Die FES wird 100! Mehr erfahren
Timon Mürer

Selbständigkeit und Souveränität - Lettland und die EU

In vielen EU Mitgliedsstaaten wird die europäische Idee skeptisch betrachtet, doch in manchen Ländern weiß man sehr wohl, was man von Brüssel hat und will.

In Debatten über die Europäische Union ist viel von den großen Mitgliedsländern die Rede: vom deutsch-französischen Motor, dem besorgniserregenden Schuldenstand Italiens, der umstrittenen verfassungsrechtlichen Entwicklung in Polen. Die Stimmung in diesen Ländern gegenüber der EU wird schnell als Gradmesser für den Zustand der Union überhaupt gesehen, natürlich auch ganz ohne Grund – dass das Vereinigte Königreich die EU verlassen will, sagt durchaus etwas über diese aus.

Doch sieht man gerne darüber hinweg, dass die EU – ja Europa – eben nicht nur aus den großen Nationalstaaten besteht, sondern auch den mittleren und kleinen. Für diese ist die EU auch Garant dafür, dass sie eine gesicherte Stimme gegenüber größeren Nachbarn haben – im Rat zählt die Stimme Maltas so viel wie die Frankreichs.

Garant für Selbstständigkeit

Lettland ist eines dieser kleineren Länder. Etwa so groß wie Bayern hat es nur ca. 2 Millionen Einwohner und ist entsprechend dünn besiedelt. Vor kurzem feierte man das 100-jährige Jubiläum der Staatsgründung, die Verfassung von 1922 ist immer noch in Kraft oder besser gesagt wieder. Zwischen 1941 und 1990 war Lettland erst durch Deutschland besetzt, danach war es von der Sowjetunion okkupiert. Und so ist heute die EU-Mitgliedschaft zusammen mit der in der Nato für Lettland der Garant für Selbstständigkeit.

Neben der offensichtlichen geopolitischen, hat dies auch eine finanzielle Dimension. Lettland gehört zu den sogenannten Nettoempfängern, ca. 2% des BIP kamen 2016 aus Brüssel. „Liebe geht durch den Magen und Europa auch durch den Geldbeutel“, wie es Dr. Tobias Mörschel, Leiter der FES Büros in den baltischen Staaten formuliert. Und so weiß man in Riga, was man an der EU hat. Denn mit der Finanzkrise stand der kleine nordosteuropäische Staat, bis dahin ein transformationspolitischer Musterschüler, vor dem Kollaps. Nur die Milliarden an Staatshilfen aus der EU und drastische Sparmaßnahmen hielten das Land über Wasser. Dafür wurde auch die bittere Pille der Brüsseler Austeritätspolitik geschluckt.

Pro-EU ist Konsens

Wie es scheint auch mit Erfolg. Das Wirtschaftswachstum gehört zu den stärksten EU-weit, die Entwicklung geht wieder eindeutig in Richtung Unionsdurchschnitt, auch wenn es durch den Wachstumseinbruch infolge der Finanzkrise wohl noch einige Zeit benötigt mit diesem gleichzuziehen. Umso wichtiger ist und bleibt damit auch die EU, weswegen euroskeptische Töne in Lettland wenig Anklang finden. Es gibt einen pro-EU Konsens über die politischen Lager hinweg, man will zur Spitzengruppe gehören. Dieser Stellenwert kam auch bei einer Veranstaltung der FES in Riga Anfang November zum Ausdruck. Hierbei wurden zwei Studien des Büros Riga der Friedrich-Ebert-Stiftung vorgestellt. In der Publikation „European Pillar of Social Rights and Latvia´s Choices“ werden die Entwicklungen und Herausforderungen der lettischen Sozialpolitik im europäischen Kontext dargelegt. In der zweiten Publikation „The post-2020 budget of the European Union: „Latvia´s interests and opportunities“ werden die Auswirkungen, Interessen und Möglichkeiten der finanziellen Unterstützung der EU für Lettland analysiert. Gerade bei den Verhandlungen um das neue EU-Budget geht es  für Lettland um viel. Als Land mit einem relativ großen Agrarsektor sind die Mittel aus der Gemeinsamen Agrarpolitik von besonderer Bedeutung, auch wenn man sich im Vergleich zu Westeuropa bislang unfair behandelt sieht. Auch die Neuausrichtung des Budgets – weniger Ausgaben für Landwirtschaft und Strukturfonds, mehr Geld für Rüstung und Investitionen – wird nicht einfach für den ehemaligen baltischen Tiger.

Allerdings sollte das Ziel in Zukunft überhaupt eher darin liegen, weniger von Brüssel abhängig zu werden. Und bei aller Freude über das kräftige Wirtschaftswachstum, muss auch die soziale Situation verstärkt betrachtet werden. Die Durchschnittsrente liegt bei 350 Euro pro Monat, geringe Löhne und fehlende Perspektiven treiben viele ins Ausland. Um voll und ganz eine europäische Erfolgsgeschichte zu werden, müssen sich auch die Lebens- und Arbeitsbedingungen verbessern. Eine Aufgabe für die gesamte EU.

Ansprechpartner in der Stiftung

Tobias Mörschel

Kleinberga, Vineta; Bukovskis, Karlis

The post-2020 budget of the European Union

Latvia's interests and opportunities
Riga, 2018

Publikation herunterladen (360 KB, PDF-File)


Wirtschafts- und Sozialpolitik in Europa

Die Wirtschafts- und Sozialpolitik in Europa muss neu und vor allem gemeinsam gedacht werden. Damit sich die Krisen Europas nicht beliebig wiederholen, werden dringend progressive Konzepte benötigt. Doch welche Ideen von Wohlstandsgenerierung und Investitionsprogrammen gibt es? Wie können wirtschaftliche mit sozialpolitischen Maßnahmen verknüpft werden, so dass einerseits die Bewegungsfreiheit innerhalb Europas bestehen bleibt, andererseits aber auch soziale Sicherheit gewährleistet wird? Diesen Fragen wollen wir uns widmen und einen impulsgebenden Beitrag leisten.

Ansprechpartnerin

Marie Meier

+49 30 26935-7418
Marie.Meier(at)fes.de

nach oben