Die entscheidenden Gründe dieser Entwicklung sind bekannt. Zum einen ist viele Jahre lang nicht ausreichend neuer Wohnraum gebaut worden. Zum anderen ist zu beobachten, dass sich - wenn denn gebaut wird - vor allem besonders renditeträchtige hochpreisige Immobilienprojekte durchsetzen. Diese Entwicklung wird auch durch den Umstand vorangetrieben, dass „Betongold“ seit der jüngsten Krise als sichere Geldanlage gilt. Zudem sind Wohnungen immer mehr zur Spekulationsware geworden. Angesichts erheblicher Gewinnaussichten dreht sich die Spirale aus Kauf und Wiederverkauf immer schneller.
Und schließlich: Immer mehr Sozialwohnungen fallen aus der Bindung. Hier wurde besonders wenig nachgebaut, und wenn, dann mit eher kurzen Bindungsfristen. Inzwischen kann man allenfalls noch von einem Restbestand an Sozialwohnungen reden. Gleichzeitig geraten viele ehemalige Sozialwohnungen in die beschriebenen Aufwertungsprozesse und gehen als bezahlbarer Bestand verloren.
Es gibt also nicht nur einen erheblichen Nachholbedarf beim Wohnungsbau. Es geht auch um die Frage, was gebaut wird: In den angespannten städtischen Wohnungsmärkten werden daher zusätzliche Wohnungen insbesondere im unteren und auch im mittleren Preissegment dringend benötigt. Und die Entwicklung geht weiter, denn ein Abebben des Zuzugs in die Städte ist derzeit nicht erkennbar, so dass auch künftig mehr Wohnungen benötigt werden.
Bezahlbaren Wohnraum schaffen und erhalten!
Gegen diese Trends braucht es ein deutliches Korrektiv. Die Wohnungsversorgung ist aus dem Lot geraten. Es bedarf großer Anstrengungen, um überall in Deutschland wieder angemessenen, bedarfsgerechten und bezahlbaren Wohnraum zu sichern. Das politische Handeln muss sich dabei an den folgenden drei Grundsätzen orientieren.
(1) Wohnungen müssen bezahlbar sein
Ist die Wohnung, die den Bedarfen eines Haushalts entspricht, mit dessen Einkommen auch finanzierbar? Bezahlbarkeit ist nicht automatisch mit „preisgünstig“ oder „gefördert“ gleichzusetzen. Ob Wohnen bezahlbar ist, bekommen Haushalte vor allem dann zu spüren, wenn sich ihre Wohnbedarfe ändern. Dann geht es zunächst um Art, Lage, Größe und Ausstattung der Wohnung – und dann um den Preis: Sind die erforderlichen oder gewünschten Merkmale überhaupt zu einer Miete zu bekommen, die sich der Haushalt leisten kann? Hierbei geht es vor allem um absolute Beträge.
Das Bündnis für Wohnen der Landeshauptstadt Potsdam hat eine praktikable Definition des Begriffs erarbeitet: Unter der Maßgabe, dass eine Wohnung angemessen und bedarfsgerecht ist (z. B. die Größe dem Bedarf des Haushalts entspricht), ist die Bezahlbarkeit des Wohnens gefährdet, wenn dauerhaft:
(a) mehr als ein Drittel des Haushaltseinkommens für das Wohnen (inkl. warmer und kalter Betriebskosten) aufgewendet werden muss;
(b) nach Abzug der Warmmiete vom monatlichen Haushaltsbudget nicht mindestens ein definierter Mindestbetrag zur Lebensführung übrig bleibt.[1]
Diese Definition klärt die Frage der Bezahlbarkeit für unterschiedlichste Einkommenssituationen, ob mit oder ohne Wohnberechtigungsschein. Und sie deckt sowohl den Neubau als auch den Wohnungsbestand ab, genauso wie bestehende und neu abgeschlossene Mietverträge.
