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Jugend wählt: Perspektiven junger Menschen auf Wahlalter, politische Informationen und Parteien

Anlässlich der Europawahl 2024, bei der in Deutschland erstmals auch junge Menschen ab 16 Jahren abstimmen durften, untersucht die Studie Einstellungen von mehreren tausend 15- bis 20-Jährigen zur Debatte rund um das Wahlalter, zum Informationsverhalten und zu Parteien.


Ausgewählte Ergebnisse der Studie präsentieren wir auf dieser Seite, die gesamt Studie ist hier kostenfrei abrufbar.


Die Debatte rund um das Wahlalter


2024 durften erstmals Wahlberechtigte ab 16 Jahren bei der Europawahl in Deutschland abstimmen. Zeitgleich fanden in acht Bundesländern aber auch Kommunalwahlen statt, bei denen das Wahlalter je nach Bundesland variierte: In Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Thüringen (Stichwahlen) durfte bereits mit 16 Jahren gewählt werden, in Sachsen, Saarland, Rheinlandpfalz und Baden-Württemberg hingegen galt das Wahlalter von 18 Jahren. Diese Unterschiede bei zeitgleich stattfindenden Wahlen führen häufig – vor allem in „politikfernen“ Gruppen – zu Fehlwahrnehmungen über die eigene Wahlberechtigung.

Die Studie zeigt Unsicherheiten bezüglich der Wahlberechtigung vor allem bei jungen Menschen mit formal niedrigerer Bildung. Gerade bei den 16- und 17-Jährigen wissen mitunter nur vier von fünf jungen Menschen, dass sie bei der Europawahl wahlberechtigt sind. Bei den 18- bis 20-Jährigen fällt auf, dass der Anteil korrekter Wahrnehmungen in Bundesländern mit paralleler Kommunalwahl und dort gültigem Wahlalter von 18 Jahren am niedrigsten ausfällt. Offenkundig hat das Auseinanderfallen von Wahlaltersgrenzen dort zu Unsicherheiten geführt. Insgesamt zeigt sich jedenfalls, dass sowohl individuelle Faktoren (Bildung, Alter) als auch kontextuelle Merkmale (parallele Kommunalwahlen mit Wahlalter 18) die Wahrnehmungen der eigenen Wahlberechtigung beeinflussen bzw. stören können – letzteres insbesondere bei jungen Menschen mit formal niedriger Bildung.
 


Das Wahlalter wird immer wieder öffentlich debattiert, egal ob es um Bundestags-, Landes- oder Kommunalwahlen geht. Dabei gibt es verschiedene Vorschläge, die von einer Art Familienwahlrecht (Wahlalter ab null Jahren) bis hin zu einem Wahlalter erst ab 21 Jahren geht. Argumente für oder gegen die Absenkung des Wahlalters finden sich viele in der Debatte, die zentralen wurden in der Studie den Befragten vorgelegt.
 


Insgesamt fällt auf, dass keine der Aussagen auf breite Zustimmung bei jungen Menschen trifft – womit allerdings verschiedene inhaltliche Punkte verbunden sind. Die größten Zustimmungswerte (genau genommen: die geringste Ablehnung) finden Aussagen, wonach 16-Jährigen die nötige Reife fehle; gefolgt von der Aussage, nur Wissende sollten wählen dürfen. Junge Menschen gehen also offenkundig mit sich und ihren Altersgenoss:innen recht streng ins Gericht. Dabei zeigen sich bei beiden Aussagen auch gewisse Unterschiede nach dem Grad formaler Bildung – erneut besteht eine größere Zurückhaltung in Bezug auf die Ausweitung des Wahlrechts bei Menschen, die kein Abitur haben oder anstreben.

