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Frontalunterricht ist nicht mehr zukunftsfähig, wie die neue Studie von Prof. Dr. Miriam Vock, Universität Potsdam, und Dr. Anna Gronostaj, Deutsche Schulakademie zeigt. Für den Umgang mit Vielfalt in der Schulpraxis braucht es neue Lernformen.
Frontalunterricht ist nicht mehr zukunftsfähig, wie die neue Studie von Prof. Dr. Miriam Vock, Universität Potsdam, und Dr. Anna Gronostaj, Deutsche Schulakademie zeigt. Der Umgang mit Unterschieden ist Kernauftrag der Schule: Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund, Fluchterfahrung, Behinderung, unterschiedlichem Alter, Religion und Geschlecht finden sich in jedem Klassenzimmer. Erfolgreiche Integration durch Bildung ist nichts anderes als ein erfolgreicher Umgang mit Heterogenität.
Die Studie, herausgegeben vom Netzwerk Bildung der Friedrich-Ebert-Stiftung, zeigt, wie der Umgang mit Vielfalt in der Schulpraxis flexibel gelingen kann und was dafür an neuen Lernformen, Materialien und Personal nötig ist. Die Zeit der schnellen Lösungen, die anfangs zur Integration von neu zugewanderten Kindern notwendig waren, ist vorbei. Sprachförderung bedeutet z.B. nicht nur, kurzfristig die Alltagssprache zu lernen, wenn etwa ein Viertel aller Fünfjährigen einen Sprachförderbedarf im Deutschen aufweist. Für viele Schüler_innen ist die durchgängige Förderung der Bildungssprache im Fachunterricht wichtig.
Mark Rackles, Staatssekretär für Bildung in der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie, Berlin, verweist auf die zunehmend integrative Arbeit der Berliner Schule: "Erfahrene Pädagoginnen und Pädagogen bieten in ihrem Unterricht ein breit gefächertes Angebot für ein kompetenzorientiertes und fachlich ausgerichtetes Lernen an. Die Erfordernisse heterogener Gruppen müssen besonders berücksichtigt werden, in denen Schülerinnen und Schüler in ihrer Verschiedenheit und Vielfalt gemeinsam lernen und arbeiten."
Die Studie bildet aus der Perspektive der empirischen Bildungsforschung Dimensionen von Heterogenität ab. Heterogenität im Klassenzimmer entsteht aus unterschiedlichen Merkmalen: Die Studie unterscheidet den familiären Hintergrund und das individuelle Lernpotenzial. Zehntausende neu zugewanderte Kinder und Jugendlichen bringen neue Facetten von Heterogenität in die Schulen. Sonderpädagogische Förderbedarfe oder chronische Krankheiten sind weitere Dimensionen von Heterogenität, ebenso unterschiedliche Rollenerwartungen an Mädchen und Jungen.
Burkhard Jungkamp, Staatssekretär a.D. und Moderator des Netzwerk Bildung, weist darauf hin, dass "die Forderung nach einem geeigneten Umgang mit Heterogenität hierzulande auf ein historisch gewachsenes Bildungssystem trifft, das dem Grundsatz optimaler Förderung lange durch institutionelle Differenzierung und Selektion Rechnung zu tragen suchte". Das gegliederte deutsche Schulsystem hat mit dazu beigetragen, dass der Einfluss der sozialen Herkunft auf den Bildungserfolg stark ausgeprägt ist. Jahrzehntelang zielten organisatorische Maßnahmen darauf, Leistungsunterschiede zu reduzieren, um möglichst gleichartige Lernbedingungen für alle Schüler_innen zu schaffen, so z.B. durch Klassenwiederholungen, Überweisung auf Förderschulen, Abschulung in eine andere Schulform, Überspringen einer Stufe. Trotzdem ist die leistungsbezogene Heterogenität innerhalb von Schulklassen zu Beginn der 5. Klasse beträchtlich.
Ein konstruktiver Umgang mit Heterogenität im Unterricht in einem inklusiven Schulsystem erfordert neue Lernformen und eine Abkehr vom Frontalunterricht. Innere Differenzierung zielt darauf ab, den Unterricht flexibel an die Schüler_innen anzupassen - was impliziert, dass in einer Klasse verschiedene Lernaktivitäten zeitgleich stattfinden. Differenzierung kann z. B. im Tempo, im Niveau oder dem Ausmaß der Unterstützung und der Zugänge erfolgen. Das erfordert von den Lehrkräften ein hohes Maß an diagnostischer und didaktischer Kompetenz. Eine lernbegleitende Diagnostik ist unerlässlich und es mangelt aktuell noch an passenden Unterrichtsmaterialien. Als ein Beispiel für einen konsequent differenzierten Unterricht wird das Lernbüro vorgestellt. Das Gruppenpuzzle ist ein Beispiel für kooperative Lernformen.
Der Umgang mit Heterogenität in der Schule ist komplex, anspruchsvoll und bedeutet viel Arbeit. Für viele Lehrkräfte erfordert die Umstellung auf einen binnendifferenzierten Unterricht ein radikales Umdenken. Lehrer_innen benötigen Material, das sie bei der Diagnostik unterstützt und einen differenzierten Unterricht ermöglicht. Es sind Leitlinien dafür erforderlich, was Schüler_innen mindestens können sollen und in der Regel können sollten. Räume und Fachkräfte sind unerlässlich, damit außerschulische Faktoren einbezogen werden können. Ohne Unterstützung durch multiprofessionelle Teams ist das nicht möglich. Zusätzlich bieten Ganztagsangebote ein hohes Potenzial im Hinblick auf eine anregende Lernumgebung.
Der Umgang mit Heterogenität hat somit viele Facetten: Anerkennung der Realität in Schulen und Klassenzimmern, Kernauftrag der Schule, Maßnahme zur Verringerung der sozialen Selektivität, Herausforderung und Chance für gemeinsames Lernen und ein demokratisches Miteinander.
Die Druckfassung der Studie kann bei Marion Stichler (marion.stichler(at)fes.de) bestellt werden.
Leitung der Pressestelle Johannes Damian
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