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Dienstag, 08.10.19 17:00 - Alte Ziegelei, Bergheim

Strukturwandel = Jobwende?


Terminexport im ICS-Format

Bild: von FES

Bild: FES / Danetzki

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Strukturwandel gemeinsam gestalten

Spätestens 2038 soll Deutschland aus der Kohle aussteigen, so steht es in den Empfehlungen der Berliner Kohlekommission. Das Rheinische Revier bereitet sich auf den Strukturwandel vor, um auch nach dem Ende des Tagebaus Energie-Standort zu bleiben. Wie das gelingen könnte und vor welchen Herausforderungen die Städte und Gemeinden des Rheinischen Reviers stehen, wurde auf Einladung des Landesbüros NRW in Bergheim diskutiert.

Auswirkungen auf die Beschäftigung untersuchen

Vorgestellt wurde zudem die von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Auftrag gegebene Studie „Jobwende – Effekte der Energiewende auf Arbeit und Beschäftigung”. Die Ergebnisse zeigen, dass sich der mit der Energiewende verbundene Strukturwandel unter gewissen Voraussetzungen leicht positiv auf die gesamtwirtschaftliche Beschäftigung auswirken kann. Das liegt unter anderem an erforderlichen Investitionen in die energetische Sanierung des Gebäudebestandes. Ein weiteres Ergebnis: Die Energiewende bringt in Teilbereichen der Wirtschaft auch Arbeitsplatzverluste mit sich. „Für die von einem Beschäftigungsverlust betroffenen Teile der Bevölkerung kann diese Entwicklung mit deutlichen finanziellen und sozialen Einschnitten verbunden sein“, sagte Dr. Almut Kirchner von der Prognos AG, die die Studie erstellt hat. In Nordrhein-Westfalen gibt es etwa 10.000 direkt im Braunkohlesektor Beschäftigte im Rheinischen Revier; hinzu kommen 20.000 hierdurch indizierte Arbeitsplätze. Das Dreieck Köln, Düsseldorf, Aachen sei eine beschäftigungsintensive Region mit hochwertiger Industrie. „Dort sollten sich 10.000 ehemalige Braunkohlearbeitsplätze unterbringen lassen, aber das geht natürlich nicht von selbst. Das ist eine Gestaltungsaufgabe“, zeigte sich Kirchner überzeugt.

Hier finden Sie alle Studienergebnisse und den Vortrag von Dr. Almut Kirchner.

Politik bietet Unterstützung an

Leonie Gebers, Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, verwies in ihrer Rede unter anderem auf die Arbeit der Kohlekommission und deren Abschlussbericht: „Es ist ihr gelungen, einen breiten gesellschaftlichen Konsens zu der Frage herzustellen, wie der schrittweise Ausstieg aus der Kohleverstromung mit konkreten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Perspektiven und neuen Arbeitsplätzen für die betroffenen Regionen einhergehen kann“, sagte Gebers. Für das Rheinische Revier zeichne sich aus ihrer Sicht ab, dass es Energieregion bleiben werde – das würden vor allem die Forschungsansiedlungen zeigen. Doch längst nicht alle Arbeitnehmenden könnten in Zukunft in ihren ursprünglich gelernten Berufen arbeiten. Weiterbildung sei wichtig. „Mit dem Qualifizierungschancengesetz haben wir bereits seit Beginn des Jahres die Möglichkeiten ausgeweitet, Weiterbildung in Unternehmen zielgerichtet zu unterstützen.“ Die Staatssekretärin kündigte zudem ein Arbeit-von-Morgen-Gesetz an, das Beschäftigten helfen soll, mit dem Strukturwandel Schritt halten zu können. Eine weitere Maßnahme zur Abfederung der Auswirkungen des Strukturwandels soll das Anpassungsgeld Braunkohle sein: „Als Teil des Kohleausstiegsgesetzes wird es für alle Beschäftigten in Braunkohleunternehmen ab 58 Jahren gelten. Damit sollen Übergänge erleichtert und der Kohleausstieg sozialverträglich gestaltet werden.“

Hier finden Sie die komplette Rede von Leonie Gebers.

Forderungen an die Bundesministerien formuliert

Neben Gebers und Kirchner nahmen der Leiter der Tagebauentwicklung bei RWE Power, Michael Eyll-Vetter, und der SPD-Bundestagsabgeordnete für den Kreis Düren, Dietmar Nietan, an der Diskussion teil. Moderiert wurde die Runde vom WDR-Journalisten Ralph Erdenberger, der nach den aus seiner Sicht dramatischen Auswirkungen des Kohleausstiegs für die Region  fragte. „Das Arbeitsministerium bringt gute Reformen auf den Weg. Es muss aber auch in den anderen Bundesministerien etwas passieren“, sagte Nietan. Für ihn sei nicht entscheidend, ob 40 oder nur 35 Milliarden Euro in den Strukturwandel investiert würden. „Meine große Sorge ist, dass die Fördergelder nicht dort ankommen, wo sie ankommen sollen.“