Auch der Flickenteppich beim Wahlalter – Wählen ab 16 hier, Wählen ab 18 dort – löst keine besonders starken Reaktionen aus. Die Frage, ob sie solche Muster „schlecht finden“, löst jedenfalls keine Zustimmung aus – das Problem wird nicht wirklich als solches gesehen oder als dringlich empfunden. Klare Ablehnung findet man dagegen bei anderen Themen: Eine Wahlaltersgrenze für Ältere wird abgelehnt, ebenso die Idee, dass 16-Jährige in Parlamente gewählt werden dürfen. Auf die stärkste Ablehnung trifft die Idee eines Familienwahlrechts, bei dem Eltern stellvertretend für minderjährige Kinder zusätzliche Stimmen erhalten. Bei Menschen mit formal hoher Bildung fällt sie sogar noch geringer als bei anderen. Schaut man sich anstelle von Bildungs- die Altersunterschiede an (Ergebnisse nicht ausgewiesen), so finden sich diese vor allem für die Frage der Reife bei 16-Jährigen: Diese bewerten 18- bis 20-Jährige skeptischer als die Jüngeren. Insgesamt werden die Aussagen aber sehr ähnlich bewertet, auch wenn man sich Differenzierungen nach Stadt/Land, Ost/West oder Geschlecht anschaut.

 

Politische Informationen im social-media-Zeitalter


Der Wandel der Mediennutzung ist bei jungen Menschen massiv – Zeitung, Radio, Fernsehen spielen fast keine Rolle mehr, zumindest im klassischen Sinne. Sie sind aber nicht einfach durch neue Medien ersetzt worden; vielmehr zeigen sich auch dort durchaus selektive Effekte: Manche Menschen nutzen sehr stark Internet und Social Media, um politische Informationen zu erhalten, andere aber auch gar nicht. Radio und Zeitungen sind weitgehend jugendfreie Räume, wenn es um das politische Informationsverhalten geht. Über die Hälfte der Befragten nennt hier jeweils den Wert 0; auch die resultierenden Mittelwerte liegen mit 0,9 bzw. 1,2 Tagen pro Woche sehr nah an der Minimalkategorie. Auch für das Fernsehen zeigt sich ein ähnliches, wenn auch nicht ganz so dramatisches Bild: Auch hier überwiegt die Nichtnutzung – der Mittelwert liegt bei 1,5 Tagen pro Woche. Die Muster, die für „Internet“ und „Social Media“ resultieren, sehen dagegen anders aus; sie sind aber auch kein Spiegelbild der Muster für Zeitung, Radio und Fernsehen. Es ist also nicht so, dass junge Menschen sich selbstverständlich und tagtäglich im Netz über Politik informieren. Es zeigt sich vielmehr ein bipolares Muster: Viele junge Menschen nutzen täglich das Internet und insbesondere Social-Media-Plattformen, um sich über Politik zu informieren. Aber es gibt ebenfalls einen erheblichen Teil junger Menschen, der auch in den Weiten des Netzes mit Politik offenkundig nichtin Berührung kommt. Darin liegt die große Herausforderung des Medienwandels: Es wird eben nicht nur ein Kanal (z. B. Fernsehen) durch einen anderen (z. B. Social Media) ersetzt, sondern damit gehen auch ganz neue Selektivitäten einher.
 


Drei Plattformen dominieren die App-Landschaft junger Menschen: YouTube, WhatsApp und Instagram, aber letzteres gerät zunehmend durch TikTok unter Druck, gerade bei den 15-Jährigen. Schaut man sich die Präsenz von Politik in den Netzwerken an, erweist sich noch dazu TikTok als ein sehr politisches Netzwerk, das sich – was den Politik-Content-Gehalt betrifft – auf dem Niveau von X/Twitter bewegt. Und dieser politische Content ist noch dazu häufig ein parteipolitischer: Die AfD dominiert diese Netzwerke sehr stark. Auch das zeigt sich besonders deutlich bei 15-Jährigen.

 

Politische Polarisierung macht sich auch bei jungen Menschen bemerkbar


Auch für junge Menschen gilt: Es sind polarisierte Zeiten. Die wahrgenommene Wählbarkeit bestimmter Parteien, aber auch die Wahrnehmungen der Wählerschaften bestimmter Parteien unterscheiden sich sehr deutlich in verschiedenen Gruppen. Dies macht die Studie besonders für die Wählbarkeit wie auch die Wahrnehmung der Wählerschaften für Grüne und AfD sehr deutlich.


