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Die Covid-19-Krise

Folgen und Lehren für die europäische Sozialdemokratie

Zusammenfassung

Die Studie »Die Covid-19-Krise: Folgen und Lehren für die europäische Sozialdemokratie« fasst die Er­gebnisse eines zweijährigen gemeinsamen Projekts zusammen, das die Foundation for European Progressive Studies (FEPS ) und die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES ) während der Corona-Pandemie in sechs EU-Ländern (Frankreich, Deutschland, Italien, Polen, Spanien, Schweden) durchgeführt haben. In einer vergleichenden Gesamtstudie und sechs Länderstudien werden die zentralen Trends und Erkenntnisse der Corona-Pandemie und die politischen Lehren für die sozialdemokratischen Parteien in Europa herausgearbeitet.

Das Projekt basiert auf den empirischen Daten von insgesamt 12.000 befragten Personen. In zwei Umfragen (Dezember 2020 und November 2021) wurden in jedem der sechs beteiligten Ländern jeweils 1.000 Menschen befragt. Der Fragenkatalog umfasste 13 soziodemografische und 63 thematische Fragen. Partner bei der Umsetzung des Projekts waren das Cattaneo-Institut aus Bologna, das Amster­damer Forschungsinstitut Kieskompas und das Umfrageinstitut Dynata.

Die Ergebnisse der Studien wurden am 16.05.2023 in einer Podiumsdiskussion in der Zentrale von FEPS in Brüssel präsentiert. Eine Livemitschnitt der Veranstaltung gibt es auf YouTube.


Die wichtigsten Ergebnisse der Studie

Der Rückhalt für amtierende Regierungen und das Vertrauen in Institutionen

  • Amtie­rende Regierungen und bestehende Institutionen gewannen – unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung - während der Covid-19 Pandemie an Vertrauen und Rückhalt. Dieses so genannte »rally-round-the-flag«-Phänomen bezeichnet die wachsende Unterstützung der Bevöl­kerung für die Regierung eines Landes in Krisenzeiten. Grundsätzlich erhielten linke und sozialdemo­kratische Regierungen mehr Zuspruch als rechte Regie­rungen, was auf deren proaktiven Kurs bei der Bewältigung der Pandemie zurückzuführen ist, insbesondere auf die Erhöhung der Sozialleistungen.
     
  • Während der Pandemie mussten die Bürgerinnen und Bürger zwischen dem Schutz der öffent­lichen Gesundheit und dem Schutz von Wirtschaft und Ar­beitsplätzen abwägen. Anhänger der Linken gaben mehrheitlich der öffentlichen Gesundheit den Vorrang vor Wirtschaft und Ar­beitsplätzen, während die Wählerschaft der Rechten sich mehr um den Erhalt der Wirtschaft sorgten.
     
  • In Fragen der Impfung und der Einschränkung individueller Freiheiten gab es zwischen den Wählerinnen und Wählern der linken und rechten Mitte und den Anhängern extremistischer und populistischer Parteien eine tiefe poli­tische Polarisierung. Die Wählerschaft der etablierten Parteien unterstützte die Impfbemühungen, während die Wählerinnen und Wähler der extremen Par­teien zu Verschwörungsglauben neigten und eine gegen das Establishment gerichtete Haltung einnahmen.
     
  • Die Pandemie weist darauf hin, dass Krisen der Sozialdemokratie eher keine günstigen Rahmenbedingungen bieten, um sich zu pro­filieren. Denn alle Regierungen streben als zentrales politisches Ziel ein relativ hohes Maß an Sozialprotektionismus an.

Die sozioökonomische Agenda nach der Pandemie: Den Aufstieg der radikalen Rechten verhindern

  • Die Pandemie hatte erhebliche Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Perspektiven und die Arbeitsbedingungen. Die wirtschaftlich schwächeren Teile der Bevölkerung, besonders jüngere Menschen und Frauen, wurden besonders schwer getroffen. Die asymmetrischen Auswirkungen der Pandemie, verstärkt durch die sozioökonomischen Auswirkungen des Krieges in der Ukraine, wurden von der radikalen Rechten gezielt politisch instrumentalisiert.
     
