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“Eine Koalition wäre sehr instabil gewesen”

Die Türkei spielt eine Schlüsselrolle in der europäischen Flüchtlingsdebatte und wird als notwendiger Partner gesehen.

Bild: Foto: Katharina Schiele

Das Türkei-Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung hat eine Analyse zu den Wahlen in der Türkei veröffentlicht. Büroleiter Felix Schmidt im Interview.

Herr Schmidt, die AKP hat im zweiten Anlauf wieder die absolute Mehrheit erreicht. Viele betrachten dieses Ergebnis skeptisch, da es die Machtposition dieser zunehmend autoritären Regierung weiter stärkt. Doch was wäre passiert, wenn die AKP diese absolute Mehrheit ein weiteres Mal verfehlt hätte?

Ich denke, eine dritte Neuwahl hätte Erdoğan nicht durchsetzen können. Der Druck wäre sehr groß gewesen eine Koalition zu Stande zu bringen. Wir wissen von der CHP, der größten Oppositionspartei, dass sie sich bereits auf eine große Koalition vorbereitet hatte. Vertreter der CHP haben sich bei unserem Büro in der Türkei nach den Erfahrungen der großen Koalition in Deutschland und dem Koalitionsvertrag erkundigt. Der politische Kontext in der Türkei und Deutschland ist aber natürlich sehr unterschiedlich und eine Koalition aus AKP und CHP wäre sicher nicht so stabil gewesen wie es die Koalition zwischen Union und SPD ist. Im Gegenteil, es wäre vermutlich schnell zu Konflikten gekommen und die Wahrscheinlichkeit wäre hoch gewesen, dass diese Koalition schnell zerbrochen wäre.

War es Erdoğans Offensive gegen die PKK die ihm letztlich doch noch seine Mehrheit gesichert hat?

Es wird in der internationalen Berichterstattung spekuliert, dass Erdoğan gezielt diese Offensive gestartet hat, um sich als starker Mann zu präsentieren und so die Wahl zu seinen Gunsten zu beeinflussen. So weit würde ich nicht gehen. Sicher, er hat die Neuwahlen willentlich herbeigeführt, aber ansonsten kam ihm eher die PKK zu Hilfe. Die Anschläge des IS in der Türkei waren, nach Allem was wir wissen, nicht von der türkischen Regierung gesteuert. Vielleicht hätten sie verhindert werden können, aber initiiert wurden sie nicht aus Regierungskreisen. Dass die PKK darauf mit Anschlägen reagiert hat, hat Erdogan in die Hände gespielt und der HDP geschadet.

Warum hat die PKK dann so reagiert?

Derzeit verliert die PKK massiv an Einfluss gegenüber der HDP, die es geschafft hat ins Parlament einzuziehen und so demokratisch legitimiert ist, die kurdische Bevölkerung innerhalb der Türkei zu vertreten. Die PKK jedoch sieht ihre Existenzberechtigung im Kampf. In Friedenszeiten gäbe es keinen Platz für sie. Das wiederum bringt die HDP in eine extrem schwierige Position: Einerseits hat sie natürlich Kontakte in die PKK hinein und will glaubhaft die Anliegen der Kurden vertreten. Andererseits muss sie zumindest offiziell so tun, als würde sie die Terrororganisation PKK bekämpfen. Das führt zu Zerreißproben innerhalb der kurdischen Gruppierungen.

Die Türkei spielt eine Schlüsselrolle in der deutschen und europäischen Flüchtlingsdebatte und wird als notwendiger Partner gesehen, um Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak zu beherbergen. Aber destabilisiert die türkische Regierung nicht gerade die Regionen in denen die Flüchtlinge untergebracht werden oder produziert gar neue, kurdische Flüchtlinge?

Es ist deutlich geworden, dass von europäischer Seite außenpolitische Eigeninteressen beim Umgang mit Erdoğan überwiegen. Die EU und die Bundesregierung sind auf den Pakt mit dem autoritären Herrscher angewiesen, weshalb Fragen der Menschenrechte, der Pressefreiheit und der Unabhängigkeit der Justiz hinten angestellt werden. Es stimmt zwar, dass Kurden aus den Gebieten fliehen müssen, besonders rund um Diyarbakır, aber dabei handelt sich zum allergrößten Teil um Binnenflüchtlinge. Es sind keine größeren Ströme nach Europa zu erwarten. Insgesamt ist meiner Einschätzung nach der stabilisierende Einfluss der Türkei auf die Region immer noch größer als ihr destabilisierender - trotz allem.

Eine letzte Frage: Ist Wahlmanipulation ausgeschlossen?

Am Wahltag selbst: ja. Es gab flächendeckend unabhängige Untersuchungen von „Votes and Beyond”, einer Organisation, die aus den Gezi-Protesten hervorgegangen ist. Auch die Oppositionsparteien haben eigene Kontrollzählungen veranlasst, wenn auch nicht im selben Umfang. Beide sind zu dem Schluss gekommen, dass keine ergebnisverändernde Manipulation stattgefunden hat. Im Vorfeld jedoch waren die Ausgangsbedingungen sehr ungleich. Während es bei dieser Wahl keine Wahlkampfunterstützung für die anderen Parteien gab, hatte die AKP Zugriff zu den staatlichen Ressourcen. Die kleine HDP hatte darunter am meisten zu leiden und musste aufgrund der zunehmenden Gewalt ihren Wahlkampf sogar komplett einstellen.

Mehr Hintergründe zur Wahl in der Türkei finden Sie in diesem Bericht des Türkei-Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung: http://library.fes.de/pdf-files/bueros/tuerkei/12031.pdf

Die Fragen stellte Katharina Schiele


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