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Das Rätsel Tsipras: Griechenland nach dem Referendum

Athen, 6.7.2015: Ein klares Votum mit 61 Prozent für Nein und damit die Empfehlung der Regierung von Alexis Tsipras war der überraschende Abschluss einer ungewöhnlichen Woche. Die Kirsche auf der Torte war dann in der folgenden Nacht der Rücktritt des umstrittenen Finanzministers Yanis Varoufakis, der sich zum Mister Ochi (Nein) in der Eurogruppe stilisiert hatte. Es bleibt die Frage, was dieses Ergebnis für die Verhandlungen auf europäischer Ebene bedeuten.

Das Referendum unter der Lupe
Die innerhalb von weniger als acht Tagen angesetzte Volksabstimmung endete mit einem Ergebnis von 61,34 Prozent für Nein und 38,66 für Ja. Dies war nach dem demoskopischen Kopf-an-Kopf-Rennen der vergangenen Tage überraschend gewesen, auch wenn die Tendenz zum Nein schon länger sichtbar war. Erstaunlich bleibt, dass bis auf ganz wenige Stadtviertel in Athen, alle anderen Regionen des Landes und der Stadt selbst mit einem teils deutlichen Nein abgestimmt haben. Die Abstände bewegen sich fast überall zwischen 15 und 20 Prozent. Aus den Analysen im Vorfeld kann geschlossen werden, dass dieses Ergebnis vor allem den Stimmen der jungen Menschen zu verdanken ist, den Bauern, sowie insgesamt den ärmeren Schichten der Gesellschaft. Diese haben sich in ihrer großen Mehrheit hinter Tsipras gestellt. Die Zweifel an der Durchführbarkeit des Referendums wurden ebenfalls ausgeräumt. Das Quorum von 40 Prozent wurde mit 62 Prozent deutlich überschritten und es gab fast keine Berichte über Unregelmäßigkeiten in Wahllokalen. Die Abstimmung ist daher über Zweifel erhaben.

Die Bilanz des Referendums
Am Abend der Abstimmung machte Tsipras klar, dass er das Votum nicht als Auftrag zum Bruch mit Europa begreift, sondern als Auftrag, die Verhandlungen sofort wieder aufzunehmen und zu einer Einigung mit Europa zu kommen, die Griechenland aus dem Teufelskreis der Sparpolitik befreit. Daher soll umgehend ein Team aus Athen nach Brüssel reisen, um die Verhandlungen aufzunehmen. Allerdings muss dies erst noch gebildet werden nach den Umwälzungen der vergangenen Nacht.

Das Votum der Bürger hat Alexis Tsipras gestärkt und deutlich gemacht, dass es in der Frage der Fortsetzung der Sparpolitik eine Einigkeit zwischen der Regierung und den Bürgerinnen und Bürgern gibt. Dennoch startet er auch mit einem großen Handicap in diese Woche. Denn trotz der Kapitalverkehrskontrollen und des niedrigen Limits für Abhebungen, wird den griechischen Banken noch in dieser Woche das Bargeld ausgehen, wenn die EZB ihre Nothilfen nicht heute erhöht. Eine solche Entscheidung ist aber denkbar unwahrscheinlich, so dass die Regierung nur wenige Tage hat, um ein Ergebnis zu erzielen, bevor sie gezwungen sein wird, entweder eine Parallelwährung in Form von Schuldscheinen auszugeben, eine weitere Zahlung diesmal an die EZB zu versäumen und dabei zuzusehen, wie die diesjährige Tourismussaison verloren geht.

Eine Diskussion, die dabei intensiv geführt wird, ist eine Beteiligung der Bankkunden an einer Gesundung der griechischen Banken. Ähnlich wie in Zypern gibt es Szenarien, die Bankeinlagen mit einer hohen Sondersteuer zu belasten oder gar die Sparer für die Bankverluste haftbar zu machen. Ein solcher Schritt könnte drastische Wirkung bei den Menschen in Griechenland haben, gleichzeitig jedoch als Katalysator für eine Einigung mit den Partnern dienen.

Das neue Verhandlungsteam
Griechenland wechselt in dieser kritischen Situation zwei Schlüsselpersonen des Verhandlungsteams aus. Finanzminister Varoufakis trat noch in der Nacht zurück und räumte damit ein mögliches Hindernis für eine Einigung aus dem Weg. Es war kaum vorstellbar, wie eine Einigung mit dem polarisierenden Politiker auf europäischer Ebene möglich gewesen wäre. Entscheidend für seinen Rücktritt dürfte nicht nur das Misstrauen seiner Kollegen in der Eurogruppe sein, sondern das verloren gegangene Vertrauen seiner eigenen Regierung. Hier waren letzte Woche Risse und Verwerfungen deutlich geworden. Der Rücktritt ist daher intern sicherlich ein Vorteil für Tsipras und nach außen ein versöhnliches Signal an die europäischen Partner. Sein Nachfolger wird möglicherweise der bisherige Chefunterhändler Tsakalotos. Gleichzeitig haben die internen Verwerfungen dem Verhandlungsteam jedoch auch einen schweren Schlag versetzt. Der Verhandlungsführer Griechenlands in der Euro Working Group, Giorgios Houliarakis, ist ebenfalls zurückgetreten. Der Vertraute des Vizepremiers galt als absolut integer und zuverlässig und hatte bei den technischen Verhandlungen das Vertrauen seiner Gesprächspartner gewinnen können.