  • Sozialde­mokratie werden von Wählergruppen unterstützt, die wirt­schaftlich abgesichert sind und einen höheren Lebens­standard haben, während der Rückhalt der Sozialdemokraten in den wirtschaftlich schwächeren Teilen der Bevölkerung, und besonders in der Arbeiterklasse, abnimmt. Diese Menschen wenden sich zunehmend extremen Bewegungen auf der rechten und linken Seite zu.
     
  • Die linke Mitte sollte weiterhin die Mittelschicht ansprechen, zugleich aber der Abwanderung der Wählerschaft aus den wirtschaftlich am stärksten benachteiligten Teilen der Arbeiter­klasse entgegenwirken.

Große Erwartungen: Zustimmung zur EU und zur Rolle des Staates

  • In Bezug auf die EU und die wirtschaftlichen Regelungen zeigen die Umfragewerte, dass die bestehende politische Spaltung nicht ab­nimmt, sondern zugenommen hat – trotz der enormen fi­nanziellen Mittel, die die EU den Mitgliedstaaten bereitge­stellt hat. Auch wenn die EU-Mitgliedschaft in allen befragten Ländern nach wie vor mehrheitlich positiv gesehen wird, ist der Anteil derjenigen, die sich ambiva­lent gegenüber der EU äußern, groß.
     
  • Die linke Mitte sollte diese Ambivalenz sorgfältig im Auge be­halten, weil sie leicht in unverhüllten Euroskeptizismus umschlagen könnte, sobald die wirtschaftlichen Bedin­gungen sich verschlechtern. Die sozialdemokratischen Wählerinnen und Wähler gehören zu denjenigen, die die EU-Mitgliedschaft am stärksten befürworten, doch auch in dieser Wählergruppe gibt es ausgeprägte Ambivalenzen.
     
  • Über 60 Prozent der Befragten in allen Ländern sind der Meinung, der Staat müsse die Wirtschaft stärker regulie­ren – eine traditionell linke Politik. Linke Wählerinnen und Wähler teilen diese Ansicht am häufigsten, während die rechte Wählerschaft sie am striktesten ablehnt.
     
  • Die Sozialdemokraten könnten von dieser Entwicklung profitieren, indem sie positive Aspekte der Wirtschaftsregulierung in Bezug auf Verbrau­cherschutz, fairen Wettbewerb und Umweltschutz her­vorheben. Zynismus und Systemfeindlich­keit finden sich bei Menschen mit geringerem Einkommen und geringerer Bildung, bei (rechts-)populis­tisch orientierten Personen und bei denjenigen, die sich zu keiner politischen Ideologie bekennen.

Den gesellschaftlichen Zusammenhalt wiederherstellen: Die politisch ambivalente Einstellung der Bürgerinnen und Bürger überwinden

  • Der größte Teil der Wählerschaft in allen beteiligten Ländern ist gemäßigt und tendiert zur politischen Mitte. Politische Radikale und Extremisten sind eine – wenn auch lautstarke - Minderheit. Die Daten zeigen auch, dass sich immer mehr Bürgerinnen und Bürger mit keiner Seite des Links-Rechts-Grabens identifizieren, auch nicht mit der Mitte.
     
  • Menschen mit hohem Bildungsniveau und in guten wirtschaftlichen Verhältnissen unterstützen eher gemäßigte Parteien und vertreten moderate Meinungen. Radikale Parteien werden vor allem von weniger gebildeten und wirtschaftlich benachteiligten Menschen unterstützt. Die Mehrheit der Bevölkerung hat ein mittleres Bildungs­niveau. Auf genau diese Wählerschaft stützen sich die Sozialdemokraten.
     
