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Quality matters!

Eine neue FES-Studie richtet zum ersten Mal die Aufmerksamkeit auf die Qualität der Arbeit, die Geflüchtete in den letzten Jahren aufgenommen haben.

Bild: Dr. Yuliya Kosyakova von Kurt Padoga, IAB

Bild: von shutterstock/Aleksandar Malivuk

 

Wir sprachen mit Dr. Yuliya Kosyakova. Sie ist Autorin der neuen FES-STudie "Mehr als nur ein Job. Die qualitative Dimension der Integration in Arbeit von Geflüchteten in Deutschland".

FES: Frau Dr. Kosyakova, Sie sind Soziologin und forschen vor allem quantitativ. Nun haben Sie sich mit der Qualität von Arbeit beschäftigt. Wie geht eine quantitativ orientierte Soziologin an diese Fragestellung heran und wie kann Arbeitsqualität eigentlich gemessen werden?

Dr. Yuliya Kosyakova: Zunächst habe ich mich als Forscherin gefragt, wie bemisst sich Qualität der Arbeit? So basiert zum Beispiel die EU-Definition der Arbeitsplatzqualität auf einem mehrdimensionalen Ansatz, der objektive Merkmale des Arbeitsplatzes, die subjektive Bewertung der Arbeitnehmer_innen, die Merkmale des Arbeitnehmers und die Übereinstimmung zwischen Arbeitnehmer_in und Arbeitsplatz umfasst. Die Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) definiert Gute Arbeit als diejenige, die sich vor allem durch entwicklungsförderliche und belastungsarme Arbeitsbedingungen auszeichnet und möglichst umfangreiche Ressourcenausstattung, möglichst geringere Belastungen sowie ein möglichst angemessenes und leistungsgerechtes Einkommen sowie Sicherheit umfasst.

Dementsprechend schließt das Konzept der Arbeitsqualität folgende Kerndimensionen ein: Einkommen, Arbeitgeberleistungen und soziale Sicherung; Beschäftigunsicherheit; Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten; Autonomie und Einfluss; Arbeitsanforderungen und -belastungen; Arbeitssicherheit; soziale Beziehungen am Arbeitsplatz sowie die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben. Gute Arbeit wird in weiteren Quellen, wie beispielsweise dem DGB-Index „Gute Arbeit“, auf ähnliche Weise definiert.

Um der Mehrdimensionalität von Arbeitsqualität zu berücksichtigen, habe ich in der Studie unterschiedliche Indikatoren in die empirische Analyse einbezogen, die auf das individuelle Wohlbefinden und die Stabilität der Beschäftigung einen Einfluss haben können. Dies betrifft formale Aspekte des Beschäftigungsverhältnisses, Merkmale des Arbeitskontexts und Charakteristika der Arbeit als solche sowie die Wahrnehmung bestimmter Aspekte der Beschäftigung durch die Geflüchteten selbst.

Die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht, das belegen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit. Auf den Punkt gebracht: Ist sie auch mit Blick auf die Qualität eine Erfolgsgeschichte?

Die Studienbefunde zeichnen ein eher ambivalentes Bild. Einerseits erfolgte die Arbeitsmarktintegration der Geflüchteten vornehmlich in Jobs, die häufig durch geringere Ressourcen für Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten, höhere körperliche Belastung, geringeres Einkommen, schlechtere Arbeitsbedingungen sowie schwache Aufstiegschancen gekennzeichnet sind. So arbeitete mehr als die Hälfte der Geflüchteten in der Lagerwirtschaft, Post und Zustellung, Güterumschlag, Speisenzubereitung, Reinigung und Gastronomie. Ferner sind Geflüchtete in einer ersten Phase der Erwerbsintegration häufig in Helfer_innen- oder Anlerntätigkeiten und in atypischen Beschäftigungsverhältnissen zu finden.

Andrerseits verrichtet knapp die Hälfte der erwerbstätigen Geflüchteten bereits fachliche Tätigkeiten und hochkomplexe Expert_innentätigkeiten. Mit zunehmender Aufenthaltsdauer gehen die Anteile in atypischen Beschäftigungsverhältnissen zurück, mehr Geflüchtete wechseln in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis und Vollzeitbeschäftigung. Der Ausblick auf die Beschäftigungsqualität der Geflüchteten verspricht somit einen positiven Trend. Die subjektive Bewertung der Arbeitsqualität spiegelt sich in den objektiven Merkmalen der Arbeitsqualität wider.

Auf den Punkt gebracht: Die Arbeitsmarktintegration der Geflüchteten braucht Zeit – dieses Ergebnis steht mit vielen anderen empirischen Studien im Einklang. Bis vor Kurzem waren erste positive Entwicklungen nicht nur in Bezug auf das Ausmaß, sondern auch die Qualität der Beschäftigung erkennbar.

Gab es etwas, das Sie im Laufe der Erarbeitung der Studie überrascht hat bzw. eine Erkenntnis, mit der Sie so nicht gerechnet hatten?

Überraschend war zum Beispiel der Befund, dass knapp die Hälfte der erwerbstätigen Geflüchteten ihren Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt über eine Tätigkeit auf Facharbeiterniveau oder sogar auf hochkomplexem Expert_inneniveau findet.

Ein weiteres interessantes Ergebnis ist, dass es 15 Prozent der erwerbstätigen Geflüchteten gelang, in Jobs einzusteigen, für die sie formell unterqualifiziert sind. Diese weist auf eine Anerkennung von arbeitsmarktrelevanten Fähigkeiten und Fertigkeiten durch Arbeitgeber_innen hin, die durch langjährige Berufserfahrung im Herkunftsland oder in Transitländer erworben wurden. Für ein Land, das ansonsten so auf formale Bildungsabschlüsse fixiert ist, ist das eine erstaunliche Feststellung.

