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Timon Mürer

Eindeutigkeit ist Trumpf

Gibt es in der Krise sozialdemokratische Erfolgsrezepte? Die Strategien der europäischen Sozialdemokratie unterscheiden sich erheblich.

Die Sozialdemokratie in Europa hat derzeit, vorsichtig ausgedrückt, einen schweren Stand. Fast überall müssen Parteien der linken Mitte Wahlniederlagen hinnehmen. Selbst in Ländern, in denen sie traditionell stark sind, können sie sich nicht dem allgemeinen Trend entziehen. Die härtesten Abstürze mussten die niederländische Partij van de Arbeid (PvdA) und die französische Parti Socialiste (PS) verzeichnen, die derzeit nur Randnummern in den Parlamenten sind.

Es gibt Ausnahmen dieser vermeintlichen Regel des sozialdemokratischen Untergangs. In Spanien hat die PSOE die letzte Parlamentswahl mit kräftigen Zuwächsen gewonnen. In Portugal regieren die Sozialisten seit 2015 recht erfolgreich in einer von Kommunisten und Linksblock tolerierten Minderheitsregierung. Und in Großbritannien konnte Labour bei den letzten Parlamentswahlen kräftig zulegen. Kann man sich hier etwas abschauen?

Druck von links und rechts

Die Studie „Macronism, Corbynism, ... huh?“ hat Wahlstrategien sozialdemokratischer Parteien untersucht. Nach Meinung der Autoren kommt der Druck auf die Sozialdemokratie vor allem von den Grünen und dezidiert sozialistischen Parteien. Aber auch von Seiten der populistischen Rechten, besonders dort, wo sie mit „wohlfahrtschauvinistischen“ Positionen den Sozialstaat verteidigen. Der Erosion des sozialdemokratischen Kerns von links und rechts spiegelt die Verschiebungen im politischen Spektrum der letzten 40 Jahre wieder, zwischen Post-Materialismus, Minderheitenpolitik und Umweltfragen einerseits sowie Nostalgie, Nationalismus und „neuer Härte“ andererseits.

Die Haltung zur europäischen Integration ist ein Knackpunkt für alle Parteien in Europa. Skepsis gegenüber oder gar Ablehnung gegenüber der EU ist allerorten verbreitet – gleichermaßen allerdings wie emphatische pro-europäische Positionen. Die Parteien, die zwischen diesen Polen lavieren oder einfach nur weitermachen wollen wie bisher, haben das Nachsehen. So geschehen bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai. In Großbritannien wurde Labour dafür abgestraft, keine eindeutige Position zum Brexit zu haben.

Liegt der Ausweg links?

Dennoch ist der Ansatz der Labour-Partei unter Jeremy Corbyn weiterhin erfolgsversprechend. „Für die vielen, nicht die wenigen“ ist einer der zentralen Slogans des „Corbynismus“, der mit einem wirtschaftspolitischen Programm antritt, das eine entschiedene Abkehr vom Austeritätskurs der konservativen Regierungen beinhaltet. „Ökonomische Polarisierung“ wird dies in der Studie genannt und bedeutet, dass sich Labour sich in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen weit links positioniert – auch gegenüber den Präferenzen der eigenen Anhänger und Unterstützer – und so das Spektrum aufspreizt.

Großbritannien hat wie kein anderes Land in Europa die Wirtschaft dereguliert und sozialstaatliche Leistungen reduziert. Es hat dafür einen hohen Preis zahlen müssen: Die harte Austeritätspolitik der vergangenen neun Jahre haben einen großen Anteil am gesellschaftlichen Auseinanderdriften des Landes. Die Insel steht aber nur symptomatisch für eine Politik, die ganz Europa dominiert. Es ist folgerichtig und notwendig, dass sich selbstbewusste sozialdemokratische Politik klar dazu positioniert und ein gesellschaftliches und wirtschaftspolitisches Gegenprogramm anbietet. Nicht umsonst honorieren das die Wählerinnen und Wähler. In der Europafrage ist Labour diese Eindeutigkeit noch schuldig.

Ansprechpartner  in der Stiftung

Oliver Philipp

Macronismus, Corbynismus, ... bitte was?

Wahlstrategien progressiver Parteien in Europa
Berlin, 2019

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