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Ungarns Regierung sieht China als strategischen Partner bei der Sicherung des Wachstums der ungarischen Wirtschaft. Angesichts der wachsenden Bedeutung Asiens in der Weltwirtschaft sei es für Ungarn notwendig, nicht nur mit dem Westen, sondern auch mit dem Osten enge Beziehungen zu haben. China dagegen zeigt ein Interesse daran, Ungarn als Standort für strategische Investitionen innerhalb des Europäischen Binnenmarktes zu nutzen.
Ist Ungarn Chinas Brückenkopf in der Europäischen Union? In letzter Zeit haben nicht zuletzt einige Investitionsentscheidungen chinesischer Firmen aufhorchen lassen: So baut CATL in Debrecen eine Batteriefabrik, die in der Endausbauphase eine siebenmal so große Produktionskapazität haben soll wie die 2023 eröffnete CATL-Fabrik in Thüringen. Und BYD, der weltgrößte Hersteller von Elektroautos, will seine erste europäische Fabrik in Szeged errichten. Bis zu 300.000 E-Autos sollen dort jährlich produziert werden.
Eine neue Studie des FES-Büros in Budapest untersucht die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Beijing und Budapest und ihre politischen Grundlagen. Denn Chinas Investitionen erregen im Rest Europas starkes Misstrauen. Viktor Orbán macht keinen Hehl daraus, dass er beabsichtigt, verstärkt einen Kurs der Mitte zwischen West und Ost zu fahren. So ist Ungarn das einzige EU-Mitglied, welches sich an Chinas umstrittener Belt and Road Initiative (BRI) beteiligt - samt dem Ziel, entscheidender Knotenpunkt des nördlichen Strangs der BRI zu werden. In einer Rede Ende September 2024 sprach Orbán von einer Politik der „wirtschaftlichen Neutralität“, die eine einseitige Ausrichtung auf einen stagnierenden Westen ausschließe. “Asia is where the future is, where the dynamism is, where the most money is, where the biggest banks, universities, research institutes, innovations and patents are”. Ungarns Ziel sei es, zu einem „neutralen“ Treffpunkt der westlichen und östlichen Wirtschaftspole zu werden. “We are at the very place where world economic systems and money flows meet and will meet.” Daneben dürften aber auch politische Überlegungen eine Rolle spielen. Mit einer Art symbolischen Schaukelpolitik zwischen Brüssel, Washington, Moskau und Beijing versucht Ungarn sich Spielräume für seinen nationalkonservativen Kurs zu erhalten und die finanzielle Abhängigkeit von EU-Mitteln etwas auszubalancieren.
Bisher ist vom Treffpunkt der ökonomischen Kraftzentren allerdings noch wenig zu sehen. China steht erst an neunter Stelle der ausländischen Investoren in Ungarn. Weit wichtiger sind Investitionen aus den westlichen EU-Staaten getragen, allen voran aus Österreich und Deutschland. Besonders die deutsche Automobilindustrie hat in Ungarn kräftig investiert. So betreibt Audi in Györ das größte Motorenwerk der Welt. Auch BMW und Mercedes sind mit großen Produktionsstätten vertreten.
Allerdings hat Ungarn angesichts der wachsenden Skepsis in westlichen EU-Mitgliedsstaaten tatsächlich an Bedeutung für chinesische Investoren gewonnen. Beijings Investitionen werden vermehrt durch einen „geopolitischen Filter“ betrachtet und unterliegen immer öfter nationalen Investitionskontrollen. Im Jahr 2023 gingen immerhin 44% aller chinesischen Investitionen in Europa nach Ungarn. Den Firmen geht es darum, über Investitionen in Ungarn im Europäischen Binnenmarkt präsent zu sein und sich in die europäischen Produktionsketten zu integrieren. Dies gilt für chinesische Unternehmen ebenso wie für koreanische oder japanische. Besonders die Batterie-Investitionen sind eng mit der deutschen Automobilindustrie in Ungarn verzahnt. So soll die CATL-Fabrik Batterien sowohl für BMW wie für Mercedes liefern. Und Ungarn bietet (allen) ausländischen Investoren günstige Bedingungen, gute Subventionen und einen engagierten Service bei der Förderung von Industrieansiedlungen.
Dennoch dürften auch politische Faktoren dazu beigetragen haben, dass die Beziehungen zwischen Beijing und Budapest zu einer, so die chinesische Terminologie, „all-weather comprehensive strategic partnership for the new era“ aufgewertet werden sollen, wie der chinesische Staatspräsident Xi Jinping and Viktor Orban bei einem Treffen im Mai 2024 in Beijing verkündeten. Wenige EU-Staaten dürften China so positiv gegenüberstehen wie Ungarn. Und wenige EU-Staaten sind strukturell so sehr auf die Zusammenarbeit mit Nicht-EU-Akteuren angewiesen wie Ungarn. Mit seiner vertiefungsskeptischen Haltung dürfte das Land auf absehbare Zeit zu einem Dauerkonflikt mit den vertiefungsorientierten Brüsseler Institutionen verdammt sein.
Ist Ungarn nun eine Art Brückenkopf für China in der EU? Ein bisschen, aber dann auch wieder nicht. Ökonomisch ist das Engagement Chinas tatsächlich auf die großen EU-Märkte ausgerichtet. Politisch braucht China dagegen nicht wirklich „innereuropäische“ Interessenvertreter - zumal, wenn diese so wenig Einfluss in Brüssel haben wie Budapest im Moment. Aber die Partnerschaft dient dennoch beiden Seiten: China hat eine ihr wohlwollend gegenüberstehende Regierung in der EU an seiner Seite, was hin und wieder durchaus nützlich sein kann. Und Ungarn verspricht sich durch die chinesischen Investitionen eine Dynamisierung der stagnierenden Wirtschaft und eine Unterstützung für seinen eng auf nationale Interessen ausgerichteten Kurs in der europäischen und internationalen Politik.
The Chinese economic presence in Hungary / Andrea Éltetń, Tamás Peragovics, Magdolna Sass, śgnes Szunomár. - Budapest : Friedrich-Ebert-Stiftung Budapest, 2024. - 26 Seiten = 630 KB PDF-File. - (Europa)Electronic ed.: Budapest : FES, 2024ISBN 978-615-6289-95-7
Zum Download (PDF) (630 KB PDF-File)
Dr. Ernst Hillebrand ist Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Budapest. Zuvor war er Referatsleiter der Internationalen Politikanalyse, des Referats für Mittel- und Osteuropa sowie Leiter der Büros in Warschau, Paris, London und Rom.
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