Ein Gesetz soll Unternehmen verpflichten, Menschenrechte und Umweltschutz einzuhalten. Was meint die IG BCE? Klare Worte von Michael Vassiliadis.
Wieder einmal überprüft die Bundesregierung, ob deutsche Unternehmen ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nachkommen. Denn die Liste an Menschenrechtsverletzungen, an denen deutsche Unternehmen beteiligt sind, ist lang: Von Bränden in Textilfabriken in Bangladesch und Pakistan bis zu Exporten giftiger Pestizide nach Indien und Paraguay.
Das Ergebnis der Umfrage zeigt deutlich: Nur 22 Prozent der deutschen Unternehmen achten die Menschenrechte. Damit ist erneut bestätigt, was bereits bekannt ist: Freiwilligkeit führt nicht zum Ziel. Die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards in der gesamten Lieferkette muss für Unternehmen endlich verpflichtend werden. Es braucht einen nationalen und europäischen gesetzlichen Rahmen.
Über die Macht transnationaler Konzerne, nachhaltige Lieferketten, globale Rahmenabkommen und ein Lieferkettengesetz spricht der Vorsitzende der IG Bergbau, Chemie und Energie (IG BCE), Michael Vassiliadis, anlässlich der gemeinsamen Veranstaltung der IG BCE-Stiftung Arbeit und Umwelt und der FES »Auf dem Weg zu nachhaltigen Lieferketten – Herausforderungen und Instrumente einer gerechten Globalisierung« am 5. März 2020. Das Interview wurde aktualisiert und jetzt veröffentlicht.
Michael Vassiliadis, die Diskussion, wie globale Produktionsnetzwerke sozial gerechter und ökologischer gestaltet werden können, hat in der letzten Zeit an Fahrt aufgenommen. Wie wird das in der IG BCE diskutiert?
Michael Vassiliadis: Zunächst einmal muss man feststellen, dass Gewerkschaften beim Thema Nachhaltigkeit in der Öffentlichkeit zu wenig wahrgenommen werden. Dabei haben wir doch ein Alleinstellungsmerkmal: das ist unsere Verankerung inmitten des ökonomischen Systems. Keine NGO, keine Partei, keine Kirche ist auch nur annährend in gleicher Position. Die Mitbestimmung ist unsere tägliche Realität, in den Entscheidungen und in der globalen Kompetenz – wir sind mittendrin. Es stellt sich also die Frage: Was machen wir mit diesem Alleinstellungsmerkmal? Bislang leider zu wenig. Für mich steht außer Frage, dass auch dieses Thema in unsere Verantwortung im Rahmen der Mitbestimmung gehört. Deshalb ist es wichtig, uns zu entscheiden: Wollen wir in Alltagsprofanität verfallen oder ein eigenes Gefühl für ausgewählte und herausragende Zukunftsthemen entwickeln? Verantwortung für Liefer- und Wertschöpfungsketten ist aus meiner Sicht ein solch herausragendes Thema. Hier müssen wir uns noch stärker positionieren. Nachhaltigkeit muss immer sozial, ökonomisch und ökologisch gedacht werden. Unser Vorteil als Industriegewerkschaft ist, dass wir alle drei Faktoren dieses Dreiecks kompetent bewerten und so auf eine ausgewogene Balance achten können. Damit sind wir gut aufgestellt für die Zukunft. Und auf diesem Weg wollen wir Tempo aufnehmen. Denn bei Themen wie Nachhaltigkeit darf man nicht monokausal auf die Herausforderungen blicken.
Die IG BCE hat 2013 gemeinsam mit dem Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC) und dem Verband der Chemischen Industrie (VCI) die Initiative »Chemie3« ins Leben gerufen, um die Themen »Gute Arbeit, Menschenrechte, Klima und Umwelt« in der Chemieindustrie weiter voranzubringen. Was sind die konkreten Herausforderungen solch einer Initiative?
Uns war immer wichtig, dass soziale Aspekte und die Perspektive der Arbeitnehmer_innen in der Debatte eine Dimension erhalten. Das war anfangs keineswegs selbstverständlich. Als Mitglied des Nachhaltigkeitsrates der Bundesregierung durfte ich dazu beitragen, dass sich das geändert hat. 2009 habe ich das Thema zudem in die eigene Organisation und in die Chemie-Debatte eingebracht. Die Verbände fühlten sich anfangs ungerecht behandelt. Weil niemand ihre eigenen Initiativen bei Effizienzthemen auch aus ökologischer Sicht würdigen wollte. Wir haben gesagt, entweder machen wir das gemeinsam oder wir treiben als IG BCE das Thema Nachhaltigkeit allein in die Debatte. Am Ende sind wir zusammengekommen, und es funktioniert. Auch weil wir Bedingungen gestellt haben. Uns war es wichtig, die Parameter für Nachhaltigkeit zum Beispiel durch soziale Themen sowie Lohn- und Tariffragen zu ergänzen. Tarifbindung und Betriebsratstätigkeit gehören auch dazu. Die Verbände haben das zu einem deutschen Ding erklärt. Es ist natürlich nicht nachvollziehbar, warum für allgemein richtig befundene Parameter in anderen Ländern wie Frankreich oder USA falsch sein sollen. Wir haben jetzt den ersten Schritt in Deutschland gemacht, jetzt stellt sich die Frage der Internationalisierung.