(2) Es braucht Wohnungsneubau, und zwar preisgünstig
In vielen Städten fehlen schon allein mengenmäßig Wohnungen. Hier ist zusätzlicher zukunftsfähiger, bedarfsgerechter und bezahlbarer Neubau gefragt. Um bauen zu können, braucht es zunächst einmal Bauland. Gerade wenn eigene Baulandreserven bestehen, können die Kommunen aktiv die Preise dämpfen, z.B. über die sogenannten Konzeptvergaben. Selbstverständlich spielen auch die Art und der Bau des Gebäudes an sich eine zentrale Rolle. Wichtig sind die bedarfsgerechte Planung von Ausstattung, Haustechnik und Grundrissen und deren Zukunftsfähigkeit. Auch serielles Bauen kann dazu beitragen, dass die Kosten für Neubau gedämpft und Wohnungen effizient errichtet werden. Auch müssen sich gute Standards und Bezahlbarkeit nicht ausschließen, allerdings wäre hierfür mehr Flexibilität seitens der entsprechenden DIN-Baunormen wünschenswert. Und schließlich braucht es mehr Wohnraumförderung. Diese muss für deutlich mehr bezahlbare Angebote sorgen, vor allem für die untersten Einkommensgruppen. Gerade die Kommunen benötigen dringend zusätzliche Sozialbindungen.
(3) Bezahlbarkeit im Wohnungsbestand muss gesichert werden
Doch nicht allein der Neubau ist relevant, zumal er ja nur einen geringen Teil des Wohnungsmarktes ausmacht. Daher muss der Wohnungsbestand in die Betrachtung einbezogen werden. Ein Großteil der bestehenden Wohnungen bietet bereits heute preisgünstigen und bezahlbaren Wohnraum. Diesen Bestand gilt es zu erhalten und zu sichern. Das bedeutet auch, diejenigen Anbieter zu stärken, die bereits heute bezahlbare Wohnangebote bereitstellen. Daneben sind möglichst viele Instrumente zu nutzen, die für bezahlbares Wohnen sorgen. Eine nachhaltige Förderpolitik mit sozialer Bindung von Wohnungen auch im Bestand (Stichworte wie mittelbare und flexible Sozialbindungen, Kooperationsverträge) gehört hier ebenso dazu wie beispielsweise eine effektive Bekämpfung von Zweckentfremdung. Auch weitere Ansatzpunkte, etwa eine Neuregelung der Untermiete und die Möglichkeit von Wohnungstausch, gehören dringend auf die Agenda.
Akteurslandschaft auf der Anbieterseite weiterentwickeln
Ob Bezahlbarkeit im Neubau oder im Bestand: Hierfür werden auf der Anbieterseite Akteure benötigt, die gemeinwohlorientiert sind. Darunter fallen kommunale Wohnungsunternehmen, Genossenschaften oder bewirtschaftungsorientierte Bestandshalter mit moderater Mietenpolitik und langfristiger Perspektive etc. Der weit gefasste Begriff „gemeinwohlorientiert“ ist also bewusst gewählt, um möglichst viele Anbieter für diese wichtige Aufgabe gewinnen zu können: Alles, was solche Akteure im Wohnungsmarkt stärkt, hilft!
Das schließt auch neue Akteure ein: Die Gründung von neuen kommunalen Wohnungsunternehmen ist dabei ebenso ein Thema, wie auch von bürgergetragenen Genossenschaften oder Unternehmen in anderen Rechtsformen (z.B. die Nestbau AG in Tübingen). Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang das Erfolgsmodell des Mietshäuser-Syndikats, einer nichtkommerziellen kooperativen Beteiligungsgesellschaft. Das Modell besticht durch eine rechtliche Konstruktion, die dauerhaft moderate Mieten mit einer faktischen Unverkäuflichkeit des Mietobjekts kombiniert.
Auch Stiftungen können zu nachhaltigen Bestandshaltern werden. Stiftungen sind für die Wahrnehmung ihres Stiftungszwecks darauf angewiesen, ihren Kapitalstock ertragsorientiert und gleichzeitig möglichst sicher anzulegen. Im derzeitigen Zinsumfeld erweist sich dies oft als schwierig, also Anlageformen mit einer stabilen auskömmlichen Rendite besonders gesucht. Das sogenannte Mission Investment kombiniert eine vergleichsweise stabile Anlage für das Stiftungskapital mit einer gemeinwohlorientierten Bewirtschaftung, die auskömmliche Renditen zugunsten des eigentlichen Stiftungszwecks ermöglicht.
Auch die gewerbliche Wirtschaft kann sich einbringen: Gute Beispiele zeigen bundesweit, dass die Wohnungsversorgung durch den Arbeitgeber wieder zunehmend einer Rolle spielt („Wirtschaft macht Wohnen“).