  • Die Pandemie hat die wirtschaftlichen Ungleichheiten verschärft und dazu beigetragen, dass sich ein Teil der Ge­sellschaft nicht unterstützt fühlt und für den Einfluss ext­remistischer und populistischer Kräfte anfällig ist. Die Pandemie hat die »kognitive« Kluft zwischen den hoch gebildeten und den weniger gebilde­ten Gruppen vertieft, wobei letztere aufgrund ihrer Ar­beitsbedingungen, ihrer Position auf dem Arbeitsmarkt, ihres Zugangs zu Ressourcen und ihrer Wohnverhältnisse mit weitaus gravierenderen Folgen zu kämpfen hatten und haben.
     
  • Die »raison d‘etre« der Sozialdemokratie besteht darin, dass sie sich der Probleme der sozial und wirtschaftlich benachteiligten Gruppen annimmt, indem sie den Zu­gang zu (höherer) Bildung erleichtert, für höhere Löhne sorgt, die Beschäftigungsmöglichkeiten verbessert und die »Prekarität am Arbeitsplatz« bekämpft.

Der nachhaltige Weg in die Zukunft: Ein Schutzschild gegen Verschwörungstheorien

  • Wissenschaftsskepsis ist unter den Anhängern rechtsextremer und kleinerer Randparteien weit verbreitet. Wählerinnen und Wähler sozialdemokratischer Partei­en zweifeln am wenigsten an der Qualität wissenschaftlicher For­schung. Auch Menschen auf der extremen Linken stehen der Wissenschaft skeptisch gegen­über, insbesondere in Bereichen wie der Biotechnologie.
     
  • Der Glaube an Verschwörungstheorien hat während der Pandemie stark zugenommen. Personen, die po­pulistischen Parteien anhängen und sich in einer prekären wirtschaftlichen Situation befinden, tendieren stärker da­zu, Verschwörungstheorien Glauben zu schenken. Insge­samt weist die Studie jedoch nach, dass Verschwörungs­theorien und die Leugnung der Existenz ei­ner COVID-19-Pandemie insgesamt auf eine deutlich geringere Akzeptanz stoßen als ange­nommen.
     
  • Die Mitte-links-Wählerschaft hat relativ großes Vertrauen in die Wissenschaft und in die traditionellen politischen Institu­tionen und wird nicht so leicht zu dem an Verschwö­rungstheorien glaubenden oder populistischen Rand des politischen Spektrums abwandern.
     
  • Progres­sive Wählerinnen und Wähler in Westeuropa sind sehr pragmatisch, wenn es darum geht, Parteien zu wählen, die am ehesten in der Lage sind, sich zum Sprachrohr ih­rer Hoffnungen zu machen. Damit die Sozialdemokratie sich wieder besser aufstellen kann, muss sie die Wählerschaft davon überzeugen, dass sie für ein Regierungsamt tatsächlich in Frage kommt.

Die Strategie des Fortschritts: Der Konkurrenz von links und rechts standhalten

  • Sozi­aldemokraten sind in den meisten Ländern besonders der Konkurrenz grüner und linksradikaler Parteien ausgesetzt. Eine Ausnahme ist Deutschland: Hier sind die Christdemokra­ten der Hauptkonkurrent.
     
  • Anhänger der Sozialdemo­kraten sind auch für radikalere linke und grüne Optionen offen,  während umgekehrt linksradikale Wählerinnen und Wähler eher nicht für eine Partei der Mitte stimmen würden. Dennoch spielt in den meisten Ländern der Kampf um die Wählerschaft der Mitte die entscheiden­dere Rolle, wenn die Sozialdemokraten eine Regierungs­beteiligung anstreben.
     
  • Wählerinnen und Wähler, die früher die Sozialdemokraten gewählt ha­ben und sich ideologisch der Mitte zuordnen lassen, wechseln eher zu einer anderen Partei als linksgerichtete Sozi­aldemokraten. Wenn sozialdemokratische Par­teien – insbesondere als Partner der rechten Mitte – an der Regierung sind, sollten sie sich nicht in eine Spar­politik und in den Abbau des Wohlfahrtsstaates hineinzie­hen lassen.
     
