Die FES wird 100! Mehr erfahren

Studie: "Ohne Demokratie ist alles nichts."

Teilnehmende, Motive und Effekte der Proteste gegen Rechtsextremismus im Juni 2024

Die Studie

In der ersten Jahreshälfte 2024 ging ein demokratischer Ruck durch Deutschland. In Reaktion auf die Enthüllungen über das Potsdamer Geheimtreffen extrem rechter Kreise und die dort diskutierten „Remigrations“-Pläne erlebte das Land die größten prodemokratischen Proteste seiner Geschichte. Millionen Menschen gingen deutschlandweit auf die Straße.

Wer sind die Menschen, die in Ost und West für die Demokratie und gegen Rechtsextremismus demonstrierten? Was treibt sie um, was motiviert sie und was erwarten sie von Politik und Gesellschaft? Welche Effekte haben die Protestwellen und was nehmen wir daraus mit für die Bildung starker Allianzen für eine plurale Demokratie?

Diesen Fragen sind wir in Zusammenarbeit mit dem Institut für Protest- und Bewegungsforschung (ipb) in zwei Demonstrationsbefragungen in Hamburg und Dresden im Juni 2024 nachgegangen.

Druckexemplar bestellen

Über dgi(at)fes.de ein Druckexemplar der Studie (in deutscher Sprache) bestellen

Kontakt zur Studie

Verantwortlich

Alina Fuchs

030 26935-7327
alina.fuchs(at)fes.de

Presse

Johannes Damian

030 26935-7092
presse(at)fes.de

 

Zentrale Ergebnisse und Schlussfolgerungen

Belebung der zivilgesellschaftlichen Arbeit und neue Bündnisse

Belebung der zivilgesellschaftlichen Arbeit und neue Bündnisse

Die Proteste haben zu einer Belebung zivilgesellschaftlicher Arbeit und zur Bildung und Verstetigung gesellschaftlich breit aufgestellter Bündnisse beigetragen. Sowohl in Hamburg als auch in Dresden sind zu Jahresbeginn neue Strukturen und Bündnisse entstanden, die auch während der zweiten Protestwelle eine tragende Rolle spielten.

Wer für die Demokratie auf die Straße ging

Wer für die Demokratie auf die Straße ging

Die zweite Protestwelle im Juni fiel erwartungsgemäß kleiner aus als die großen Demonstrationen zu Beginn des Jahres. Bei den Protesten im Juni zeigte sich eine Verstetigung des Engagements, die große Mehrheit der Demonstrierenden hat auch schon an der ersten Protestwelle teilgenommen. Insgesamt mobilisierte die zweite Welle vor allem Menschen aus einem gut gebildeten, politisch in der linken Mitte verorteten Milieu.

 

Die Proteste als demokratischer Takt- und Impulsgeber

Die Proteste als demokratischer Takt- und Impulsgeber

Zentrales Anliegen der Demonstrierenden war es, ein klares, öffentlichkeitswirksames Zeichen gegen Rechtsextremismus zu setzen. Die Proteste haben maßgeblich dazu beigetragen, dass die Gefahren des Rechtsextremismus und prodemokratische Gegenstimmen in der öffentlichen Debatte sichtbarer wurden, und bildeten einen Gegenpol zur vielfach konstatierten Rechtsverschiebung.

Stärkung von Selbstwirksamkeit und Engagement

Stärkung von Selbstwirksamkeit und Engagement

Die Protesterfahrung wirkte für viele Befragte als demokratischer Aktivierungsimpuls. Gemeinsam mit anderen für die Demokratie auf die Straße zu gehen, stärkt Menschen in ihrem demokratischen Wir-Gefühl und in ihrem alltäglichen Einsatz für demokratische Werte. Protestteilnahmen können so als Stimuli wirken, die zu mehr persönlichem, wenn auch nicht unbedingt in parteipolitischem Engagement führen.

 

Bedrohungslage Rechtsextremismus

Bedrohungslage Rechtsextremismus

Die Sorge vor dem erstarkenden Rechtsextremismus und das Gefühl, dass die damit verbundenen Gefahren nicht ernst genug genommen werden, treiben die große Mehrheit der Demonstrierenden um. Dabei sind die Befragten in Dresden deutlich häufiger mit rechtsextremer Präsenz im Alltag und persönlichen Anfeindungen konfrontiert als in Hamburg. Neben der persönlich empfundenen Bedrohungslage greifen also auch andere, gesamtgesellschaftliche Erwägungen als Mobilisierungsmotiv.