Die Daten zeigen, dass fünf Jahre nach Zuzug der anfänglich hohe Anteil der geringfügig Beschäftigten (25 Prozent aller erwerbstätigen Geflüchteten) bei nur noch elf Prozent liegt. Dies weist darauf hin, dass geringfügige Beschäftigung für Geflüchtete eine Art Brückenfunktion in reguläre Vollzeitbeschäftigung sein kann. Gleichzeitig birgt geringfügige Beschäftigung aber auch immer die Gefahr, zur Sackgasse zu werden.

Schließlich muss festgestellt werden, dass sich zwar ein deutlicher Anstieg der Verdienste im Zeitverlauf für Geflüchtete ergibt. Die eigenständige Alterssicherung oberhalb des Grundsicherungsniveaus dürfte mit den derzeitigen durchschnittlichen Bruttostundenlöhnen für die meisten – analog zu anderen Erwerbstätigen im Niedriglohnbereich – aber nicht möglich sein.

Grundlage für Ihre Studie waren die Daten aus der IAB-BAMF-SOEP-Befragung. Was macht diesen Datensatz so besonders und welche anderen Datenquellen haben Sie in Ihre Überlegungen zum Thema der qualitativen Dimension der Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten einbezogen?

Die IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten ist eine der wenigen umfassenden Datengrundlagen zu den  in den letzten Jahren nach Deutschland geflüchteten Personen. Es handelt sich dabei um eine Längsschnittbefragung, d.h. sie wird jährlich seit 2016 durchgeführt und ermöglicht damit die Analyse von Veränderungsprozessen im Zeitverlauf. Enthalten sind rund 5.000 Haushalte, das sind 7.400 erwachsene Personen, die mindestens einmal befragt wurden. Die Daten sind repräsentativ für die zwischen Januar 2013 und Dezember 2016 nach Deutschland Geflüchteten. Der Reichtum des Datensatzes ermöglicht unter anderen einen detaillierteren Blick auf Migrations-, Bildungs- und Erwerbsbiografien. Auch ist neben objektiven Indikatoren der Arbeitsqualität die subjektive Wahrnehmung der Arbeitsplatzsicherheit und -zufriedenheit berücksichtigt.

Ihrer Studie beruht auf Daten aus der vor-Corona-Zeit. Bei aller wissenschaftlichen Vorsicht: Welche Auswirkungen erwarten Sie für die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten unter den neuen Vorzeichen?

In der Tat fällt die Studie in eine Zeit, die von der COVID-19-Pandemie geprägt ist. Diese hat schwerwiegende Folgen für die Wirtschaft und damit auch für den Arbeitsmarkt. Die Auswirkungen der Pandemie auf die globale Gesundheit und die Weltwirtschaft lassen sich noch nicht vollständig abschätzen. Nichtdestotrotz können wir schon heute die negativen Folgen für die Arbeitsmarktintegration der Geflüchteten voraussehen. Empirischen Studien zufolge sind Zuwandernde – Geflüchtete besonders – von konjunkturellen Krisen überproportional betroffen. Die ersten Befunde anhand der Daten der Bundesagentur für Arbeit belegen dies und weisen darauf hin,  dass seit Beginn der Pandemie Arbeitslosigkeit bei Ausländer_innen im Vergleich zu Deutschen viermal so stark zugenommen hat.  Bei Personen aus Asylherkunftsländern ist dieser Anstieg noch einmal deutlich höher.

Dazu zieht die Krise – mit Ausnahme einiger systemrelevanter Berufe – überproportional Sektoren in Mitleidenschaft, die eine physische Präsenz der Arbeitskräfte erfordern, aber vom Lockdown besonders betroffen sind. Beispiele hierfür sind z.B. die Hotelbranche und die Gastronomie. Wie die empirischen Befunde meiner Studie zeigen, arbeiten viele Geflüchtete in diesen Sektoren. Somit ist zu erwarten, dass die Geflüchtete auch überproportional von Entlassungen und Kurzarbeit betroffen sind bzw. sein werden.

Darüber hinaus waren bzw. sind die Sprach- und Integrationsmaßnahmen sowie die schulische und berufsbildende Ausbildung größtenteils ausgesetzt oder verlangsamt. Die soziale Isolation kann negative Folgen auf die vorhandenen traumatischen Erfahrungen und das psychische Wohlbefinden sowie auch die Motivation bei der einzelnen Person haben. Dies, zusammen mit dem Umstand, dass Geflüchtete meist über schwächere soziale Netzwerke in der Mehrheitsgesellschaft verfügen, könnte sie auf dem Arbeitsmarkt und damit auch mit langfristigen Folgen für die Gesamtintegration zu einer der größten Verlierergruppen der aktuellen Krise machen.

 

Dr. Yuliya Kosyakova ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg und Lehrbeauftragte an den Universitäten Mannheim und Bamberg. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen u.a. auf Arbeitsmarktfragen, dem Themenbereich Migration und Geflüchtete wie auch Geschlechterungleichheit.

 

Kosyakova, Yuliya

Mehr als nur ein Job

Die qualitative Dimension der Integration in Arbeit von Geflüchteten in Deutschland
Bonn, 2020

Zum Download (PDF) (470 KB, PDF-File)


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