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Die Angst vor dem Unbekannten

Entscheidend für die Zukunft der EU ist vor allem, was die Bürger_innen selbst für die Kernaufgaben der EU halten. Das Meinungsbild hat sich diesbezüglich stark gewandelt.

Bild: von Fotomovimiento lizenziert unter CC BY-NC-ND 2.0

Die EU soll sich ändern! Ganz dringend! Reform der Eurozone! Mehr gemeinsame Verteidigung! Mehr Austausch der Nachrichtendienste! Während diese Themen nicht zuletzt seit der Amtsübernahme von Emmanuel Macron im Elyséepalast die europäische Agenda bestimmen, und von der Politik bis zur Wissenschaft analysiert wird, welche dieser Reformen in der momentanen europäischen Gemengelage überhaupt durchsetzbar sind, ist eine Frage leicht ins Hintertreffen geraten: wofür glauben eigentlich die EU-Bürger_innen soll Brüssel zuständig sein – und wofür der Nationalstaat?

Die Flüchtlingspolitik bestimmt das Bild dort,…

Zahlen einer in acht großen EU-Ländern durchgeführten Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigen, dass in nahezu allen Ländern nach wie vor die Frage der Migration eine dominante Rolle einnimmt. Es bestätigt sich, was manch einer bei Beobachtung der EU-Politik in den letzten Jahren wohl geahnt haben muss: um den Zuzug von Geflohenen für ein dringendes Problem zu halten, müssen gar keine im Land sein.

…wo keine sind

In Tschechien und der Slowakei empfinden mit 85%, bzw. 84% eine überwältigende Mehrheit der Menschen das Thema als dringlich. In Italien dagegen, wo seit Schließung der Balkanroute wieder mit Abstand die meisten Flüchtlinge ankommen, sind es „nur“ 60%. Auch hier steht das Thema damit auf Platz 1 der europäischen To-Do Liste, nimmt aber weitaus weniger Raum ein als in den zwei mitteleuropäischen Staaten, in denen Flüchtlinge nach wie vor mit der Lupe kaum zu finden sind. Es zeigt sich, dass die Vehemenz mit der Tschechien seinen Widerstand gegen einen europäischen Verteilungsmechanismus bis zum Europäischen Gerichtshof zu tragen die anderen Mitgliedsländer zwar vor eine Geduldsprobe stellen mag – die klagenden Regierungen dabei durchaus ihre Bevölkerungen hinter sich wissen. 

Großer Bedeutungsverlust in Deutschland

In Deutschland nennen 41% der Menschen die Flüchtlingspolitik als wichtigstes oder zweitwichtigstes Thema. Im Vergleich zum Durchschnitt aller befragten Länder (54%) sind das keine dramatischen Unterschiede. Frappierend ist jedoch der Vergleich mit der Situation vor zwei Jahren: damals nannten nicht mehr und nicht weniger als 75% der Bundesbürger, und damit 34% mehr als heutzutage, die Flüchtlingspolitik als wichtigste oder zweiwichtigste Aufgabe der EU. Zwar hat mit Ausnahme von Schweden die Bedeutung der Flüchtlingspolitik in allen befragten Ländern nachgelassen – aber nirgendwo so stark wie in Deutschland. Es kann der Eindruck entstehen, dass die Flüchtlingspolitik in Deutschland rasant an Bedeutung gewann, aber ebenso rasch ihre Omnipräsenz wieder einbüßte. Auch das sicherlich ein Ergebnis des flüchtlingspolitischen Wechsels, der mit Schließung der Balkanroute und dem Türkeiabkommen spätestens ab 2016 eingeleitet wurde.

Auf Platz 2 der europäischen Prioritätenliste steht nach Meinung der Befragten in den acht Ländern der Abbau der Arbeitslosigkeit.  Durchschnittlich 28% geben diese als erst- oder zweitwichtig an – das sind 9% weniger als 2015, und die nationalen Unterschiede bleiben groß: In Spanien, das nach wie vor unter großer Jugendarbeitslosigkeit leidet, sind es 46%. Damit sind nur hier die Fragen der Arbeitsmarktpolitik wichtiger als Flüchtlingspolitik. In Deutschland dagegen nennen nur 16% den Abbau der Arbeitslosigkeit als dringliches Thema für die EU  – es sackt damit gegenüber der Befragung im Jahr 2015 um ganze drei Plätze ab.

Europäische Terrorbekämpfung

So wie die Flüchtlingsfrage seit 2015 fast durch die Bank weg an Bedeutung verloren hat, steigt in allen Ländern die Zahl derjenigen, die Terrorismusbekämpfung für eine dringliche Aufgabe der EU halten. Auch hier gibt es wieder eine interessante Ausnahme: Deutschland. Trotz der im Jahr 2016 auch im Zuge des Terroranschlags auf dem Berliner Breitscheidplatz vielerorts geäußerten Einschätzung, der „Terror sei nun auch nach Deutschland gekommen“, nennen hierzulande nach wie vor lediglich 15% das Thema als erst- oder zweiwichtig. Den Spitzenwert (33%) erreicht auch hier Tschechien, wo das Thema Terrorismusbekämpfung möglicherweise in den Kontext des dominanten Themas Migration gerückt wird. Das Muster, nachdem für Angst vor Migration und Terror weder Berührungspunkte mit dem einen noch dem anderen von Nöten sind, bestätigt sich hier.

Ansprechpartner in der Stiftung

Arne Schildberg


Friedens- und Sicherheitspolitik in Europa

Die neuen außenpolitischen Herausforderungen überfordern nationalstaatliche Reaktionsmöglichkeiten: Europa muss einen gemeinsamen Weg finden. Bei der konkreten Ausgestaltung jedoch dominiert oft nationalstaatliches Denken. Eine europäische Zusammenarbeit ist hier besonders schwer, da nationale Sicherheit naturgemäß ein sensibles Thema ist. Trotzdem wollen wir mit verschiedenen Formaten Vertrauen schaffen und Möglichkeiten aufzeigen, an welchen Stellen eine bessere Kooperation sinnvoll wäre.

Ansprechpartnerin

Marie Meier

+49 30 26935-7418
Marie.Meier(at)fes.de

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