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Europäische Einstellungen zu Migration bleiben stabil

Eine neue Studie der FES untersucht die Einstellungen zu Migration in Europa. Wir sprachen mit den Autor_innen über Tendenzen und Ursachen.

FES: Sie haben untersucht, wie sich die Einstellungen zu Migration in Europa nach der sogenannten "Migrationskrise" verändert haben. Was haben Sie herausgefunden?

Bence Ságvári: Im Gegensatz zu den dominanten Mediennarrativen, dass sich die Einstellungen zu Migration verschlechtert haben, konnten wir eine solche Entwicklung  in den meisten Ländern nicht bestätigen. Die demoskopischen Daten des European Social Survey belegen: Die meisten Europäer_innen blieben ausgewogen. Sie sehen sowohl die positiven, als auch die negativen Folgen von Einwanderung. Da wir auch einen längeren Zeitraum angeschaut haben, kann man generell sagen, dass die Einstellungen bezüglich Migration sehr stabil sind. Weder die Wirtschaftskrise von 2008 noch die sogenannte "Migrationskrise" von 2015 hat daran viel geändert. Im direkten Zeitraum vor und nach den sehr großen Migrationsbewegungen ist die Ablehnung sogar um 5 Prozentpunkte (von 15 auf 10 Prozent) im europäischen Durschnitt zurückgegangen. Diese Entwicklung war vor allem in Großbrittanien, Irland oder Portugal signifikant.

Vera Messing: Es gibt allerdings ein paar Länder, in denen sich die negativen Einstellungen verstärkt haben. Davon war Ungarn das einzige Land, wo wir erdrutschähnliche Erschütterungen messen konnten. Im Durchschnitt würden 12 Prozent der europäischen Bevölkerung keine einzigen Migrant_innen aus ärmeren, nicht-europäischen Drittländern in die EU aufnahmen, in Ungarn sind es unglaublich viel - 62 Prozent. Mit Abstand der höchste Wert.

Welche Faktoren beeinflussen die Einstellung zu Migration negativ?

V. M.: Die Ergebnisse zeigen, dass negative Einstellungen wenig mit Migration selbst zu tun haben. Man könnte sagen, dass die Fremdenfeindlichkeit in den Regionen am stärksten ist, wo es kaum Einwanderinnen und Einwanderer  gibt, aber ein bestimmtes Unsicherheitsgefühl in der Gesellschaft weit verbreitet ist. Viele finden ihre kulturelle und existenzielle Situation unsicher. Diese Menschen glauben, sie könnten ihr Leben nicht kontrollieren, bzw. sie fühlen sich in der sich rasch verändernden Welt alleingelassen und entfremdet. Ein solches gesellschaftliches Klima ist perfekt für eine migrationsfeindliche Rhetorik. Dabei nimmt besonders der vorherschende politische Diskurs eine wichtige Rolle ein. Er bestimmt, ob negative Perzeption auch zu Ablehnung, also zu einem negativen Benehmen, führt.

Welche persönlichen Werte beeinflussen die Wahrnehmung von Einwanderung?

B. S.: Wir haben zwei unterschiedliche Werte gefunden, die in einer Korrelation mit der Perzeption von Einwanderung stehen. Der eine ist das Bedürfnis nach Sicherheit: diejenigen, bei denen es dominant ist, sind weniger offen gegenüber Migration eingestellt. Der andere Wert ist die Humanität, der Respekt gegenüber Mitmenschen und deren Akzeptanz: wer diese Werte für wichtig hält, ist auch Einwandernden gegenüber aufgeschlossener. In den meisten Ländern (Dänemark, Schweden, Norwegen, Finland, Niederlande, Frankreich, Deutschland, Schweiz und Belgien) sind humanitäre Werte wichtiger als Sicherheit.

V. M.: Außer diesen persönlichen Werten sind auch politische Präferenzen ausschlaggebend: diejenigen, die links wählen, sind Migrant_innen gegenüber aufgeschlossener, unabhängig davon, wo sie im linken Spektrum verortet sind. In Richtung rechts und rechtsaußen wird man immer ablehnender (mögliche Grafik S. 31): die Rechtsextremist_innen zeigen die stärkste Ablehnung. Interessant ist ebenfalls, dass es keine klassischen demographische Faktoren für diejenigen gibt, die Zuwanderung extrem ablehnen. Solche Menschen lassen sich in allen Bevölkerungsschichten finden. Ihr Identitätsmerkmal ist, dass sie meistens extrem vereinsamt und enttäuscht sind. Ihre Zukunft sehen sie als sehr unsicher.

Wie stark sind die Unterschiede auf regionaler Ebene?

V. M.: Wir haben auch die Daten in den verschiedenen europäischen Regionen analysiert, aber der Länderbezug, die politisch-kulturelle Gemeinschaft einer Nation ist viel relevanter. In einigen Ländern konnte man trotzdem großes Risse entdecken, insbesondere zwischen der Wahrnehmung in Großstädten und auf dem Land. So sind beispielsweise Menschen in Brüssel, Paris, Berlin oder London, wesentlich positiver gegenüber Migration eingestellt als in ländlichen Regionen.

Wie lautet ihre Empfehlung für eine progressive Politik?

B. S.: Linke Politik sollte der vereinfachten Erzählweise, mit der populistischen Politiker_innen die Welt in zwei Teile teilen, etwas entgegensetzen. Deren Erzählung lautet, dass es nur Menschen gäbe, die Migration unterstützen oder ablehnen und es keinen Raum zwischen diesen beiden Polen gäbe. Dabei ist absolut legitim, vor Fremden Angst zu haben oder Sicherheit anzustreben. Aber gleichzeitig muss vermittelt werden, dass eine offene, freundliche Gesellschaft oder eine gute wirtschaftliche Lage ein Umfeld schaffen kann, in dem sich Menschen wohl und sicher fühlen.

 

Über die Autor_innen:

Vera Messing ist Senior Research Fellow am Center of Social Sciences, HAS und am Center of Policy Studies, CEU in Budapest.

Bence Ságvári ist Senior Research Fellow am HAS und nationaler Koordinator für die Europäische Sozialerhebung (European Social Survey, ESS) in Ungarn.

 


Messing, Vera; Ságvári, Bence

Still divided but more open

Mapping European attitudes towards migration before and after the migration crisis
Budapest, 2019

Zum Download (PDF) (5,7 MB PDF-File)


Gesamtkoordination

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Projektleitung

Arne Schildberg

Hiroshimastraße 28
10785 Berlin

030/26935-7743

Arne.Schildberg(at)fes.de

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