  • Die Studie belegt, dass die Sozi­aldemokratie vor allem bei denjenigen Zuspruch findet, die selbst nicht auf finanzielle Unterstützung durch den Staat angewiesen sind, aber Hilfe für die weniger Begünstigten befürworten und sich für öffentliche Investitionen in Men­schen und Infrastruktur starkmachen, die dafür sorgen, dass eine Volkswirtschaft modern, dynamisch und nach­haltig bleibt.

Kontakt zur Umfrage

Gesamtkoordination

Dr. Ralf Hexel

030 26935-7711
Ralf.Hexel(at)fes.de

Ansprechpartnerin

Adriana Hornung

030 26935-7709
Adriana.Hornung(at)fes.de

Partner

Foundation for European Progressive Studies (FEPS)

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Länderstudien

Deutschland

Für Deutschland zeigen die Daten trotz einer großen Vielfalt und Polarisierung von Meinungen, dass die Mehrheit der deutschen Bürger_innen politisch gemäßigt ist, relativ hohes Vertrauen in ihre Regierung hat, ein hohes Maß an institutionellem Vertrauen hat, die Mitgliedschaft ihres Landes in der EU unterstützt, Einwanderer für einen Gewinn für die Gesellschaft hält und sich Sorgen um den Klimawandel macht.


Frankreich

In Frankreich deuten die Daten auf viele unterschiedliche und oft polarisierte Meinungen hin. Die französische Öffentlichkeit steht ihrer Regierung zunehmend kritisch gegenüber, hat ein relativ geringes Maß an institutionellem Vertrauen, ist gespalten in Bezug auf die Mitgliedschaft ihres Landes in der EU, glaubt, dass Einwander_innen ein Gewinn für die Gesellschaft sind, und ist besorgt über den Klimawandel.


Italien

In Italien deuten die Daten auf viele verschiedene, oft polarisierte Meinungen hin. Die italienische Öffentlichkeit unterstützte die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie weitgehend. Allerdings haben die Italiener_innen ein relativ geringes Maß an institutionellem Vertrauen, und weniger als die Hälfte der italienischen Bürger_innen hält die EU-Mitgliedschaft ihres Landes für eine gute Sache. Nichtsdestotrotz glauben die meisten Befragten, insbesondere die jüngere Generation, dass Einwander_innen ein Gewinn für die Gesellschaft sind, und sie sind besorgt über den Klimawandel.


Polen

Die Daten zeigen, dass Polen stärker polarisiert ist als andere europäische Staaten: Regierung und Oppositionsanhänger vertreten diametral entgegengesetzte Ansichten und Werte. Wenn es jedoch um Themen wie Klimawandel und Einwanderung geht, sind die Befragten besorgter und freizügiger, als oft in den Nachrichten berichtet wird.


Schweden

In Schweden deuten die Daten darauf hin, dass die Mehrheit der schwedischen Bürger_innen trotz vieler unterschiedlicher und oft polarisierter Meinungen politisch gemäßigt ist, relativ hohes Vertrauen in ihre Regierung und die bestehenden Institutionen hat, glaubt, dass Einwander_innen ein Gewinn für die Gesellschaft sind und sich Sorgen über den Klimawandel macht. Dennoch spricht sich eine beträchtliche Gruppe der Befragten gegen eine Mitgliedschaft des Landes in der EU aus.


Spanien

Der spanische Datensatz weist darauf hin, dass, obwohl es viele unterschiedliche, oft polarisierte Meinungen gibt, die Mehrheit der spanischen Bürger_innen politisch gemäßigt ist, relativ hohes Vertrauen in ihre Regierung hat und ein hohes Maß an institutionellem Vertrauen besitzt. Sie unterstützt die Mitgliedschaft ihres Landes in der EU, glaubt, dass Einwander_innen ein Gewinn für die Gesellschaft sind und macht sich Sorgen über den Klimawandel.

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