 

Zivilgesellschaft, Bildung, Politik: Wer die Demokratie verteidigen soll

Zivilgesellschaft, Bildung, Politik: Wer die Demokratie verteidigen soll

Obwohl die Befragten nur teilweise erwarten, dass ihr Protest unmittelbar das Handeln von Politik beeinflusst, ist ihr Vertrauen sowohl in die Demokratie als auch in politische Institutionen sehr hoch. Die Verteidigung der Demokratie ist in ihren Augen eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, wobei sie vor allem auf eine starke Zivilgesellschaft und ein gut aufgestelltes Bildungssystem setzen. Darüber hinaus erwarten sie aber auch von der Politik weitreichende Maßnahmen gegen Rechtsextremismus.

Neue Allianzen für die Demokratie?

Neue Allianzen für die Demokratie?

Der Einsatz für eine plurale Demokratie erfordert belastbare Allianzen, die breit mobilisieren und immer wieder öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema generieren können. Während auf der Organisationsebene im Zuge der Proteste breite Bündnisse entstanden sind, besteht die Herausforderung jetzt darin, ein breites gesellschaftliches Spektrum für das Engagement zu mobilisieren. Dabei gilt es, in Zukunft auch Gruppen anzusprechen und über alternative Formate einzubinden, die das Eintreten gegen Rechtsextremismus befürworten, den bisherigen Protesten aber eher ferngeblieben sind – allen voran Menschen mit niedriger formaler Bildung und konservativ-bürgerliche Milieus.

Die Methode

Die Analyse beruht auf einem Datensatz, der aus der Befragung von 534  Personen generiert wurde. Von diesen hatten 293 am 7. Juni 2024 in Hamburg und 241 am 8. Juni 2024 in Dresden demonstriert. Die Befragungsteams wählten die zu befragenden Teilnehmenden nach einem Zufallsverfahren aus. Diese erhielten einen Flyer mit einem QR-Code, der zu einem Online-Fragebogen führte, sowie einen personalisierten Zugangscode. Insgesamt erhielten 1.537 Personen einen solchen Flyer. Das entsprach in Hamburg etwa acht Prozent und in Dresden etwa neun Prozent der Teilnehmenden. Rund 30 Prozent der auf diese Weise Angesprochenen füllten den Fragebogen aus – eine für Demonstrationsbefragungen sehr hohe Rücklaufquote. Um die Datenqualität und Repräsentativität des Datensatzes zu überprüfen, führte das Team während der Demonstrationen zusätzlich 121 Kurzinterviews durch (60 in Hamburg und 61 in Dresden).

Die Autor:innen

Dr. Nina-Kathrin Wienkoop ist promovierte Politikwissenschaftlerin und Ethnologin sowie Vorstandsmitglied am Institut für Protest- und Bewegungsforschung.

Dr. Lisa Bogerts ist freiberufliche Politikwissenschaftlerin mit Sitz in Berlin. Sie forscht über soziale Bewegungen und Aktivismus.

Dr. Marco Bitschnau ist Postdoktorand an der Professur für Soziologie mit Schwerpunkt soziale Bewegungen (Universität Konstanz) und Mitglied des Exzellenzclusters The Politics of Inequality.

Prof. Dr. Priska Daphi ist Professorin für Konfliktsoziologie an der Universität Bielefeld, Herausgeberin (Editor-in-Chief) von Social Movement Studies und Gründungsmitglied des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung.

Prof. Dr. Sebastian Haunss ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bremen. Am SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik leitet er die Arbeitsgruppe soziale Konflikte und ist Vorstandsvorsitzender des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung.

Dr. Elias Steinhilper ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) in Berlin und arbeitet zu Sozialer Bewegung und Zivilgesellschaft in (europäischen) Migrationsgesellschaften.

Dr. Simon Teune ist Soziologe mit den Forschungsschwerpunkten politische Öffentlichkeit und soziale Bewegungen und arbeitet er an der Freien Universität Berlin im Sonderforschungsbereich Intervenierende Künste.

In Zusammenarbeit mit

nach oben