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Sollen wir gehen oder bleiben? Die Frage beschäftigt die britische Öffentlichkeit seit Wochen. Gebannt bis besorgt blickt auch der Rest Europas auf Großbritannien. Wie das Referendum auch ausgeht: Europa wird danach ein anderes sein.
Bild: Exit Bild: Exit Urheber: Mike Bitzenhofer Lizenz: CC BY-NC-ND 2.0
Türme, Silos, Rohre: Die Skyline Ludwigshafens ist geprägt vom Chemieriesen BASF, der hier seinen Sitz hat. Es sagt eine ganze Menge über Europa im Jahr 2016 aus, dass auch hier im Süden von Rheinland-Pfalz das britische Referendum um den Austritt aus der EU für Diskussionen sorgt. Europa ist längst so eng zusammengewachsen, wirtschaftlich derart verflochten, dass auch rund 800 Kilometer entfernt von London die Frage, ob das drittgrößte Mitglied der Union auch zukünftig noch dabei ist, ganz reale Auswirkungen hat: auf die Menschen im Land, aber auch auf den Chemiestandort Ludwigshafen.
„Europa hat sich schon verändert durch das Referendum“, glaubt Jutta Steinruck. Sie ist Abgeordnete des Europaparlaments und kommt aus Ludwigshafen. „In der EU warten alle ab, was geschieht, es gibt kaum noch Gesetzesinitiativen, weil alle abwarten, was in Großbritannien passiert“, erklärte sie zwei Wochen vor dem Referendum vor rund 100 Interessierten in Ludwigshafen. Was bedeutet der mögliche Brexit für unser Land? Dieser Frage ging die Veranstaltung des FES-Landesbüros Rheinland-Pfalz nach.
„Wenn Großbritannien die Europäische Union verlässt, wird auch Rheinland-Pfalz unwichtiger“, zeigt sich Joe Weingarten vom Mainzer Wirtschaftsministerium überzeugt. Nur ein geeintes Europa könne wirtschaftlich und politisch in der Welt bestehen. Ein Europa ohne Großbritannien aber sei ein schwächeres, kleineres Europa. Immerhin ist Großbritannien das Mitgliedland mit der drittgrößten Bevölkerung in der EU, die fünftgrößte Wirtschaftsnation der Welt und ein wichtiger geopolitischer Akteur. Die direkten wirtschaftlichen Folgen für sein Bundesland schätzt Weingarten aber eher gering ein - obwohl das Land Rheinland-Pfalz Waren im Wert von rund 3,5 Milliarden Euro im Jahr auf die Insel exportiert. „Das bricht nicht zusammen, wenn der Brexit kommt. Aber es wird bürokratischer und damit für viele mittelständische Firmen auch schwieriger“, sagt Weingarten.
Schwieriger, da sind sich viele Analysten einig, würde es bei einem Austritt vor allem für Großbritannien selbst. „Ein Pyrrhussieg wäre das für die Befürworter_innen eines Brexit“, sagt Europapolitikerin Steinruck. Abseits aller wirtschaftlichen Nachteile für das international vernetzte Land gäbe es auch direkt Auswirkungen auf die politische Kultur, glaubt Steinruck: „Die Möglichkeit hat die Politik dort dann nicht mehr: Europa für alles die Schuld zu geben, was schiefläuft“. Tatsächlich ist die wirtschaftliche und soziale Lage im Land eher schlecht: Die Staatsverschuldung ist hoch, die Arbeitslosigkeit stagniert auf hohem Niveau und der rigide Sparkurs der Regierung samt schmerzhafter Einschnitte im Sozialsystem hinterlässt viele Bürger_innen frustriert von der derzeitigen Politik der konservativen Tory-Regierung um Premier David Cameron. Er ist es aber auch, der sein politisches Schicksal an den Verbleib seines Landes in der EU gebunden hat.
Ulrich Storck kennt die politische Stimmung in Großbritannien. Der Leiter des Londoner Büros der FES gab in Ludwigshafen Einblicke in die Lage im Land: „Von Cool Britain ist nichts mehr übriggeblieben. Es herrscht eine aufgeheizte Stimmung, eine klare Anti-Establishment-Haltung, das ist unberechenbar“, sagt Storck. Für das „Remain-Lager“, also jene, die für einen Verbleib im Staatenbund eintreten, ergibt sich vor allem ein Mobilisierungsproblem. Viele junge Britinnen und Briten seien durchaus aufgeschlossen gegenüber der EU, ließen sich aber zur Wahl wesentlich schlechter bewegen als EU-kritische ältere Bürger_innen. Auch im sozialdemokratischen Lager der Labour-Party zeigt sich das: Nach Umfragen ist zwar eine große Mehrheit (etwa Zweidrittel) der Anhänger_innen für einen EU-Verbleib, doch der Parteivorsitzende Jeremy Corbyn wirbt nur selten offen und engagiert für die Remain-Kampagne. Seine Zurückhaltung erntet auch innerparteilich Kritik.
Unsicherheiten gibt es viele: Wird Großbritannien für einen Austritt stimmen? Und wenn ja, was passiert dann eigentlich? Vertraglich geregelt ist ein Ausstritts-Szenario schon im Vertrag von Lissabon – dort ist eine Zeitspanne von zwei Jahren vorgesehen, um die Konditionen zu regeln. Trotzdem: Nie zuvor in der Geschichte der Union hat ein Land diesen Weg bestritten, es bleiben viele Unklarheiten. Und wie auch immer die Briten am 23. Juni entscheiden: Schon jetzt hat die Diskussion um den möglichen Austritt Großbritannien und Europa verändert. Und vermutlich auch ein bisschen Ludwigshafen.
Links:
Roger Liddle und Florian Ranft: Brexit - Was für die EU und Großbritannien auf dem Spiel steht, FES 2015
Sarah Lain: British-German Dialogue on Securtiy and Defence Policy, Royal United Services Institute for Defence and Security Studies, 2015
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Eine Politik für Europa muss in erster Linie von den Bürger_innen Europas getragen werden. Wir wollen daher wissen, welche Erwartungen die Menschen an die EU haben. Momentan ist eine kritische Einstellung weit verbreitet. Wie muss sich die EU verändern, damit das Vertrauen in sie wieder wächst? Wie kann die EU fairer, demokratischer und inklusiver gestaltet werden? Vor allem im Rahmen der politischen Bildung wollen wir einen Beitrag leisten, um ein Europa des Zusammenhalts zu befördern.
Ansprechpartnerin
Marie Meier
+49 30 26935-7418Marie.Meier(at)fes.de