Innerhalb der Gruppe junger Menschen zeigen sich dabei Unterschiede, wie sie auch andere Studien und Befunde für die Bevölkerung insgesamt an anderer Stelle zeigen, etwa zwischen Mann und Frau, Stadt und Land, aber gerade auch nach formaler Bildung. Und diese produzieren bei gemeinsamer Betrachtung dieser Merkmale eklatante Unterschiede. Um diesem Bestand weiter nachzugehen, wurden in der Studie zwei Kontrastgruppen gebildet: junge Frauen mit hoher Bildung in Großstädten vs. junge Männer ohne hohe Bildung außerhalb von Großstädten: Die Wählbarkeit der AfD ist in der ersten Gruppe kaum messbar, während sie in der zweiten Gruppe auf Platz 1 liegt! In der Tendenz finden sich auch für die anderen Parteien Unterschiede, die aber bei Weitem nicht so groß ausfallen wie dies bei Grünen und AfD der Fall ist; am ehesten noch findet man das für die Linke. Ein Sonderfall bildet das BSW, das zum Zeitpunkt der Befragung noch sehr neu in der politischen Arena war und in der Folge noch nicht sehr profiliert und polarisiert wahrgenommen wird.


Fazit und Empfehlungen


Unsere Ergebnisse passen zu den Wahltagsbefragungen von Infratest dimap (für die ARD) und der Forschungsgruppe Wahlen (für das ZDF), die bei genauerer Betrachtung auch zeigen, dass das Wahlverhalten der jüngsten Altersgruppen sehr vielfältig war – auch wenn die Ergebnisse öffentlich mitunter sehr verkürzt rezipiert wurden. Zwar erhielt die AfD mehr Stimmen bei den Jungen als in der Vergangenheit, aber nicht mehr als bei mittleren Altersgruppen. Gleichzeitig schnitten kleinere Parteien – häufig gesellschaftspolitisch liberal und ökonomisch links orientiert – überdurchschnittlich gut ab. So lässt sich anhand dieser Zahlen vermuten, dass die Grünen an Volt oder „Die Partei“ Stimmen verloren haben.

Schließlich zeigt unsere Befragung, dass die Parteien, aber auch die Bildungseinrichtungen vor einer großen Herausforderung stehen, junge Menschen mit politischen Inhalten zu erreichen. Das Mediennutzungsverhalten wandelt sich in einem Tempo, das es schwierig macht, passende Inhalte zu generieren, die in der Vielzahl der Angebote wahrgenommen werden. Politikvermeidung ist in den sozialen Medien leicht zu erreichen, und schlecht gemachte Angebote werden die Zielgruppe nicht ansprechen.

Aus diesem letzten Punkt lässt sich ein Argument für das flächendeckende Absenken des Wahlalters ableiten: Gerade für politikferne Gruppen kann nicht unterstellt werden, dass Politik im Elternhaus oder Freundeskreis thematisiert wird oder dass politische Inhalte über soziale Medien konsumiert werden. Schulen und Berufsschulen könnten zu den wenigen Orten gehören, wo eine Auseinandersetzung mit Wahlen für alle stattfinden kann. Da die unter 18-Jährigen in der Regel ihre (Aus-)Bildung noch nicht abgeschlossen haben, böte dies die Möglichkeit, politische Bildung zu fördern und womöglich bestehende soziale Ungleichheiten abzumildern, die im politischen Wissen bestehen.

 

Über die Autor:innen
 

Thorsten Faas ist Professor für Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin und leitet dort die Arbeitsstelle „Politische Soziologie der Bundesrepublik Deutschland“.

Sigrid Roßteutscher ist Professorin für Politische Soziologie am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

Armin Schäfer ist Professor für Vergleichende Politikwissenschaft am Institut für Politikwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz.

 

Ansprechpartnerin in der FES
 

Annika.Arnold(at)fes.de

 

 

Faas, Thorsten; Roßteutscher, Sigrid; Schäfer, Armin

Jugend wählt

Perspektiven junger Menschen auf Wahlalter, politische Informationen und Parteien bei der Europawahl 2024
Berlin, 2024

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Ansprechpartnerin

Marie Meier

+49 30 26935-7418
Marie.Meier(at)fes.de

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