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Frauen sind friedlicher, lautet eine beliebte Zuschreibung. Im Sicherheitsradar erfragt das Wiener Regionalbüro für Internationale Zusammenarbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung regelmäßig die Einstellung der europäischen Bevölkerung zu Fragen der europäischen Sicherheit. Frauen und Männer fallen darin mit unterschiedlichen Antworten auf, wie eine Gender-Auswertung der Umfrage nun ergeben hat.
von Margarete Lengger, FES-Kompetenzzentrum Frieden und Sicherheit in Wien.
Sicherheitspolitik in Europa ist seit langem männlich besetzt: Kaum ein Politikbereich kann mehr traditionelle Folklore von Stärke, Mut, Aggression und Gewalt in sich vereinen. Es sind Verteidigungs- und Innenminister oder gleich die Präsidenten, die Pferde besteigen, nackte Brust zeigen, Tarnfarben tragen und durch Ferngläser schauen. Der Militärdienst, ein Eckpfeiler dieser Erzählung, wird von Männern dominiert, was die Geschlechterstereotypen weiter verfestigte. Die heutige Gesellschaft stellt diese Geschlechternormen zwar in weiten Teilen der Gesellschaft stark in Frage. Gleichzeitig katapultiert gerade der Krieg Russlands gegen die Ukraine traditionelle Geschlechterbilder im wahrsten Sinne des Wortes an die Front. Wie denken Männer und Frauen angesichts dieser Ausgangslage über europäische Sicherheit und den russischen Angriffskrieg? Die Daten einer Befragung des Wiener Regionalbüros der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem September 2022 unter der deutschen, französischen und polnischen Bevölkerung zeigen, dass Männer grundsätzlich durchweg eine höhere Bereitschaft aufweisen, den Krieg weiterzuführen und weitere Tote, Vertreibungen und Kriegsschäden in der Ukraine in Kauf zu nehmen. Aber sind Frauen deshalb per se friedfertiger?
Grundsätzlich sind Männer und Frauen in allen drei Ländern mehrheitlich klar dagegen, eigene Truppen in die Ukraine zu entsenden. Trotz dieses allgemeinen Konsenses zeigten sich polnische Frauen im Vergleich zu polnischen Männern eher geneigt, einen solchen Schritt zu unterstützen: 23% der Frauen sagen ja, im Vergleich zu 18% der Männer. Dies widerspricht der Annahme, dass Frauen militärische Interventionen grundsätzlich ablehnen und unterstreicht die Kontextabhängigkeit von Geschlechterperspektiven. Doch noch größer als die Gruppen der Frauen, die zustimmend geantwortet hat, ist jene, die keine Antwort auf die Frage hat: 27% der Frauen antworten mit „Ich weiß nicht“. Frauen könnten bei der Frage nach der Entsendung eigener Truppen mit „Ich weiß nicht“ ihre persönliche Neutralität in einer die körperliche Unversehrtheit von Männern betreffenden Frage zum Ausdruck bringen.
Doch das Phänomen der „Ich weiß nicht“-Antworten von Frauen ist nicht auf Polen beschränkt, es erstreckt sich auf Frankreich und Deutschland: Frauen antworten wesentlich häufiger mit „Ich weiß es nicht“, auch bei Fragen nach ihrer Meinung. Diese Beobachtung unterstreicht, dass dieses geschlechterspezifische Antwortverhalten zwischen den Geschlechtern nicht auf bestimmte Fragen oder Regionen beschränkt ist, sondern tiefer verwurzelte strukturelle Geschlechterdynamiken widerspiegelt. Auffällig ist der geschlechtsspezifische Unterschied der „Ich weiß nicht“-Antworten zwischen Männern und Frauen auch bei der Frage nach einem möglichen Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union. In Frankreich antwortet so fast jede dritte Frau.
Wissen Frauen weniger über sicherheitspolitische Themen? Die Diskrepanz zwischen dem Antwortverhalten von Männern und Frauen lässt sich als Hinweis auf Unsicherheit oder mangelndes entsprechendes Wissen interpretieren. Sie spiegelt aber möglicherweise auch ein unter Frauen stärker vorhandenes, nachdenkliches Eingeständnis der Komplexität und Unsicherheiten wider, die mit einer solchen Entscheidung verbunden sind. Die Entscheidung über die Integration eines Landes in eine regionale Organisation wie die EU ist vielschichtig und beinhaltet komplexe geopolitische, wirtschaftliche und soziale Auswirkungen. Bei der Angabe von „Ich weiß es nicht“ kann es sich also um die Anerkennung des Bedarfs an weiteren Informationen oder um ein Zögern handeln, eine vereinfachte Antwort auf eine äußerst komplexe Frage zu geben. Die Antworten der Männer zeigen ein eher gegenteiliges Muster: So antworteten lediglich 2 % der Männer in Deutschland antworteten mit „Ich weiß es nicht“, als sie gefragt wurden, ob Russland eine Bedrohung für Frieden und Sicherheit in Europa ist - unter den Frauen waren es fünf Mal so viele. Dies deutet auf ein hohes Maß an Vertrauen in ihr Wissen hin, wirft aber auch die Frage auf, ob dieses Vertrauen gerechtfertigt ist. Männer treten in den Ergebnissen der Umfrage - und nicht nur dieser - durch die Bank als weniger geneigt zutage, Unsicherheit einzugestehen, selbst wenn sie mit komplexen, vielschichtigen Fragen konfrontiert werden.