Wir haben es jedoch nicht bei der Formulierung von Parametern belassen, sondern haben diese auch messbar gemacht. Dabei sind einige Betriebe aufgefallen, die die Voraussetzungen nicht erfüllten. Weil sie keinen Betriebsrat haben oder keinen Tarifvertrag einhalten. Nicht viele, aber es gab welche. Zu einigen haben wir Zugang bekommen, andere mussten die Initiative verlassen. Man kann sagen: Zumindest in Deutschland haben wir mit Chemie3 einen Footprint hinterlassen.
Die IG BCE sitzt in vielen Aufsichtsräten. Was ist dein Eindruck, ist Nachhaltigkeit in den Chefetagen der Industrie angekommen?
In den Unternehmen wird das Thema mittlerweile sehr ernst genommen. Nicht von jedem, aber von der überwiegenden Mehrheit - auch im Top-Management. Dafür gibt es drei Gründe. Es gibt eine neue Generation von Manager_innen in den Vorständen, die die Zeichen der Zeit erkannt hat. Auch in den Aufsichtsräten wird sensibel und strategisch darauf geschaut. Allen ist klar, Nachhaltigkeit ist keine Strohfeuerdebatte, sondern ein Megatrend. Was wir jetzt brauchen, ist ein sachlicher Kontext, der den Unternehmen den Rahmen bietet, eine Strategie aufbauen zu können. Und da sehe ich uns als Partner. Zweitens: Die IG BCE hat das Thema in den Unternehmen vorangetrieben. Denn eines geht nicht: Dass wir Arbeitsplätze verlieren, weil wir nicht oder zu spät auf solche Entwicklungen reagieren. Und der dritte Grund ist, dass wir einen Standortvorteil beim Thema Nachhaltigkeit haben. Die Ausbeutung von Beschäftigten oder nichtdemokratische Strukturen in einigen Teilen der Welt kontern wir mit wissensbasierter Arbeit und Forschung. Mit Belegschaften, für die Nachhaltigkeit keine verkopfte Theorie ist, sondern konkreter Arbeitsinhalt. Unsere Leute sind gut ausgebildet und gesellschaftlich sensibilisiert. Nachhaltigkeit wird unter diesen Bedingungen nicht nur zu einem weiteren Parameter der Produktinnovation, sondern zu einem gelebten Kulturthema in den Unternehmen. Das ist ein großer Vorteil.
Und wie geht es weiter?
Nun, die Initiative muss sich im Alltag und in der Praxis bewähren. Das heißt auch: Können wir mit neuen Themen umgehen? Einen zweiten Punkt habe ich bereits angesprochen. Das ist die Frage, ob wir in der Lage sind, die Parameter global auszubreiten.
Um internationale Arbeitsrechte durchzusetzen, sind globale Rahmenabkommen – zwischen internationalen Gewerkschaften und multinationalen Unternehmen – ein sinnvolles Instrument. Die IG BCE hat bisher mit dem Unternehmen Solvay ein solches Rahmenabkommen abgeschlossen. Sind weitere in Planung?
Wir hatten in der Vergangenheit schon mehr Abkommen, zum Beispiel bei der Freudenberg Gruppe. Der Grund ist, dass die Unternehmen im Zuge von Corporate Social Responsibility (CSR) das Thema Nachhaltigkeit selbst ernster genommen haben. Allerdings wollen sie uns nicht dabeihaben. Nicht so sehr wegen einer harten Gegnerschaft, sondern einfach aus der Überzeugung, dass sie das über CSR lieber allein machen. Das Thema müssen wir stärker treiben und dann mit den großen Chemieunternehmen mehr Abkommen vereinbaren.
In Deutschland wird derzeit ein Lieferkettengesetz diskutiert. Das Entwicklungs- und Arbeitsministerium erarbeiten gemeinsam ein Eckpunktepapier. DGB und ver.di beteiligen sich mit einer großen Kampagne. Wie beurteilt die IG BCE ein solches Gesetz?
Wir brauchen jetzt einen verbindlichen gesetzlichen Rahmen, der Flexibilität ermöglicht – das wäre ideal. Da ich die Erfahrung in anderen Bereichen oft genug gemacht habe, baue ich auf eine Branchenlösung, die die unterschiedlichen Spezifika der Industrien berücksichtigt. In der Großchemie herrschen andere Bedingungen als in der Textilindustrie. Das wird intensiver Gespräche bedürfen. Sie sind aber nötig, sonst wird es ungenau. Wir brauchen Flexibilität innerhalb eines gesetzlichen Rahmens, um handlungsfähig zu sein.
Das Interview führten Frederike Boll und Zina Arvanitidou.