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Das Votum der Britinnen und Briten für den EU-Austritt ist eine Zäsur. In der Diskussion um die Zukunft der europäischen Integration müssen die Vorbehalte der Menschen in Europa anerkannt und verstanden werden, sonst drohen noch tiefer gehende Konflikte.
Bild: Bild: Gone with the wind Urheber: Theophilos Papadopoulos Lizenz: CC BY-NC-ND 2.0
Es gibt viel zu kritisieren am Referendum in Großbritannien: die dreisten Lügen und die Planlosigkeit der Brexit-Befürworter_innen, die mangelnde konstitutionelle Absicherung, das niederträchtige Spiel mit Ausländerfeindlichkeit und Rassismus. Doch wahr bleibt auch: Das Referendum gibt die Stimmung und Haltung vieler Menschen zur Europäischen Union wieder – nicht nur im Vereinigten Königreich.
Dass EU-Skepsis weit verbreitet ist, zeigt auch die repräsentative Studie „EU vor Bewährungsprobe – Was erwarten, worum sorgen sich die Bürger?“ Dies sollte bei sämtlichen Überlegungen berücksichtigt werden, welche jetzt allenthalben über die Zukunft der EU angestellt werden.
In der Umfrage, die von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Auftrag gegeben und welche die Politikberatung policy matters durchgeführt hat, wurden Bürger_innen in verschiedenen Mitgliedstaaten befragt: in den vier Gründerstaaten Frankreich, Italien, den Niederlanden und Deutschland; in Spanien und Schweden als im weiteren Verlauf beigetretene Länder; und in der Tschechischen und Slowakischen Republik, die 2004 mit anderen osteuropäischen Ländern der EU beitraten.
Untersucht wurde nicht nur die Haltung zur EU, sondern auch die Einstellungen und Erwartungen hinsichtlich der außenpolitischen sowie den sozial- und wirtschaftspolitischen Herausforderungen. Dabei ergab sich ein Stimmungsbild, das zwar nicht homogen ist, aber doch die zusammenfassende Feststellung zulässt, dass die Menschen Europa mehrfach in der Krise sehen. Hier stehen die Fluchtbewegungen nach Europa, Arbeitslosigkeit, soziale Unsicherheit und die Angst vor internationalen Konflikten im Zentrum. Grundtenor der Ergebnisse: Die Menschen in Europa sind verunsichert und besorgt. Unter den von der Studie erfassten Themenbereichen ist kein einziger, mit dem eine Mehrheit der Befragten keine Sorgen verbinden würde.
Was die Rolle der EU bei der Meisterung dieser Herausforderungen anbelangt, ergibt sich ein gemischtes Bild. Während bei der Lösung internationaler Konflikte eine stärkere Rolle der EU erwünscht wird, ist bei sozial- und wirtschaftspolitischen Fragen das Gegenteil der Fall. Insgesamt jedoch „überwiegt nach wie vor eine eher skeptische Grundhaltung“. Konkret zeigt sich das bei der Frage, ob die Mitgliedschaft in der EU mehr Vor- als Nachteile für das jeweilige Heimatland habe. Eine Mehrheit der Befragten sieht mehr Nachteile, nur in Spanien und Deutschland schätzen die meisten die Vorteile größer ein. Wichtig ist dabei auch die Feststellung, dass in allen Ländern für diejenigen, die sich der „Oberschicht“ zugehörig fühlen, die Vorteile überwiegen. Umgekehrt bewertet eine Mehrheit derer, die sich selbst der „Unterschicht“ zuordnen, die Nachteile als gravierender. Das muss Linken und Sozialdemokrat_innen zu denken geben.
Auch bei der Abstimmung in Großbritannien hat die Arbeiterklasse (zumindest in England und Wales) gegen die EU und für den Austritt gestimmt. In dieser Situation eine Vertiefung der Integration oder die Vervollkommnung der Politischen Union zu fordern, ist nicht nur blauäugig und unrealistisch, sondern gefährlich für den Bestand und die Zukunft der Union. Zwar bietet die Umfrage nur ein Stimmungsbild, denn Einstellungen und Haltungen können sich wieder ändern. Die Skepsis und das Unbehagen sind aber bis auf weiteres kein Randphänomen. Natürlich muss man den Kritikern das Feld nicht kampflos überlassen, man sollte ihnen aber auch nicht die einfachsten Argumente an die Hand geben. Die europäische Integration muss den Menschen weiterhin erklärt und vermittelt werden. „Sonst schleicht sich fast von selbst – aber auch durch Beihilfe von Populisten und EU-Skeptikern – die Vorstellung ein, dass man die EU eigentlich gar nicht braucht“, so Johann Ivanov von der Friedrich-Ebert-Stiftung, der im Mai eine Präsentation der Studie in Rostock organisierte.
Gerade der Umstand, dass sich die sozial Schwächeren keine Hoffnungen machen, dass die EU ihnen etwas bringt, kann Parteien, welche sich die soziale Gerechtigkeit aufs Banner geschrieben haben, nicht egal sein. Europa und die Europäische Union haben den „einfachen Leuten“ durchaus etwas gebracht, Nationalismus ist das billigste Mittel, um die Verteilungsfrage nicht stellen zu müssen. Die Unterstützerinnen und Unterstützer der „Europäischen Partei“, die es mittlerweile – Ironie der Geschichte – in allen Ländern Europas gibt, sollten derzeit aber vorsichtig mit allzu hochfliegenden Zielen sein.
EU vor Bewährungsprobe – Was erwarten, worum sorgen sich die Bürger? Eine repräsentative 8-Länderstudie, durchführt von policy matters, FES 2016
Matthias Micus, Felix Butzlaff: Europa in den Parteien: Wege der Beteiligung, FES 2016
Alexander Schellinger: Reform der Währungsunion, FES 2015
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Eine Politik für Europa muss in erster Linie von den Bürger_innen Europas getragen werden. Wir wollen daher wissen, welche Erwartungen die Menschen an die EU haben. Momentan ist eine kritische Einstellung weit verbreitet. Wie muss sich die EU verändern, damit das Vertrauen in sie wieder wächst? Wie kann die EU fairer, demokratischer und inklusiver gestaltet werden? Vor allem im Rahmen der politischen Bildung wollen wir einen Beitrag leisten, um ein Europa des Zusammenhalts zu befördern.
Ansprechpartnerin
Marie Meier
+49 30 26935-7418Marie.Meier(at)fes.de