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Eine große Auswahl an Instrumenten für eine progressive EU-Wirtschafts- und Sozialpolitik gibt es schon, aber wie wird sich Berlin positionieren?
Bild: line culture von Andreas Wecker lizenziert unter CC BY-NC-ND 2.0
Von überall werden Forderungen zur Reform der Europäischen Union erhoben, damit sie besser auf neue Herausforderungen reagieren kann. Antieuropäische Kräfte sichern sich steigenden Zuspruch, indem sie auf Ineffizienzen der Union verweisen. Bereits im letzten Jahr hat die Europäische Kommission daher einen eigenen Diskurs zu einer konstruktiven Reformierung der EU initiiert. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat eigene, weitgehende Forderungen zum Umbau der EU aufgestellt. Insbesondere für die Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) plädiert er für eine Integrationsvertiefung. Auch aus der Wissenschaft werden Ideen unterbreitet für eine Reparatur von Defiziten der Gemeinschaft, wie sie in zahlreichen Krisen der letzten Jahre zutage getreten sind. Gerade in Fragen zur Weiterentwicklung europäischer Wirtschafts- und Sozialpolitiken zeigen sich die Mitgliedstaaten der EU besonders zerstritten. Berlin muss jetzt nachlegen.
Der Koalitionsvertrag der Deutschen Bundesregierung bekennt sich sehr deutlich und an prominenter Stelle zur europäischen Integration. Er listet eine Reihe von Reformvorhaben auf, die allerdings nicht im Detail erläutert werden. Als Antwort an die europäischen Partner und Richtungsentscheidung der Bundesregierung fehlt den stichworthaften Aussagen des Koalitionsvertrags zumeist die Konkretisierung der dort genannten Ziele und Reformideen. Doch die Zeit für Entscheidungen drängt: In wenigen Monaten finden bereits die Europawahlen statt. Zudem läuft im Jahr 2020 die Zehnjahresstrategie „Europa 2020“ aus, ab 2021 soll ein neuer Mehrjähriger Finanzrahmen für die EU gelten und bis 2023 die Bankenunion vollendet sein. Besonders im zweiten Halbjahr 2020 werden die Augen der Nachbarstaaten auf Berlin gerichtet sein, da Deutschland dann die europäische Ratspräsidentschaft innehat.
Professor Björn Hacker von der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin hat in seiner Studie "Deutschlands europapolitische Reformoptionen" für die Friedrich-Ebert-Stiftung analysiert, inwieweit eine progressive Ausgestaltung europäischer Reforminstrumente mit den von der Regierungskoalition aufgestellten Zielsetzungen vereinbar ist. Hacker beleuchtet dazu das fortschrittliche Potential sieben instrumenteller Stellschrauben im Wirtschafts- und Sozialbereich. Dazu gehören die Einführung eines Europäischen Währungsfonds, das Politikum eines europäischen Finanzministers sowie die strittige Frage eines eigenen Budgets für die Eurozone ebenso, wie die Aufstellung der künftigen EU-Finanzen. Weil aber nicht allein die medial immer wieder porträtierten Konflikte der Mitgliedstaaten zur Reform der Währungsunion relevant sind für eine stabile und effizientere EU, widmet Hacker sich auch möglichen Instrumenten zur Gestaltung einer sozialen Union. Dazu beitragen könnten etwa eine engere Koordinierung von Lohnpolitiken und gemeinsame Standards für die Unternehmenssteuern. Der Koalitionsvertrag nennt zudem einen Europäischen »Sozialpakt« als Ziel, dessen Inhalt noch bestimmt werden müsste.
Die Analyse diskutiert für jedes der sieben betrachteten Instrumente Chancen und Risiken für ihre Umsetzung. So wird infrage gestellt, ob der von Macron geforderte Europäische Finanzminister überhaupt relevant ist für die Verwirklichung einer besseren wirtschaftspolitischen Koordinierung in der EU. Hacker bezweifelt zudem, dass die Umwandlung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) in einen Europäischen Währungsfonds den heutigen Krisenmechanismus nachhaltig verbessern würde. Dagegen sieht er ein hohes Gestaltungspotenzial für einen ökonomischen Stabilisierungsmechanismus in der Eurozone und für konkrete Regeln zur Verhinderung von Steuer-, Lohn- und Sozialdumping in der EU.
Für alle hier analysierten Reforminstrumente wird ein grundsätzlicher Konflikt zweier Leitbilder für die künftige Entwicklung der europäischen Integration identifiziert: Zum einen das Ziel einer primär als Markt verstandenen Gemeinschaft, zum anderen die Perspektive einer politischen Union. Entlang dieser Konfliktlinie entscheidet sich letztlich für jedes Reforminstrument, ob es zur Lösung der aktuellen und künftigen Herausforderungen der EU beitragen kann. Professor Hackers Studie kann vor diesem Hintergrund für den Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitiken zu einer Strukturierung der politischen Debatte um Veränderungen der europäischen Architektur beitragen.
Ansprechpartner in der Stiftung
Matthias Keil
Hacker, Björn
Instrumente für eine progressive EU-Wirtschafts- und Sozialpolitik / Björn Hacker. - Berlin : Friedrich-Ebert-Stiftung, Abteilung Internationaler Dialog, Referat Mittel- und Osteuropa, Oktober 2018. - 25 Seiten = 890 KB, PDF-File. - (Europa)Electronic ed.: Berlin : FES, 2018ISBN 978-3-96250-203-4
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Ansprechpartnerin
Marie Meier
+49 30 26935-7418Marie.Meier(at)fes.de