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In Konfliktgebieten haben Schutz, Friedenskonsolidierung und Stabilität Vorrang. Der Klimawandel wird oft als zweitrangig betrachtet. Warum dies zu kurz greift, erläutert Climate Tracker Stipendiatin Eman Mounir.
Von Eman Mounir (Twitter: @mounireman60)
Nach Jahren des Krieges und der extremen Dürre verließ der 55-jährige Saleh Ayman seine Heimat im Nordwesten des Jemen. Er und seine Familie machten sich auf die Suche nach Wasser. Denn zu Wasser, auf das der Mensch elementar angewiesen ist, hatten sie keinen Zugang mehr.
Zunächst versuchte Saleh Ayman noch zu bleiben. Seine Kinder gingen jetzt nicht mehr zur Schule, sondern machten sich jeden Tag auf den Weg zum Wasserholen. Zudem gab Saleh Ayman einen Großteil seines Geldes dafür aus, Wasser zu kaufen. Die Wasserpreise schnellten in die Höhe, so dass die Ausgaben für Wasser über dem Mindestlohn lagen. Schließlich beschloss er, in das etwa 400 km entfernte Gouvernement Ibb zu ziehen, wo eine internationale Organisation Brunnen zur Trinkwasserversorgung wieder instand gesetzt hatte.
Studien belegen, dass die meisten Menschen, die wie Saleh in Konfliktgebieten leben, auch den Auswirkungen des Klimawandels ausgesetzt sind. Solche Regionen verfügen oft nicht über die nötigen Ressourcen, um Klimafolgen abzumildern oder sich gar von ihnen zu erholen, denn es fehlt in den betreffenden Ländern an Einrichtungen wie etwa Frühwarnsystemen.
Laut einer im September 2021 veröffentlichten internationalen Studie haben in Konfliktgebieten unmittelbare Bedürfnisse wie Schutz, Friedenskonsolidierung und Stabilität Vorrang. Der Klimawandel wird oft als zweitrangig betrachtet. Die Studie zeigt auf, dass Konfliktgebiete mehr finanzielle Mittel brauchen. Vor allem sollten auch subnationale Regionen, die von bewaffneten Konflikten betroffen sind, und nicht nur die friedlichsten Regionen eines Landes Gelder erhalten.
In seinem jüngsten Bericht fordert das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), dass die Teilnehmer_innen UN-Klimakonferenz COP26 sich verpflichten, Konfliktländer nicht zu benachteiligen und sie entsprechend finanziell zu unterstützen. Das Komitee fordert außerdem, es müsse anerkannt werden, dass diese Länder aufgrund ihrer begrenzten Anpassungsmöglichkeiten besonders anfällig für Klimarisiken sind.
So wie Saleh gehören die Jemeniten insgesamt zu den am stärksten Betroffenen. Sie leiden unter Wassermangel und sind gezwungen, auf der Suche nach Wasser ihre Heimat zu verlassen.
Seit 2015 tobt im Jemen ein Bürgerkrieg, in dem mehr als 10.000 Menschen ums Leben kamen und Millionen vertrieben wurden. Im Verborgenen lauert jedoch eine noch tödlichere Bedrohung: die größte Hungersnot der Welt, die durch die Dürre noch verschärft wird.
Nach Analysen zum Wasserstress nimmt der Jemen mit einem Indexwert von 4,8 auf einer Skala von 5den ersten Platz unter den von Wasserknappheit betroffenen Ländern ein. Für diese Krise gibt es zahlreiche Gründe: Klimawandel, starkes Bevölkerungswachstum, Agrarpolitik und fehlende staatliche Regulierung sind nur einige davon. Eines der Hauptprobleme ist die Trockenheit.
Zu Beginn des Jahrhunderts wurde der Jemen von einer extremen Dürre heimgesucht, die dazu führte, dass die Wasserreserven aus Wasserbecken, Stauseen, Rückhaltebecken und Flusssenken versiegt sind, erklärt Youssef Al-Makhrafi, Umweltforscher an der September 21 University im Jemen. Der Krieg habe die ganze Situation noch zusätzlich verschlimmert. „Die Wasserknappheit im Jemen ist auch eine Folge des Krieges und der Bombardierungen staatlicher Brunnen. Mehr als 254 staatliche artesische Brunnen sind bombardiert worden“, so Al-Makhrafi. Die Brunnen seien für die Trinkwasserversorgung und die Bewässerung genutzt worden, aber der Regierung fehle derzeit das Geld, sie wiederherzurichten.
Das hat zur Folge, dass Wasser immer knapper wird. 2018 verbrauchte die jemenitische Bevölkerung pro Kopf etwa 85 Kubikmeter Wasser. Nach Angaben des jemenitischen Ministeriums für Wasser und Umwelt dürfte dieser Wert im Jahr 2025 bei 65 Kubikmetern liegen. Der weltweite Durchschnitt liegt bei 7.500 Kubikmetern pro Kopf.