Aufruf: Den Wandel mitgestalten

Tagebaubetreiber RWE Power beteilige sich am Strukturwandel. Wenn auch mit deutlich reduzierten Kapazitäten, soll im Rheinischen Revier noch bis 2038 Kohle gefördert werden. „Wir bilden weiterhin Nachwuchs aus, um unsere Maschinen und Kraftwerke führen zu lassen“, sagte Eyll-Vetter. Gleichzeitig gebe sich RWE Power viel Mühe, seine Mitarbeiter_innen in die Zukunft zu führen. „Auch wir entwickeln unser Geschäft stärker in Richtung erneuerbare Energien.“ In diesem Bereich würden neue Arbeitsplätze und neue Jobperspektiven entstehen.

„Mit dem Strukturstärkungsgesetz können wir einen Rahmen schaffen und finanzielle Mittel bereitstellen. Doch die konkreten Perspektiven für die Beschäftigung müssen auch vor Ort ein Stück weit entwickelt werden“, sagte Gebers. Kirchner betonte, dass die Zeit dränge, um die Weichen für die Zukunft zu stellen. „Wir werden in Zukunft viel mehr öffentlichen Verkehr benötigen. Die Infrastruktur muss vorangehen“, forderte sie. Das bedeute zunächst natürlich Investitionen in nicht wirtschaftliche Bereiche – aber auch Chancen für die Beschäftigung.

Beschäftigung fördern und Innovationen bündeln

Eine konkrete Maßnahme, den Strukturwandel vor Ort zu unterstützen, benannte Nietan: „Wir müssen die Menschen mit den tollen Ideen unterstützen, damit sie die Umsetzung schaffen. Sie müssen erfolgreich gründen können, damit kein Potenzial verloren geht“, sagte Nietan im Hinblick auf innovative Start-ups. Gebers verwies auf das Thema Innovationscluster: „Es geht darum, bestimmte Innovationen zu generieren, zusammenzubringen und zu fördern. Dieses Modell funktioniert natürlich auch auf regionaler Ebene.“

1,5 Milliarden Euro wollen RWE jährlich in den Ausbau erneuerbarer Energien investieren. Aus dem Publikum klang Zweifel daran an, dass das auch funktionieren werde. „Das geht nur bei einer entsprechenden Genehmigungslage“, antwortete Eyll-Vetter. Er hoffe, dass sich ein Teil der Gelder nicht nur im Ausland, sondern vor allem in Deutschland und im Rheinischen Revier investieren lasse – zum Beispiel in Windparks auf dem ehemaligen Tagebaugebiet. Bei der anstehenden Rekultivierung des Tagesbaus Hambach stehe im Fokus, gemeinsam mit den Kommunen zu agieren. „Wir werden weiterhin über gemeinsame Ansiedlungen – zum Beispiel von Industrie- und Gewerbegebieten – sprechen“, kündigte Eyll-Vetter an. So seien in der Vergangenheit bereits viele neue Arbeitsplätze im Revier entstanden.

Lokale Interessen auch im Land und Bund wahren

Um ihre Interessen zu wahren, haben sich die 19 Anrainergemeinden des Rheinischen Reviers zusammengeschlossen. „Ich kann die Landesregierung nur auffordern, die Anliegen der betroffenen Kommunen vor Ort ernst zu nehmen“, sagte Nietan. Bei der SPD habe sich auf Bundesebene ein Arbeitskreis gebildet, der die Begehren und Änderungsvorschläge aus den Tagebauregionen insgesamt anhöre und bündele und in die Diskussionen im Bundestag einbringe. „Die Politik vor Ort wird gehört. Das ist uns sehr wichtig“, sagte Nietan.

Rainer Imkamp, der Geschäftsführer der Agentur für Arbeit Brühl, lenkte die Diskussion aus dem Publikum heraus auf das Thema Qualifizierung von Arbeitnehmer_innen. „Mein Team guckt sich alle Qualifizierungsangebote im Rheinischen Revier und den angrenzenden Oberzentren an.“ Im Fokus stünden dabei diese Fragen: Sind das die Trends, die wir für die zukünftige Arbeit brauchen oder brauchen wir andere, weitere Angebote? „Schon jetzt steht fest, dass wir andere Qualifizierungen brauchen und treten dazu mit den entsprechenden Einrichtungen in den Austausch“, kündigte Imkamp an. Gebers lobte das Engagement der Agentur. Wenn alle Beteiligten an einem Strang zögen, könne der Strukturwandel gelingen.

 

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Textautor: Marcus Hammes, Journalistenbüro Köln
Redakteurin: Jeanette Rußbült, Landesbüro NRW der Friedrich-Ebert-Stiftung
Fotos: Friedrich-Ebert-Stiftung/Fotografin: Klaudia Danetzki

 


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