Feministische Außen- und Sicherheitspolitik geht von der Prämisse aus, dass Gesellschaften dann friedlicher und wohlhabender sind, wenn alle Menschen gleichermaßen am politischen, sozialen und wirtschaftlichen Leben teilhaben können. Diese Teilhabe beginnt in der Beschäftigung mit Politik und ihren Auswirkungen und endet beim Zugang zu Entscheidungsprozessen. Sie ist dadurch eingeschränkt, dass Zugänge zu Bildung, Netzwerken und Ressourcen noch immer ungleich verteilt sind. Sicherheitspolitik und Militarismus sind für feministische Politik dahingehend eine besondere Herausforderung, weil sich in der feministischen Herangehensweise dazu zwei einander ausschließende Beziehungen entwickelt haben. Der liberale Feminismus, der den Zugang von Frauen zu allen Bereichen der Gesellschaft fordert, trifft im sicherheitspolitischen Apparat auf die letzte zu stürmende Bastion jener Form von Männlichkeit, die von Europas Feinden hochgehalten wird. Die entgegengesetzte Herangehensweise sieht Feminismus und Militarismus als Widerspruch in sich, da letzterer mit dem Patriarchat so untrennbar verwoben ist, dass eine Veränderung dieses Systems von innen heraus durch Frauen, die sich Zugang dazu verschaffen, als systematisch unmöglich betrachtet wird. Eine Gemengelage, die die Beschäftigung mit Sicherheitspolitik für Frauen lange Zeit unattraktiv machte. Daraus ergibt sich aber nun eine für Frauen größere Unzugänglichkeit zu Informationen in diesem Feld, die sich nun, da Verteidigungsfragen mit anderen Verteilungsfragen konkurrieren, durchaus rächen kann. Die politische Vermittlung von sicherheitspolitischen Entscheidungen, die von so vielen Menschen wie möglich, Männern ebenso wie Frauen, verstanden und mitgetragen werden, wird diesem Umstand Rechnung tragen müssen. Das bedeutet, dass eine neue Form von Kommunikation notwendig ist. Eine, die Zweifel erlaubt und einbezieht, unterschiedliche Herangehensweisen berücksichtigt und Sicherheitspolitik noch stärker als Teil von Gesellschaftspolitik begreift und nicht als Domäne von Expert_innen und Militärs.
Lesen Sie hier die englischsprachige Analyse von Miriam Mona Mukalazi:
Mukalazi, Miriam Mona
Miriam Mona Mukalazi. - Vienna : FES Regional Office for International Cooperation - Cooperation and Peace, 2023. - 23 Seiten = 5,3 MB PDF-File. - Electronic ed.: Wien : FES, 2023ISBN 978-3-98628-428-2
Zum Download (PDF) (5,3 MB PDF-File)
Miriam Mona Mukalazi ist Max Weber Post-Doc-Stipendiatin am European University Institute in Florenz. In ihrer Forschung konzentriert sie sich auf feministische Sicherheitspolitiken. Sie hat das Centre for Feminist Foreign Policy, die Weltbankgruppe und die EU-Kommission beraten und war als Expertin für feministische Sicherheitspolitik 2020 im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages eingeladen, um ihre Analyse der deutschen Gender-, Friedens- und Sicherheitspolitik vorzustellen.
Eine Politik für Europa muss in erster Linie von den Bürger_innen Europas getragen werden. Wir wollen daher wissen, welche Erwartungen die Menschen an die EU haben. Momentan ist eine kritische Einstellung weit verbreitet. Wie muss sich die EU verändern, damit das Vertrauen in sie wieder wächst? Wie kann die EU fairer, demokratischer und inklusiver gestaltet werden? Vor allem im Rahmen der politischen Bildung wollen wir einen Beitrag leisten, um ein Europa des Zusammenhalts zu befördern.
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