Das Rätsel Tsipras
Das Referendum war der vorläufige Höhepunkt eines erratischen Kurses der Regierung von Alexis Tsipras und auch nach dem klaren Ergebnis herrscht keinerlei Klarheit über die Absichten des griechischen Premiers und seine Strategie. Es ist ihm gelungen, sein Mandat aus den Parlamentswahlen zu bestätigen und deutlich zu stärken, dies jedoch auf Kosten von viel Vertrauen in Europa und auf Kosten der eigenen Wirtschaft. Nach dem Votum sitzt er fester im Sattel als je zuvor, es ist aber unklar, wie lange das ausgehungerte Pferd noch läuft. Die Banken hängen am Tropf der EZB und können jederzeit aus Frankfurt abgehängt werden, die Wirtschaft stagniert seit Januar und nichts bewegt sich. Griechenland ist bereits in die Rezession gerutscht und dazu kommt, dass die lebenswichtige Tourismussaison 2015 beschädigt werden könnte. Das Referendum und die geschlossenen Banken haben in den letzten Wochen für einen Rückgang der Buchungen gesorgt, obwohl Besucher bislang nicht von diesen Entwicklungen betroffen waren.

Alexis Tspiras hat sich– wieder einmal – als Sphinx für die Partner gezeigt. Es wird zunehmend deutlich, dass es sich bei ihm und SYRIZA um einen ungewohnten Typ von Partei und Politiker handelt. Er ist auf seltsame Weise ehrlich in den Verhandlungen und weigert sich, eine Vereinbarung zu unterschreiben, die seinen Überzeugungen widerspricht. Damit geht er nicht den Pfad seiner Vorgänger, die diese Einschätzung zwar teilten, die Memoranden dennoch unterschrieben, sie aber zu Hause nur widerwillig umsetzten und verwässerten. Tsipras macht dieses Versteckspiel nicht mit, sondern versucht die aus seiner Sicht richtige Abwendung von der Sparpolitik mit allen Mitteln zu erreichen. Dabei ist er von der Überzeugung geleitet, dass diese Haltung die richtige ist und die europäischen Partner, dies am Ende auch erkennen müssten. Da sie diese Einsicht in den Verhandlungen nicht erlangt hatten, sollte nun die für ihn oberste Instanz zu Wort kommen, der demokratische Souverän. Die Volksabstimmung war für ihn der äußerste Versuch, seine Verhandlungspartner von der Richtigkeit seiner Haltung zu überzeugen. Dass es dabei in einem Europa geteilter Souveränität zu Dissonanzen kommt, sieht er nicht.

Diese im Kernpunkt seiner Verhandlungsstrategie sehr ehrliche Haltung kontrastiert scharf mit den taktischen Winkelzügen sowohl auf europäischer Ebene, als auch im Inland. Tsipras positioniert sich sowohl in den Diskussionen im Ausland, als auch in der Innenpolitik wie ein Chamäleon und findet zumeist die dem Ort und den Zuhörern angemessenen Worte. Dabei verkennt er, dass eine scharfe Verurteilung der Gläubiger in der eigenen Fraktion, in Brüssel ebenso gehört, wie die moderate Positionierung in Berlin in der eigenen Partei kritisch beäugt wird. Bislang hat er diesen Balanceakt mit Geschick bewältigt, ist dabei jedoch kaum vorangekommen. Das Referendum stärkt zwar nun seine Grundüberzeugung, bindet ihn jedoch auch politisch noch einmal stärker. In den Verhandlungen dürfte sich Tsipras nun noch mehr persönlich einbringen, er ist in der Pflicht ein zählbares Ergebnis vorzulegen, mit dem er glaubhaft machen kann, dass die Schulden tragfähig sind. Eine Einigung auf neue Sparziele, und dabei mehr Flexibilität für Griechenland, reicht nicht mehr aus. Wir werden daher einen entschlosseneren Tsipras erleben, er wird noch mehr unter Druck sein als vorher und er muss liefern. Aber entgegen der Wahrnehmung in Deutschland will er zuerst zu Hause liefern, bevor er was in Brüssel vorbeibringt.


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