Könnte sich ein ‚Agentengesetz‘ wie in Georgien auch in anderen Ländern durchsetzen?

Georgiens Gesetz über „ausländische Agenten“ ist in Teilen wortgleich mit dem russischen Gesetz von 2012, welches die Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen größtenteils erfolgreich unterbindet. Könnte ein solches Gesetz auch in anderen europäischen Demokratien Erfolg haben?

 

Georgiens neues „Agentengesetz“ bringe das Land an den Rand einer Menschenrechtskrise, erschwere die Arbeit der georgischen Zivilgesellschaft und schädige damit in weiterer Folge den gesellschaftlichen Zusammenhalt und Fortschritt, argumentieren seine Gegnerinnen und Gegner. Es verpflichtet Nichtregierungsorganisationen und Medien dazu, sich als „Agenten ausländischen Einflusses“ zu registrieren, wenn sie Mittel aus dem Ausland, oder wie es das Gesetz formuliert, einer „ausländischen Macht“ erhalten. Bei Nichteinhaltung des Gesetzes, zu dem sich die Friedrich-Ebert-Stiftung gemeinsam mit der Friedrich-Naumann-Stiftung, der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Heinrich-Böll-Stiftung besorgt geäußert hat, drohen Geldstrafen. Seine Annahme laufe auch der verfassungsmäßigen Verpflichtung Georgiens zuwider, die vollständige Integration des Landes in die Europäische Union sicherzustellen, so die Stiftungen. Die Regierungspartei Georgischer Traum ist mittlerweile offen pro-russisch und das Agentengesetz hat zunehmend Symbolcharakter dafür, ob die Zukunft Georgiens in der EU liegen wird. In Georgien traf das Gesetz auf große Proteste, wurde aber letzten Endes dennoch verabschiedet. In welchen anderen europäischen Demokratien könnte die Bevölkerung ein derartiges „Agentengesetz“ akzeptieren?

Fairness, Gewaltenteilung, Freiheitsrechte

Das Kompetenzzentrum Demokratie der Zukunft der FES hat in einem Kandidatenexperiment untersucht, wie sich Wähler_innen entscheiden, wenn sie vor die Wahl zwischen demokratischen Kandidat_innen und Kandidat_innen mit autoritären Tendenzen gestellt werden. Beide Kandidat_innen wurden durch jeweils vier zufällig gewählte Attribute beschrieben: ihre Parteizugehörigkeit, zwei relevante politische Positionen und dann eine entweder neutrale oder undemokratische Position. Mit letzterer wurde eine Missachtung eines der drei entscheidenden Merkmale liberaler Demokratien zum Ausdruck gebracht: der Fairness von Wahlen, der Gewaltenteilung oder der Freiheitsrechte.
 

Dann wurden den Befragten zwei Fragen zu den Kandidat_innen gestellt: wen sie bevorzugen würden, und mit welcher Wahrscheinlichkeit sie bei der nächsten Wahl für diese Person stimmen würden. So ließ sich genau jener Effekt bestimmen, den der Versuch von Kandidat_innen, die Demokratie zu untergraben, auf ihre Wahlaussichten hat. Die Methode, die auch in diesem Artikel von FES Demokratie für das Journal of Democracy zum Einsatz kam, hat den Vorteil, dass die Unterstützung der Befragten für die Demokratie nicht anhand ihrer Zustimmung zu abstrakten Idealen gemessen wird, sondern anhand ihrer konkreten Bereitschaft, demokratischen Prinzipien gegenüber parteipolitischen Interessen oder anderen, berechtigten Policy-Präferenzen Vorrang zu geben. Damit ist das Studiendesign so lebensnah wie möglich, da Wahlentscheidungen auch im echten Leben häufig eine Abwägung zwischen diesen Faktoren darstellen.

Unter den undemokratischen Positionen findet sich auch die Unterstützung eines Verbots der ausländischen Finanzierung von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die die Politik der Partei des Kandidaten kritisieren – ein Vorstoß, der zwei Schlüsselkonzepte der bürgerlichen Freiheitsrechte verletzt: die Vereinigungsfreiheit und die Meinungsfreiheit. Wie sich herausstellt werden Verstöße gegen diese Freiheitsrechte von Wählern weniger häufig sanktioniert als Angriffe auf die Fairness und Freiheit von Wahlen und auf die Gewaltenteilung. Die liberale Komponente von Demokratien scheint insgesamt weniger geschätzt zu werden als die wahlbezogene, was eine Erklärung für die so erfolgreiche Verbreitung von in dieser Hinsicht „fehlerhaften“ Demokratien sein könnte, und auch erklärt, warum selbst der autokratischste Führer noch an Scheinwahlen festhält.
 

In Deutschland bestrafen Wähler_innen nur das Verabschieden von Gesetzen ohne vorheriger parlamentarischer Debatte und das Verbot ausländischer Finanzierung von Gewerkschaften weniger stark als ein Finanzierungsverbot für NROs aus dem Ausland. Schwedische Wählerinnen und Wähler bestrafen nur das Umgehen parlamentarischer Debatten stärker. In Polen wird jeder andere undemokratische Vorstoß stärker bestraft als die Ankündigung, ein Gesetz analog dem Agentengesetz einführen zu wollen.
 

Wie erklärt indes die georgische Regierung ihr Vorhaben?

Die Regierungspartei Georgischer Traum insistiert, dass ausländische NROs den Sturz der Regierung planten sowie religiösen Extremismus und LGBT-Propaganda verbreiten. Für führende Vertreter_innen der Zivilgesellschaft und die Opposition steht die Maßnahme im Zusammenhang mit den bevorstehenden Wahlen im Herbst: Georgien wählt im Oktober ein neues Parlament. Vor der Verabschiedung des „Agentengesetzes“ wandte sich auch die Venedig-Kommission des Europarats (Europäische Kommission für Demokratie durch Recht), die Mitgliedsländer verfassungsrechtlich berät, mit einer klaren Empfehlung an Georgien, das umstrittene Gesetz nicht anzunehmen. Die darin enthaltenen Vorschriften würden sich negativ auf Diskurs, Pluralismus und die Demokratie auswirken und ermöglichten die Bestrafung unliebsamer Gruppen mittels Geldstrafen und Stigmatisierung. Die große Mehrheit der betroffenen NROs und Medien erhalten Finanzierung aus den USA, Deutschland oder Schweden.
 

Über die Autorin


Margarete Lengger ist im FES Regionalbüro für internationale Zusammenarbeit in Wien für Kommunikation der beiden ansässigen Kompetenzzentren Demokratie der Zukunft und Frieden und Sicherheit zuständig.


Identität, Parteibindung, Polarisierung

Wie es demokratisch gewählten Politiker ̲innen gelingt, ihr Land zu autokratisieren
Wien, 2023

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