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Die EU und Bosnien-Herzegowina: Vom Protektorat zum EU-Kandidat

Die Europäische Union steckt in der Sinnkrise. Für junge Staaten wie Bosnien-Herzegowina ist das Ziel der EU-Mitgliedschaft dennoch weiterhin grundlegend für ihr Selbstverständnis. Aber kann die Union diese Hoffnungen noch erfüllen?

Bild: Bosnien von Andreas Lehner lizenziert unter CC BY-NC 2.0

Von Erweiterung will in der EU momentan eigentlich niemand etwas hören. Die Verhandlungen mit der Türkei sind heftig umstritten; Serbien wird sich gedulden müssen; und Albanien, Mazedonien sowie Montenegro sind zwar Beitrittskandidaten, bislang wurden aber entweder noch keine Verhandlungen aufgenommen, oder sie sind noch nicht sehr weit fortgeschritten. Kosovo und Bosnien-Herzegowina haben noch nicht einmal Kandidatenstatus und sind zudem Sonderfälle, denn sowohl beides sind Staatsgebilde, die im Zuge der Zerfallskriege im ehemaligen Jugoslawien und besonders durch internationale beziehungsweise europäische Anstrengungen entstanden sind.

Der Antrag Bosnien-Herzegowinas (kurz oft BiH genannt) vom Februar dieses Jahres liegt allerdings auf dem Tisch und soll beim EU-Außenministertreffen im September behandelt und zudem entschieden werden, ob der nächste Schritt auf dem „mühsamen Weg zur EU-Mitgliedschaft BiH“ getan werden soll. Das sagt der Leiter des FES-Büros in Sarajewo, Marius Müller-Hennig. Der Fall Bosnien-Herzegowinas ist im Kontext der verschiedenen EU-Erweiterungen ein besonderer, denn dieser Staat ist nicht zuletzt das Werk der Europäischen Union selbst. Seit dem Friedensabkommen von Dayton 1995, vor allem aber mit der Einbindung in den „Stabilisierungs- und Assoziationsprozesses“ im Jahr 2000, ist die EU beim Statebuilding dieser ex-jugoslawischen Teilrepublik engagiert. 

Die FES in Bosnien-Herzegowia hat dazu unlängst eine wissenschaftliche Studie herausgegeben. Unter dem Titel “The EU as state builder in the process of European integration - the case of Bosnia and Herzegovina” widmet sich der bosnische Rechtswissenschaftler und zivilgesellschaftliche Aktivist Srdjan Blagovcanin dem Thema Staatsaufbau und EU-Integration des Westbalkanstaates. Detailliert zeichnet er den Weg nach, der seit dem Friedensabkommen beim Aufbau staatlicher Strukturen einerseits und der Annäherung an das europäische Institutionengefüge andererseits zurückgelegt wurde. Dabei überkommt den Leser immer wieder das Gefühl, sich in diesem „bosnischen Labyrinth“ (so der Titel eines Papiers der European Stability Initiative) zu verlieren. Zahlreich sind denn auch die skeptischen bis illusionslosen Feststellungen des Autors über das Verhalten sowohl der EU als auch BiHs, zum Beispiel bei widerwilliger oder auch nur vorgetäuschter Akzeptanz und Umsetzung („fake compliance“) der EU-Vorgaben. Besonders kritisch zeigt sich Blagovcanin gegenüber den politischen Eliten der ethnischen Gruppen (muslimische Bosniaken, katholische Kroaten und orthodoxe Serben), die in erster Linie am Erhalt des Status quo interessiert seien und die Entwicklung echter rechtsstaatlicher und demokratischer Strukturen behinderten.

Kritisiert wird allerdings auch der EU-Ansatz der „Konditionalität“, der weitere Integrationsschritte an Bedingungen knüpft. Grundsätzlich ist dieses Vorgehen verständlich, Autor Blagovcanin hält aber die Forderungen mitunter für zu hoch angesetzt beziehungsweise für zu weit in die fragile konstitutionelle Architektur Bosnien-Herzegowinas eingreifend. Schwerer wiegt der Vorwurf, die EU handhabe die Mitgliedschaft als ein „moving target“ – soll heißen, werden geforderte Anstrengungen tatsächlich umgesetzt, rückt das Ziel der Mitgliedschaft entsprechend wieder etwas weiter in die Ferne. So könnten natürlich keine Motivation und Vertrauen aufgebaut werden.

Bei allem Realismus – der Autor bezeichnet BiH als in mancher Hinsicht „failed state“, als gescheiterten Staat also – sollte man aber auch nicht die tatsächlichen Fortschritte in den letzten 20 Jahren unterschlagen. Denn bisherige Erfahrungen zeigen, dass der Staatsaufbau nach Kriegen (im besten Fall) Jahrzehnte benötigt. Der Bosnienkrieg war noch zerstörerischer als die anderen Jugoslawienkriege, hat mehr Opfer gefordert und war von großer Brutalität geprägt – Stichwort Srebrenica. Seit dem Daytoner Friedensabkommen und der Phase des Staatsaufbaus, in der man Bosnien-Herzegowina korrekterweise als internationales Protektorat bezeichen muss, wurde einiges erreicht, nicht umsonst konnte das Land dieses Jahr überhaupt einen Mitgliedsantrag stellen. Beide Seiten werden jedoch noch einen langen Atem benötigen. Und die EU sich über ihre Mittel und Ziele als Staatsbaumeister verständigen müssen. Denn als solcher wird sie sich auch im Kosovo zu bewähren haben.

Ansprechpartner in der Friedrich-Ebert-Stiftung:

Marius Müller-Hennig


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