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Die EU-Institutionen werden nach den Wahlen im Juni neu besetzt. Sidonie Wetzig und Daniela Iller aus unserem EU-Büro beschreiben mögliche Entwicklungen in der Verteidigungs- und Entwicklungspolitik der Europäischen Union.
Mit der Wahl zum neuen Europäischen Parlament (EP) ist die erste Etappe in der Neubesetzung der EU-Institutionen genommen. Ursula von der Leyen wurde am 18. Juli vom EP für eine zweite Amtszeit als Kommissionspräsidentin bestätigt. Im Herbst steht die Wahl ihrer Kommission an. Die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas soll künftig als EU-Außenbeauftragte (High Representative/Vice President) für die Außenpolitik zuständig sein und der ehemalige portugiesische Regierungschef António Costa dem Europäischen Rat vorstehen.
Die meisten Abgeordneten im EP repräsentieren nun konservative bzw. nationalistische bis rechtsextreme Parteien. Auch die im Europäischen Rat versammelten Staatschef_innen gehören mehrheitlich diesen politischen Lagern an. Das sich auch auf die Besetzung der Kommission und auf die EU-Außenpolitik auswirken - ein Trend, der sich bereits abzeichnete und sich durch die neuen Mehrheitsverhältnisse noch verstärken wird. Angesichts eines zunehmenden geopolitischen Wettbewerbs richtet die EU ihre Agenda nach innen aus. Das wird nicht nur auf die Migrationspolitik Einfluss haben, sondern auch auf die Entwicklungs- und Verteidigungspolitik sowie das internationale Engagement der EU.
Eine Abkehr von der traditionellen Entwicklungszusammenarbeit ist seit Langem zu beobachten. Statt Geldgeberin will die EU Partnerin auf Augenhöhe sein – vor allem auf dem Nachbarkontinent Afrika, wohin Kommissionspräsidentin von der Leyen ihre erste Auslandsreise unternahm. Doch mit Covid-19 und dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat sich ein anderes Narrativ durchgesetzt: Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, Resilienz und Souveränität der EU werden zu Leitmotiven. Dieses wird wahrscheinlich auch die zukünftige EU-Entwicklungszusammenarbeit bestimmen. Es besteht das Risiko, dass sich die EU einseitig an ihren eigenen Interessen orientiert (Stichwort: Rohstoff, Energie und Lieferketten, Rückführung von Migrant_innen). Negative Auswirkungen auf Partnerländer, die sich u.a. einen Zugang zum EU-Binnenmarkt, zum Agrarmarkt, Entschuldung oder Investitionen wünschen, werden außer Acht gelassen.
Als Ausdruck interessensgeleiteter Entwicklungspolitik und als Gegenstrategie zur chinesischen Belt and Road-Initiative hat die Kommission bereits 2021 den Global Gateway ins Leben gerufen. Die neue Kommission wird sie vermutlich noch stärker im Sinne einer gezielten Außenwirtschaftspolitik ausbauen, wobei es dabei nicht um eine gänzlich neue Strukturpolitik geht, sondern eher um „competitive offers“ für die Partnerländer, die zugleich auch im Interesse der EU sind.
Der gegenseitige Nutzen und Mittel zur Bewältigung globaler Krisen rücken in den Mittelpunkt des globalen Engagements. Die Strategische Agenda des Rates unterstreicht, dass die EU auf die Fortsetzung ihrer geopolitischen Politik baut. Dazu gehört neben dem Anspruch, sich als globale Akteurin zu etablieren, auch die Ambition, stärker auf Verteidigung zu setzen. Ausgaben sollen erhöht und militärische Fähigkeiten ausgebaut werden. Aspekte einer „inward-looking“ Agenda stehen im Fokus: wirtschaftliche Sicherheit, Widerstandsfähigkeit gegen externe Krisen und Angriffe auf Infrastruktur, gesellschaftlicher Zusammenhalt.
