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Europäische Industrie- und Wettbewerbspolitik und die Auswirkung der Corona-Pandemie

Die EU-Ratspräsidentschaft ist auch eine Chance für die europäische Industriepolitik. Doch dies hängt entscheidend von dem Umgang mit Covid-19-Krise ab.

Schon vor Ausbruch der Corona-Pandemie erlebte die Diskussion um eine europäische Industriepolitik eine Renaissance. Dabei geht es nicht um das Erreichen einer bestimmten Prozentzahl am Anteil des BIP, sondern darum, wie sich die EU im globalen Kontext aufstellen muss, um wettbewerbsfähig zu bleiben bzw. zu werden. Auch der Brexit, mit dem sich Großbritannien, als zentraler Befürworter der Marktkräfte und einer wirtschaftsliberalen Politik aus der EU-Debatte verabschiedete, hat zur Befeuerung der Diskussion beigetragen.

Balance von staatlichen Eingriffen vs. wirtschaftlicher & unternehmerischer Freiheit

Mit der Pandemie stellen sich ganz neue Fragen zur „richtigen“ Ausrichtung europäischer Wirtschaftspolitik. Es geht nicht mehr nur um die Frage von Industrie vs. Dienstleistung, um eine bessere Umsetzung des EU-Binnenmarkts oder um die Digitalisierungsnotwendigkeiten. Es geht viel mehr um die Frage Nachhaltigkeit und der Resilienz der europäischen Wirtschaft sowie darum, ob die Krise „genutzt“ werden kann, die Transformation zu einem nachhaltigeren und digitalen Wirtschaftssystem zu fördern.

Welche Unternehmen bzw. Sektoren brauchen staatliche Hilfen? Sollte der Staat seine Hilfsleistungen vor allem auf Aktivitäten fokussieren, die der politischen Zielsetzung des strukturellen Wandels hin zu mehr Nachhaltigkeit dienen? Welche Rolle spielt die EU? Die Regierungen und die Wirtschaft in Europa stehen vor der Aufgabe, eine neue Balance von staatlichen Eingriffen und Zielsetzungen einerseits und wirtschaftlicher, unternehmerischer Freiheit andererseits zu finden.

Großer Spielraum für Mitgliedstaaten bei Gewährung von staatlichen Beihilfen für Unternehmen

Die EU hat für sich klargestellt, dass ihr zentrales Corona-Hilfspaket mit einem Volumen von 750 Milliarden Euro Investitionen in den ökologischen und digitalen Wandel fördern soll. Die Gelder sollen von der EU-Kommission durch das Aufnehmen von Anleihen am Kapitalmarkt mobilisiert werden – ein präzedenzloser Schritt in der Geschichte der EU. Im Juli einigten sich die Staats- und Regierungschefs bei ihrer Sondertagung auf einen Dreiklang von „Konvergenz, Resilienz und Wandel“ (Schlussfolgerungen des Europäischen Rates, 17.-21. Juli 2020) für den Aufbaufonds. Er soll die europäischen Volkswirtschaften reformieren und die Gesellschaft modernisieren. Die Umweltminister der EU-Staaten hatten zuvor bereits erklärt, dass Nachhaltigkeit und Klimaschutz auch im Kontext von Corona weiter gleichzeitig möglich sind (Videokonferenz auf Ministerebene „Umwelt“, 23. Juni 2020).

Wegen der wirtschaftlichen Implikationen der Corona-Pandemie hat die EU-Kommission, als Hüterin der EU-Verträge, den Mitgliedstaaten großen Spielraum bei der Gewährung von staatlichen Beihilfen für Unternehmen gegeben. Insbesondere Hilfen für kleine und mittlere Unternehmen und Start-Ups können von den befristeten Änderungen des EU-Beihilferahmens (Kommunikation der EU-Kommission C(2020)1863, vom 19. März 2020) profitieren. Allein in Deutschland wurden auf dieser Basis Milliarden-Hilfspakete gewährt. Allerdings keineswegs nur für kleine und mittelständische Betriebe. Gerade auch große Unternehmen, von Bahn bis Lufthansa, profitieren von kräftigen Unterstützungszahlungen.

Abbau von Divergenzen sollte ein zentrales Kriterium der Industrie- und Wettbewerbspolitik sein

Doch hier wird es kritisch – während Deutschland über nationale Mittel verfügt, seinen Wirtschaftsakteuren finanziell durch die Krise zu helfen, sind andere EU-Mitgliedstaaten dazu nicht bzw. nicht in vergleichbarem Umfang in der Lage. Die Diskussion darüber, ob die EU wirtschaftlich schwächeren Mitgliedern via Zuschüsse oder Kredite helfen sollte, diese Ungleichheit zu überwinden, brachte fast die Einigung der Staats- und Regierungschefs über das EU-Budget für die Jahre 2021-2027 zum Kippen. Ohne eine solche Unterstützung würde jedoch eine Verstärkung der ohnehin schon problematischen wirtschaftlichen und sozialen Divergenzen in der EU drohen. Das kann nicht im Interesse ihrer Mitglieder liegen.

Der Abbau dieser Ungleichheiten sollte ein zentrales Kriterium der Industrie- und Wettbewerbspolitik sein. Denn es sind Verzerrungen, die die „unsichtbare Hand des Marktes“ allein nicht wird beheben können. Der Staat muss hier wieder eine aktivere Rolle einnehmen und vor allem in den Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge stärker präsent sein. Investitionen in die Infrastruktur, von Schulen über Krankenhäuser bis hin zu Kommunikationsnetzwerken sind entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit einer Region. Ziel ist dabei nicht, dass der Staat den Wettbewerb außer Kraft setzt oder als der vermeintlich bessere Unternehmer agiert. Doch genauso wie die „frugal four“, die vier EU-Mitgliedstaaten (Dänemark, Niederlande, Österreich, Schweden), die sich gegen eine vermeintlich kontroll- und kriterienlose Vergabe von Zuschüssen an andere EU-Partner gewehrt haben, können auch Unternehmen nicht erwarten, dass staatliche Finanzspritzen bedingungslos zu haben sind.

Pandemie als Katalysator und Beschleuniger von Trends

Corona hat bereits in vielen Bereichen zu massiven Veränderungen geführt und Debatten über mehr europäische Souveränität auch in der globalen Wirtschaftspolitik befördert. Dabei geht es um ein Überdenken von Lieferketten, um die Produktion bestimmter strategischer Güter auf europäischem Boden, um staatliche Investitionen in mehr Nachhaltigkeit und um die Definition einer modernen, resilienten Wirtschaft und Gesellschaft. Damit wirkt die Pandemie als Katalysator und Beschleuniger einer Reihe von Trends. Wettbewerbsfähig wird nur sein, wer den Wandel für sich zu nutzen weiß. Das gilt auf europäisch-nationaler Ebene ebenso wie für einzelne Unternehmen.

 

Über die Autorin

Sandra Parthie leitet seit 2015 das Brüsseler Büro des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Sie ist seit 2018 stellvertretende Sprecherin des FES-Managerkreises auf Bundesebene und seit 2020 Sprecherin der AG Wirtschaft & Digitales. Sie studierte Politikwissenschaften und VWL in Berlin und in Montréal. Seit 2005 lebt und arbeitet sie in Brüssel, zunächst als wissenschaftliche Mitarbeiterin eines Europaabgeordneten, dann als Vertreterin des französischen Industriekonzerns Alstom. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Wirtschafts- und Energiepolitik.


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