Infolgedessen seien die Bauern, die auf das Wasser von Weihern, Stauseen und Wasserbecken angewiesen waren, dazu übergegangen, wahllos und ohne staatliche Genehmigung artesische Brunnen zu graben. Das wiederum habe dazu geführt, dass der Grundwasserpegel auf 700 bis 1200 Meter absank. Wegen menschlichen Missmanagements und der Folgen des Klimawandels sei absehbar, dass Sana'a bald die erste Hauptstadt sein werde, die völlig ausgetrocknet sei, so der Forscher.
„Samar war 14 Jahre alt und wunderschön. Wir sind jeden Tag gemeinsam zur Al-Fath-Schule von Al-Jubeen gegangen. Das ist ein Dorf in Jemens Gouvernement Rayma. Eines Morgens, als wir gerade in der Schule ankamen, hörten wir, dass Samar gestorben sei. Sie war in die Berge gegangen, um Wasser für ihre Familie zu holen“, erzählt Hana Muhammad, eine Nachbarin von Samar.
Im Jemen sind es die Frauen, die den höchsten Preis für die durch den Klimawandel verursachte Wasserknappheit zahlen, denn sie sind für die beschwerliche Arbeit des Wasserholens zuständig. Oft sind sie stundenlang auf gefährlichen Wegen unterwegs, um an Trinkwasser zu kommen. Ein Bericht der Vereinten Nationen von 2019 weist darauf hin, dass Frauen und Kinder zum Wasserholen weite Strecken zurücklegen müssen und dass dadurch ihre Sicherheit und ihre Menschenwürde noch zusätzlich gefährdet sei.
„Samar wird weder das erste noch das letzte Mädchen sein“, meint Hana. In den vergangenen Jahren hat sie mehr als 20 Todesfälle von Frauen miterlebt, die beim Wasserholen in den Bergen ums Leben kamen. Frauen und Mädchen seien es gewohnt, täglich zweieinhalb Stunden zu Fuß zum nächsten Brunnen gehen, die sich weit weg in den Bergen befinden. „Der Weg in die Berge ist sehr gefährlich und beschwerlich, denn er ist schmal und kann nur von einem Mädchen auf einmal begangen werden. Wenn sie ausrutscht, ist die Gefahr groß, dass das tödlich endet“, sagt Hana.
Wegen der hohen Wasserpreise bleibt oft nichts anderes übrig, als zum Wasserholen in die Berge zu gehen. Seit Beginn des Krieges im Jahr 2015 sind die Ausgaben für Wasser höher als der Mindestlohn (50 US-Dollar). Dies macht die Situation für die lokale Bevölkerung noch schwieriger.
Wer es sich nicht leisten kann, Wasser zu kaufen, zieht laut Al-Makhrafi oft in eine andere Stadt, um dort an Wasser zu kommen. Die Einwohnerzahl des Gouvernements Sana'a, die 2004 laut der damaligen Volkszählung bei 2 Millionen lag, ist durch die Landflucht in die Städte, insbesondere nach Sana'a und Hodeidah, auf mehr als 5 Millionen gestiegen.
An diesem Beispiel zeigt sich, dass eine Region, die den Klimawandel nicht verursacht hat, trotzdem mit einigen der schlimmsten Folgen konfrontiert ist.
Im Nordwesten des Westjordanlandes, in der palästinensischen Stadt Tulkarm, hat der 66-jährige Landwirt Hussam Youssef dieses Jahr eine dürftige Olivenernte zu verkraften. Diesmal warfen seine Olivenbäume gerade mal 11 Tanks Olivenöl ab. In früheren Zeiten kam Youssef jährlich auf etwa 45 Tanks – jeder von ihnen fasst 16 Liter Öl. Doch die hohen Temperaturen und die verspäteten Regenfälle haben der Olivenernte geschadet. Youssef berichtet, dass er in den letzten 30 Jahren seines Lebens als Landwirt noch nie eine so schlechte Olivenernte erlebt habe.
„Früher konnte ich aus dem Olivenanbau die Studiengebühren meiner Kinder bezahlen, den alltäglichen Bedarf decken und konnte sogar noch Rücklagen für die Familie bilden, die für ein paar Monate reichten. Die diesjährige Ernte wird das alles nicht abdecken. Ich weiß noch nicht, wie ich mit den geringen Erträgen auskommen soll“, sagt er.
Youssef ist nicht der einzige Bauer, der unter diesen Bedingungen leidet. Auch drei andere Bauern berichten, dass die Olivenernte seit fünf Jahren immer schlechter ausfällt. 2021 sei wegen der Hitze und der fehlenden Niederschläge das schlechteste Jahr gewesen. Ähnlich wie der Jemen ist auch Palästina von extremen Wetterverhältnissen betroffen.