Das EP mit einer starken Europäischen Volkspartei (EVP) sowie weiter rechtsstehenden Fraktionen wird weniger Motivation für ein globales Engagement der EU bedeuten. Eine Wendung zu einem stärker transaktionsorientierten Ansatz in der Außenpolitik ist die Antwort auf die neue geopolitische Landschaft. Jedes internationale Engagement steht unter dem Druck, Ergebnisse im Sinne der Interessen der EU zu erzielen. Diese Interessen kreisen insbesondere um die Themen Sicherheit, Migration, Wettbewerbsfähigkeit und wirtschaftliche Resilienz.
Ursula von der Leyen forderte im Wahlkampf einen Verteidigungskommissar. Offen blieb der konkrete Zuschnitt des Portfolios. Der Bereich der Verteidigungsindustrie wurde bisher von Kommissar Thierry Breton bearbeitet. Möglich wäre, dass der Bereich Verteidigungsindustrie vom Bereich Binnenmarkt getrennt würde. Was wäre dadurch gewonnen? Von der Leyen ging es um eine Aufwertung der Europäischen Verteidigungspolitik – denkbar wäre dies durch Kompetenzen des HR/VP. Er leitet die Treffen der Verteidigungsminister_innen und koordiniert die Operationen der EU im Rahmen der GSVP. Würde eine (oder mehrere) dieser Zuständigkeiten herausgelöst werden, wäre diese Rolle beschädigt. Die Besonderheit des HR/VP ist die Kombination aus gemeinschaftlichen und zwischenstaatlichen Themenbereichen und die Koordinierung aller auswärtiger Aktivitäten (Entwicklung, Nachbarschaft, Verteidigung, Humanitäre Hilfe) der EU.
Möglich wäre auch die Zuteilung von Politikbereichen, die mittelbar mit Verteidigungsfähigkeit und Resilienz in Verbindung stehen, beispielsweise der Cyberbereich, Energiesicherheit oder der Schutz von kritischer Infrastruktur. Jedoch sind die Diskussionen dazu noch nicht weit gediehen. Mit ihrer Forderung hat von der Leyen hohe Erwartungen für die Europäische Verteidigungspolitik geschürt. Bleibt sie dahinter zurück, wäre das sicherlich ein Dämpfer für die Verteidigungsintegration.
Im März hat die Kommission eine Strategie und ein Programm für die europäische Verteidigungsindustrie vorgelegt. Beide sollen die Integrationsschritte bündeln, mit denen die Verteidigungsintegration seit dem Angriff auf die Ukraine vorangebracht wurde. Über Verabschiedung und Umsetzung des Programms wird nun zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission verhandelt. Wie viele Elemente übernommen werden, liegt einerseits an der Bereitschaft der Mitgliedstaaten für weitere Integrationsschritte. Andererseits hängt es am Verhandlungsgeschick der Kommission, die weitreichenden Forderungen durchzusetzen, zum Beispiel durch einen Kommissar (für Verteidigung?), der Vorschläge des Vorgängers weiterführen müsste.
Insgesamt ist eine Zuspitzung der allgemeinen Debatte zur Außenpolitik von rechter und rechtsextremer Seite („muss mehr im Interesse der EU sein“) zu erwarten. Auch wird es voraussichtlich mehr Auseinandersetzungen zu feministischen Aspekten der Entwicklungszusammenarbeit geben. Zu befürchten ist zudem eine Abkehr von einer langfristig ausgerichteten Entwicklungspolitik mit Zielen wie Armutsbekämpfung, Demokratieförderung oder den SDGs und einem internationalen Engagement, das global ein Alleinstellungsmerkmal der EU war.
Sidonie Wetzig arbeitet als Referentin bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Brüssel. Ihr Themenfeld umfasst die Bereiche Außenpolitik, Sicherheit und Verteidigung.
Daniela Iller arbeitet ebenfalls als Referentin im EU-Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung. Sie befasst sich mit den Themenfeldern der Handels- und Entwicklungspolitik.
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