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Erasmusprogramm: Exklusiv und elitär?

Junge Menschen in Europa sind so mobil wie noch nie, aber nicht alle können teilhaben. Wie kann der Austausch eine breitere Wirkung entfalten?

Eine Million „Erasmusbabys“ erweitern den Kreis mobiler junger Europäer_innen um die nächste Generation, da war 2014 ein spektakulärer Beweis: Europaweiter Austausch unter jungen Menschen, seit Langem eine Vision der Europäischen Union, findet statt und trägt „Früchte“. Vor 30 Jahren hat die EU mit Erasmus den Austausch aufgelegt, drei Millionen Studierende waren seitdem mit Erasmusstipendien unterwegs. Inzwischen hat die EU Erasmus um weitere Zielgruppen ergänzt und 2013 alle Mobilitätsprogramme unter Erasmus+ zusammengefasst. Begegnungen junger Europäer_innen sollen Perspektiven öffnen, die über nationale Kontexte hinausschauen und die Bildung einer europäischen Zivilgesellschaft fördern. Auf Erasmus-Alumni liegen in Zeiten von Brexit und wachsendem Nationalismus die Hoffnung, eine Lanze für die europäische Integration zu brechen.

Mobilität für alle!

Neben gesellschaftspolitischen Zielen hat die Jugendmobilität auch ökonomische Aspekte: Sie verbessert die individuellen Karrierechancen und war (ist) in Zeiten extrem hoher Jugendarbeitslosigkeit ein Ventil für den Druck auf Sozialsysteme und Arbeitsmärkte in Südeuropa. Wobei hier die Kritik naheliegt: Das Phänomen des „Brain Drain“. Denn wie soll ein Land wieder auf die Beine kommen, wenn ausgerechnet die am besten qualifizierten Gruppen abwandern?

Und überhaupt: Wie verhalten sich ökonomische und politische Aspekte zueinander? Führen die Erfahrungen der Eurokrise zu einer Überbetonung (individueller und kollektiver) ökonomischer Vorteile von Jugendmobilität – auf Kosten der ursprünglichen politischen Idee, eine europäische Zivilgesellschaft zu fördern? Letztere würde, im Gegensatz zu einem ökonomisch orientierten Modell, schließlich einen ausgewogenen Austausch erfordern.

Forscher_innen der Universität Hildesheim gehen diesen Fragen gemeinsam mit Kolleg_innen aus Luxemburg, Ungarn, Rumänien, Spanien und Norwegen im europäischen Forschungsprojekt MOVE aus der Perspektive junger Europäer_innen nach, die schon in anderen europäischen Ländern gelebt haben. Ihre bei der Friedrich-Ebert-Stiftung eröffentlichten Ergebnisse  zeigen, dass jungen Menschen die politische und soziale Dimension von Mobilität sehr bewusst und vor allem wichtig ist. Sie sehen selbstredend den ökonomischen Nutzen für ihren Lebenslauf, hinterfragen aber auch ihre sozioökonomischen Privilegien, die ihnen Mobilität ermöglichen. Sie plädieren für sozial gerechte Mobilitätschancen, um einen politischen und kulturellen Austausch zu schaffen, der so vielfältig und umfassend wie möglich in die europäische Gesellschaft hineinwirkt. Außerdem wollen sie im politischen Diskurs nicht als die „verlorene Generation“ der Eurokrise auf ökonomische Chancen reduziert, sondern über die Mobilitätsprogramme aktiv in eine Debatte über eine europäische Zivilgesellschaft einbezogen werden.

Wer bin ich und wie viel Europa steckt in mir?

Solche Ansichten junger Menschen ergänzen große Debatten der Europaforschung und der politischen Soziologie: Entwickelt sich eine europäische Identität und Öffentlichkeit, und wie? Werden Menschen politisch aktiver (oder mobiler), wenn es ihnen wirtschaftlich schlecht geht, und setzen sie sich dann für politische Ziele jenseits ihres ökonomischen Eigeninteresses ein? Der Fokus der Studie sollte allerdings nicht davon ablenken, dass viele junge Menschen eben nicht mobil sein können oder wollen –Einflussfaktoren wie Einkommen der Eltern oder Bildung spielen weiterhin eine entscheidende Rolle. Wenn die Gleichung aufgeht, dass Mobilität eine europäische Identität fördert, könnte der Umkehrschluss heißen, dass Abgeschnittenheit davon das Bedürfnis nach nationaler, exklusiver Identität stärkt – und Europa steht dann für eine elitäre Gewinnerveranstaltung auf dem Rücken „einfacher Leute“, wie es rechtspopulistische Parteien gerne weismachen wollen. Mobilität darf deshalb nicht soziale Ungleichheit verfestigen, sondern soll sie überwinden helfen, indem sie über umfassende Programme allen offensteht.

Ansprechpartner in der Stiftung:

Günther Schultze


Demokratisches Europa

Eine Politik für Europa muss in erster Linie von den Bürger_innen Europas getragen werden. Wir wollen daher wissen, welche Erwartungen die Menschen an die EU haben. Momentan ist eine kritische Einstellung weit verbreitet. Wie muss sich die EU verändern, damit das Vertrauen in sie wieder wächst? Wie kann die EU fairer, demokratischer und inklusiver gestaltet werden? Vor allem im Rahmen der politischen Bildung wollen wir einen Beitrag leisten, um ein Europa des Zusammenhalts zu befördern.

Ansprechpartnerin

Marie Meier

+49 30 26935-7418
Marie.Meier(at)fes.de

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