einigungen von einigen Staaten innerhalb der EU, die aber eine gesamteuropäische Lösung nicht ersetzen können.
Zusammen mit sechs anderen EU-Staaten will die Bundesregierung im Rahmen einer europäischen „Koalition der Willigen“ bis zu 1.600 Kindern von den griechischen evakuieren. Reicht diese Maßnahme aus?
Ich begrüße es sehr, dass die Bundesregierung sich gemeinsam mit anderen EU-Staaten zur Aufnahme von Kindern mit schweren Krankheiten und jüngeren unbegleiteten Geflüchteten bereit erklärt hat. Die Aufnahme von Kindern aus Camps von griechischen Inseln hatte ich bereits Ende letzten Jahres gefordert. Denn die Berichte über die schlimmen Zustände in den Camps sind keine Neuigkeiten. In den vergangenen Jahren habe ich als Bundestagsabgeordnete und als Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe mehrfach Camps in Griechenland besucht und mir vor Ort ein Bild von der Lage und den Zuständen machen können. Die Zustände sind in vielen Fällen erschreckend und entsprechen nicht den grundlegenden humanitären Standards. Griechenland sollte hier weitere Unterstützung im Bereich der Humanitären Hilfe von der EU und den Mitgliedsstaaten erhalten, damit die Zustände in den Camps verbessert werden können. Die EU sollte daher auch finanzielle und personelle Unterstützung beim Aufbau von Kapazitäten anbieten. Das kann im technischen Bereich sein, bei den Behörden und auf den Inseln selbst, damit sichergestellt werden kann, dass die Hilfe schnellstmöglich bei den Betroffenen ankommt.
Müssten angesichts der humanitären Katastrophe nicht alle Geflüchtete von den griechischen Inseln evakuiert werden?
Die Aufnahme von Flüchtlingskindern kann nur eine kurzfristige Lösung sein, um sie vor den katastrophalen Zuständen in den Camps zu schützen. Alle Geflüchteten von den Inseln auf das griechische Festland zu evakuieren könnte eine Lösung sein, um die Situation schnellstmöglich zu entschärfen. Ich kann aber nur noch einmal betonen, dass es einer gerechten Verteilung innerhalb der EU bedarf, um an diesen Zuständen langfristig etwas zu ändern und gerade die griechischen Inseln zu entlasten. Dies umfasst eine finanzielle und organisatorische Unterstützung, aber auch klare Regeln bei der Verteilung der Geflüchteten. Viel zu lange hat die Europäische Union die südeuropäischen Staaten mit der großen Zahl der ankommenden Geflüchteten alleine gelassen.
Was muss passieren, damit in Zukunft solche humanitären Katastrophen verhindert werden können?
Grundsätzlich stellt sich hier die Frage, wie wir mit der steigenden Zahl der gewaltvollen Konflikte und Kriege weltweit umgehen. Ich bin der festen Überzeugung, dass alle Möglichkeiten der Diplomatie genutzt werden müssen, um Friedensprozesse zu stärken. Begleitet werden können diese Maßnahmen durch eine starke zivile Krisenprävention und effiziente Frühwarnsysteme. Für die große Zahl der auf humanitäre Hilfe angewiesenen Menschen muss die internationale Gemeinschaft ausreichend Unterstützung zur Verfügung stellen, um dem steigenden Bedarf gerecht zu werden.
Was kann Deutschland dazu beitragen?
In der aktuellen Situation zählt neben der Solidarität zwischen den EU-Mitgliedsstaaten, dass die Bundesregierung weiterhin die Unterstützung durch Humanitäre Hilfe aufrechthält. Dies gilt für Griechenland, für die Menschen in Syrien, aber auch für die Nachbarländer Türkei, Libanon und Jordanien, die einen Großteil der Geflüchteten aufgenommen haben. Weltweit leben über 80 Prozent der Geflüchteten, die über Landesgrenzen fliehen mussten, in Entwicklungsländern.
Deutschland ist im Jahr 2020 mit 1,64 Mrd. Euro der zweitgrößte bilaterale Geber in der Humanitären Hilfe weltweit. Damit leisten wir auch einen wichtigen Beitrag, um humanitäre Katastrophen zu verhindern. Denn auch das Vorbeugen von Krisen durch frühzeitiges Erkennen und Reagieren trägt dazu bei, dass Konflikte nicht eskalieren, und gehört zu einer verantwortungsvollen Außenpolitik.
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Koordination Dr. Cäcilie Schildberg
Kontakt & Anmeldung Sergio Rakotozafygerechtigkeitswoche(at)fes.de
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