Radikal oder Pragmatisch? „Aktion 20 %“: Eine Offensive für soziales Wohnen
Den dramatisch abschmelzenden Sozialbindungen muss energisch etwas entgegengesetzt werden. Deutschland ist auf einen stabilen Sockel von langfristig gebundenen Sozialwohnungen angewiesen. Um das zu erreichen müssten bei allen Neubauten von Geschosswohnungen im Land Sozialbindungen geschaffen werden. Eine radikale, aber pragmatische Herangehensweise wäre, dass der Anteil auf 20 Prozent der Wohnfläche festgelegt wird. Dies erscheint zumutbar und würde, wenn es bei allen Neubauten erfolgt, einen enormen Mengeneffekt bewirken. Nicht nur dort, wo schon heute über einen Bebauungsplan solche Vorgaben verbindlich gemacht werden können, würde eine solche Regelung greifen, sondern auch bei der viel größeren Zahl neu gebauter Mehrfamilienhäuser in den sogenannten §34er-Gebieten.
Für diese verbindliche Vorgabe müssten die gesetzlichen Grundlagen angepasst werden. Auch dort, wo Eigentumswohnungen gebaut werden, sind diese 20 Prozent als gebundene Mietwohnungen eingemischt zu realisieren – ggf. in Partnerschaft mit örtlichen gemeinwohlorientierten Wohnungsunternehmen. Dies unterstützt die Bezahlbarkeit des Wohnens insgesamt und die soziale Mischung.
Dem ist entgegenzusetzen, dass nicht überall im Land Sozialwohnungen und ‑bindungen benötigt werden. Daher wäre ein Mechanismus sinnvoll, durch den diese Bindungen ausgesetzt, aber bei Bedarf durch die Kommune wieder aktiviert werden können. Beispiele wie das „Potsdamer Modell“ zeigen, wie dies flexibel gehandhabt werden kann und Sozialbindungen bedarfsgerecht zum Einsatz kommen.
„Aktion 20 %“: Eine solche Offensive für soziales Wohnen könnte nur mit einer nachhaltigen und langfristigen Finanzierung funktionieren. Keinesfalls sollte hier mittels massenhafter direkter Zuschüsse ein Strohfeuer ausgelöst werden, das Akteure mit überhöhten Renditeerwartungen anlockt. Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass die (zumeist darlehensbasierte) Wohnraumförderung der Länder bei moderaten Renditeerwartungen bereits heute auskömmlich ist. Gleichwohl würden erhebliche Finanzmittel benötigt, um den gewünschten breiten Effekt zu erreichen. Daher müsste der Bund diese Aktion mit der fortgesetzten Zahlung zweckgebundener Kompensationsmitteln oder einer anderweitigen finanziellen Beteiligung unterstützen.
Wohnungsthemen sind ein Bildungsauftrag!
Die Funktionszusammenhänge am Wohnungsmarkt sind komplex. Gleichzeitig ist das Thema Wohnen wichtig und betrifft fast jeden Menschen direkt oder indirekt. Wohnen ist ein Grundbedürfnis und damit ein wichtiges Versorgungsgut. Gerade auf der kommunalen Ebene entfaltet es große Bedeutung. Umso wichtiger ist es, das Wissen um die Prozesse und Wirkungsweisen des Wohnungsmarktes systematisch auszubauen. Die Friedrich-Ebert-Stiftung setzt sich daher in einer Veranstaltungsreihe mit dem Thema "Bezahlbares Wohnen - Quartierpolitik für mehr Lebensqualität und Chancengleichheit" auseinander. An verschiedenen Orten in der Bundesrepublik Deutschland diskutieren kommunale Praktiker_innen mit Expert_innen und der Politik über die konkreten Herausforderungen und Lösungsmöglichkeiten vor Ort.
Lena Abstiens, Mitarbeiterin der RegioKontext GmbH.
Arnt von Bodelschwingh, Geschäftsführer der RegioKontext GmbH.
[1] Die Potsdamer Definition benennt die folgenden Beträge, die sich aus den Einkommensgrenzen des WoFG ableitet: Ein-Personen-Haushalt 670 Euro; zwei Personen: 1.005 Euro, drei Personen: 1.234 Euro ; vier Personen: 1.463 Euro.