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In jeder Krise zeigen sich die Bruchstellen der Gesellschaft. Ohne einen Diskurs über die Grundwerte unserer Gesellschaft droht der gesellschaftliche Zusammenhalt zu zerreißen.
Bild: von April-Mediengruppe
Bild: von Büro für Fotografie – Philipp Jester / www.philippjester.com
Die Corona-Pandemie hat unser Leben von heute auf morgen auf den Kopf gestellt. Einiges, das vorher undenkbar war, ist plötzlich Normalität: Homeoffice, Homeschooling, Social Distancing, aber auch ein Rollback hinsichtlich Fragen der Geschlechtergerechtigkeit. Noch größer als die Angst vor dem Virus ist bei mir die Angst, was diese Krise mit der deutschen Gesellschaft macht.
Die gesellschaftlichen Wunden, die zuletzt die sogenannte Flüchtlingskrise hervorgebracht hat, sind noch nicht ganz verheilt. Sie war eine Zerreißprobe für die deutsche Gesellschaft und hat offengelegt, entlang welcher Linie diese gespalten ist: Weltoffenheit vs. Renationalisierung. In der Studie „Das pragmatische Einwanderungsland“ haben wir die Polarisierung der Gesellschaft entlang dieser Dimension nachgewiesen. Die Folgestudie „Auf der Suche nach dem verlorenen Dialog“ hatte sich zum Ziel gesetzt, Themen zu finden, die als Brücke zwischen diesen Polen fungieren könnten. Es zeigte sich aber, dass es kaum gelingt, die beiden sich unversöhnlich gegenüberstehenden Seiten in einen konstruktiven Dialog zu bringen. Eine Aushandlung von Kompromissen zwischen weltoffen Orientierten und national Orientierten ist kaum mehr möglich. 50 Prozent der Deutschen können aber keinem der beiden Pole zugerechnet werden, sondern bilden die bewegliche Mitte der Gesellschaft. Sie stehen dazwischen, kommen aber dennoch nicht als Brückenbauer infrage: „Die bewegliche Mitte, müde ob der andauernden Konfliktsituation, sieht sich selbst nicht als Teil dieser Konflikte, sondern als außenstehende Beobachterin zunehmend feindseliger Auseinandersetzungen und einer gesellschaftlichen Situation, die entgleitet.“ Diese bewegliche Mitte hat den Eindruck, alle um sie herum seien verrückt geworden.
Könnte das Corona-Virus als gemeinsamer „Feind“ von außen dazu beitragen, den inneren Zusammenhalt in der Gesellschaft zu stärken? Anfänglich sah es danach aus: Menschen zeigten sich solidarisch, es entstanden Nachbarschaftsnetzwerke, um Risikogruppen zu unterstützen. Die Regierung hat ein Konjunkturpaket geschnürt, das durch die Krise helfen und dem weiteren Auseinanderdriften der Gesellschaft vorbeugen soll. Dennoch werden erneut vor allem die lauten Extreme gehört. Sie bestimmen die Agenda, aber eine breite gesellschaftliche Debatte bleibt aus.
Konflikte sind in einer streitbaren und wehrhaften Demokratie unerlässlich. Werden diese jedoch nicht auf der Basis des demokratischen Grundkonsens ausgetragen, gerät die Wehrhaftigkeit der Demokratie in Gefahr. Die Normalisierung des Extremen, die schleichende Verschiebung des Denk- und Sagbaren haben handfeste Konsequenzen, der geschürte Hass zeigt reale Auswirkungen. Das Vertrauen in die Politik und ihre Handlungsfähigkeit ist gesunken, bei manchen gar in Politikverachtung und Hass umgeschlagen. Erinnert sei hier nur anlässlich des ersten Jahrestags an die Ermordung des hessischen Politikers Walter Lübcke am 2. Juni 2019 vermutlich durch einen Rechtsextremisten. Um nicht Gefahr zu laufen, dass immer mehr Bruchstellen im fragilen Gebilde der deutschen Gesellschaft entstehen, brauchen wir dringend einen öffentlichen Diskurs, der es zulässt, dass nicht nur die lauten Extreme zu Wort kommen, sondern auch die leise Mehrheit. Dafür benötigen wir Vordenker_innen, Visionär_innen und den Mut, gesellschaftliche Grundwerte neu auszudiskutieren.
Über die AutorinJana Faus ist Diplom-Sozialwissenschaftlerin und Geschäftsführerin der pollytix strategic research gmbh. Sie beschäftigt sich seit rund 15 Jahren damit, die Gesellschaft zu erforschen, zu beschreiben und zu erklären.
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