Der Umweltexperte Ahmed Hilles, Leiter des National Institute for Environment and Development (NIED) in Gaza, erklärt das Problem so: „Wegen der hohen Temperaturen hat sich der Luftdruck verändert. Dadurch veränderten sich die Stärke, die Geschwindigkeit und die Richtung des Windes und damit auch die Geschwindigkeit und die Intensität des Regens, sodass die palästinensischen Landwirte nicht mehr wussten, wann sie anbauen sollten. Das hat zur Zerstörung von Nutzpflanzen und insbesondere der Feldfrüchte geführt.“
Laut Hilles ging die Niederschlagsmenge in Palästina in den letzten 15 Jahren zurück – im Westjordanland um 22 Prozent (von 535 auf 400 mm) und im Gazastreifen um 12 Prozent (von 450 auf 320 mm). Dies beeinträchtige die Ernährungssicherheit in der Region. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Temperaturen in der Region im Laufe dieses Jahrhunderts um 1,8 bis 5,1 Grad Celsius ansteigen und die Niederschläge um bis zu 30 Prozent zurückgehen werden.
Ein weiteres Problem in Palästina ist der Krieg. Ahmed Hilles weist darauf hin, dass durch die schwere Bombardierung des Gazastreifens durch Israel, wie bei den jüngsten Kriegshandlungen im Mai 2021, große Teile der Umwelt einschließlich Wasser, Boden und Luft zerstört werde. „Die Natur in Palästina ist durch die Kriege stark in Mitleidenschaft gezogen worden, und besonders stark haben unter der Politik der Besatzungsbehörden und auch unter den Folgen des Klimawandels die Olivenbäume zu leiden“, so Hilles.
Der Olivenbaum ist seit langem ein Symbol für die Tradition, den Widerstand und die palästinensische Unbeugsamkeit gegenüber der israelischen Besatzung. Doch jetzt ist er extremen Witterungseinflüssen ausgesetzt. Laut einer Studie von 2014 sind Olivenbäume am stärksten vom Klimawandel betroffen, da sie auf Niederschläge angewiesen sind und sich nicht über das Grundwasser versorgen.
Olivenbäume gelten in Palästina als eines der wichtigsten landwirtschaftlichen Erzeugnisse des Landes. Der Anteil der Olivenbäume an den Anbauflächen wird auf 85,3 Prozent aller in den besetzten palästinensischen Gebieten gepflanzten Bäume geschätzt. Der Olivenanbau trägt somit 15 Prozent zum landwirtschaftlichen Gesamteinkommen bei. Die Zahl der Olivenbäume wird auf 11 Millionen Bäume geschätzt. Nach Angaben des palästinensischen Landwirtschaftsministeriums sichert dieser Sektor das Einkommen von 100 000 palästinensischen Familien im Westjordanland und im Gazastreifen.
Die hohen Temperaturen und der Verlust von Olivenbäumen wirken sich immer verheerender auf die Ernährungssicherheit aus: In Palästina leiden 26 Prozent der palästinensischen Familien unter Ernährungsunsicherheit (im Gaza-Streifen sind es 46 Prozent und im Westjordanland 16,3 Prozent). „Die armen palästinensischen Familien zahlen die Zeche für den CO2-Ausstoß der reichen Länder. Die Lage verschärft sich noch durch die israelische Besatzung, die die palästinensischen Gebiete durch die Kriegshandlungen immer weiter schrumpfen lässt“, meint Hilles.
Nach offiziellen palästinensischen Statistiken wurden im Zuge des Konflikts seit Anfang 2021 mehr als 15 000 Bäume im Westjordanland gefällt, unter anderem weil sie auf Truppenübungsplätzen oder Umgehungsstraßen standen.
Der Olivenbaum als Symbol der Hoffnung hat einem jahrzehntelangen Konflikt getrotzt. Doch jetzt, da die Welt in eine neue Krise schlittert, erlebt Palästina das stumme Leiden der Olivenbäume.
Ausgerechnet in Palästina und im Yemen, wo nur wenige Emissionen in die Atmosphäre gelangen, zeigt sich die Klimakrise mit voller Wucht.
Aus dem Englischen von Christine Hardung
Eman Mounir ist eine unabhängige Invetigativjournalistin aus Ägypten. Sie brennt für Wissenschaftsthemen, Umwelt und Feminismus und wurde für ihre Arbeit u.a. mit dem New Media Writing Prize der University of Bournemouth ausgezeichnet. Aktuell ist sie nominiert für den True Story Award und den Young Journalist Award der Thomson Foundation. Eman studierte Datenjournalismus und ist aktuell Stipendiatin der ONE WORLD MEDIA foundation in England
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