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Aus 28 wird 27.

Es ist tatsächlich passiert: Großbritannien verlässt die EU. Das ist eine Zäsur, ein historischer Wendepunkt. Aber viel wichtiger als das, was jetzt zu Ende geht, ist: Was kommt? Wie kann es weitergehen?

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Die Worte sind groß an diesem Tag: Zäsur, Absturz, Schicksalstag für Europa. Und nach allem, was wir bislang wissen, sind diese Worte nicht zu groß. Die Wähler_innen in Großbritannien haben sich mit einer Mehrheit von 51,9 Prozent entschieden, die Europäische Union zu verlassen. Damit ist Europa wortwörtlich über Nacht ein anderes geworden. Die Geschichte der europäischen Einigung war eine der wachsenden Gemeinschaft. Die europäische Integration kannte nur eine Richtung: größer und tiefer. Großbritannien ist nach 60 Jahren das erste Land, das für eine Schubumkehr sorgt: Es ist der erste Austritt, zum ersten Mal in ihrer Geschichte wird die Union kleiner. Aus 28 wird 27.

Mehr als eine Zahl

Doch die Dramatik dieser Entwicklung wird in der reinen Arithmetik nicht deutlich. Zunächst: Der Austritt wird zu einer Option - auch für andere Mitgliedsländer. Die rechtspopulistischen Kräfte in Europa haben sich ihrerseits bereits in Stellung gebracht und fordern, dem britischen Beispiel zu folgen. Wie das die europäische Politik verändern wird, ist nicht abzusehen.

Ebenso ist vollkommen unklar, wie der Austritt eigentlich aussehen soll: Die Verhandlungen über die Art der Verbindung Europas und Großbritanniens werden nun erst beginnen und bis zu zwei Jahre dauern - das sieht Artikel 50 des EU-Vertrages vor. Wie eng die Beziehung dann noch sein wird, kann niemand sagen. Erschwert wird die Situation auch durch die unübersichtliche innenpolitische Gemengelage. „Das Brexit-Lager hat eine Anti-Kampagne geführt, nicht aber für eine Zukunftsperspektive“, sagt Ulrich Storck, Leiter des FES-Büros in London. Mit dem Rücktritt Camerons ist auch unklar, wer überhaupt die Interessen des Königreichs weiter vertritt. „Wahrscheinlich ist, dass man diese Aufgabe dem neu zu wählenden Premier überlässt“, glaubt Storck. Bis dahin würde Europa in eine Phase der Unsicherheit und Lähmung eintreten.

Das öffentlich größte Thema am Tag nach dem Brexit sind die fallenden Aktienkurse. Fünf Billionen Dollar an Aktienwerten sollen in der Folge des Austritts vernichtet worden sein. Der Dax erlebte seinen stärksten Fall nach der Finanzkrise 2008, Großbritannien soll einigen Prognosen zur Folge seine Stellung als fünftgrößte Wirtschaftsmacht der Welt verloren haben.

Das alles ist dramatisch, aber wenn der Ausgang des Referendums eines gezeigt hat, dann wohl auch, dass eine einzig auf wirtschaftliche Vorteile zielende Argumentation keine Wahlen gewinnt - und schon gar keine Herzen. David Cameron und mit ihm viele Unterstützer_innen der Remain-Kampagne haben in ihrer Argumentation immer auf den wirtschaftlichen Schaden hingewiesen, den ein Austritt zur Folge hätte. Eine Debatte der Angst, die keine positiven Argumente gefunden hätte, findet auch Ulrich Storck. „Während es der Remain-Kampagne nicht gelang, in der antieuropäischen Gesamtstimmung des Landes ein einziges positives Argument für die EU zu finden, wirkte bei der Brexit-Kampagne die positiv formulierte Perspektive auf Unabhängigkeit, die Wiedererlangung von Kontrolle über das eigene Land“. Das hat nicht verfangen. Europa ist größer als seine wirtschaftlichen Vorteile und ein Zusammenhalt ist nicht allein damit zu begründen, dass es ohne einander wirtschaftlich schwieriger würde.

Europa, was nun?

Was aber kann dann eine Strategie sein, für Europa zu werben? Und was überhaupt kann in den nächsten Monaten passieren - wirtschaftlich, politisch, kulturell? Mitten hinein in die Unsicherheit über den Fortgang Europas fragt das Landesbüro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Hannover nur einen Tag nach dem Brexit-Referendum: Europa, was nun? Geplant war diese Veranstaltung schon zuvor. „Es ist eine drängende politische Frage, eigentlich unabhängig vom Ausgang“, sagt Urban Überschär, Leiter des Landesbüros Niedersachsen. Auch bei einer Entscheidung für Europa hätte man diskutieren müssen, wie die EU sich verändern muss. „Aber natürlich hätten wir lieber über die Zukunft Europas mit Großbritannien diskutiert“, sagt Überschär.

Das öffentliche Interesse für die Veranstaltung dürfte besonders groß sein - auch wegen des vielfältig besetzten Podiums. Mit dabei wird auch John Goodyear sein, der in Oldenburg an der Academy of English arbeitet und in der Stadt der deutsch-britischen Gesellschaft angehört. „Ich bin enttäuscht, aber nicht überrascht“, sagt er - sieht aber eine Zeit großer Ungewissheit für ihn und andere Briten in Europa heraufziehen. Dass der Ausgang des Referendums Folgen weit über die Insel hinaus haben wird, ist unter politischen Beobachter_innen unbestritten. Was der Austritt auch für das Land Niedersachen bedeuten könnte, zeigt Birgit Honé, Staatssekretärin für Europa in der Niedersächsischen Staatskanzlei. Einblicke in die Diskussion auf europäischer Ebene geben derweil Europaabgeordneter Bernd Lange und der Luxemburgische Botschafter Georges Santer. Zudem beleuchtet Claas Friedrich Germelmann, Professor für Europäisches Recht in Hannover, die europarechtlichen Folgen.

Trotz alledem

Der Tag nach dem Brexit - für viele fühlt es sich irgendwie nach politischem Kater an: Ratlosigkeit beherrscht aktuell den politischen Diskurs. Die Veranstaltung in Hannover möchte gerne ein anderes Signal senden - trotz alledem. „Auch wir sind geschockt. Aber ich hoffe, wir können dennoch ein Signal der Ermutigung aussenden“, sagt Überschär. „Europa ist nicht zu Ende, aber es muss sich verändern. Und für ein anderes Europa lohnt es sich zu streiten“. Optimistisch blickt auch der Brite John Goodyear in die Zukunft: „Verständigung und Austausch werden nicht aufhören. Das sagen mittlerweile sogar die Brexit-Befürworter“.

LINKS

Roger Liddle und Florian Ranft: Brexit – Was für die EU und Großbritannien auf dem Spiel steht.


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