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Um die globalen Folgen des Krieges gegen die Ukraine besser zu verstehen, haben die Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung (BKHS) und die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) eine „Global Expert Group on Conflict Resolution and Peacebuilding“ gegründet. Im Interview erklären Dr. Julia Strasheim und Tina Blohm, was es damit genau auf sich hat und wie Friedensarbeit in Zukunft erfolgreich sein kann.
Die Fragen stellte Felix Kösterke.
Was ist das Ziel der "Global Expert Group on Conflict Resolution and Peacebuilding" und wieso wird dieses Projekt gerade jetzt gestartet?
Beide: Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine hat erhebliche – aber je nach Kontext auch sehr unterschiedliche – Konsequenzen für das globale Konfliktgeschehen und für Bemühungen zur Konfliktbewältigung und Friedensförderung in allen Weltregionen. Diese Folgen wollen wir besser verstehen. Außerdem stehen infolge des Krieges in der Ukraine andere Konflikte und Kriege – sei es in Afghanistan, Äthiopien oder in Syrien – hier in Deutschland und in Europa weniger im Fokus. Daher ist es unser Ziel, mit dem Projekt gerade jetzt die Anliegen von Expert*innen aus diesen Ländern in die deutsche und europäische Debatte einzubringen.
Welche zentralen Fragen sollen im Netzwerk erörtert werden und wer ist die Zielgruppe für die Arbeitsergebnisse?
Beide: Die konkreten Themen wollen wir im Juni 2023 und im Rahmen eines Workshops gemeinsam mit den Mitgliedern der „Global Expert Group“ erarbeiten. Aber die drei zentralen Fragen, die unseren bisherigen Überlegungen zugrunde liegen, sind:
Unsere Arbeitsergebnisse richten sich dabei insbesondere an politische Entscheider*innen und Fachleute der Konfliktbewältigung und Friedensförderung – dies zum einen hier in Europa und zum anderen natürlich auch in den Ländern und Regionen aus denen die Expert_innen stammen.
Die Mitglieder der Expert Group stammen aus verschiedensten Ländern mit teilweise sehr unterschiedlichen Konflikterfahrungen. Wie plant Ihr diese Vielfalt nutzbar zu machen und „lessons learned“ zu identifizieren?
Julia Strasheim: Für mich ist genau die Vielfalt unseres Netzwerks die erste und wichtigste „Lesson Learned“: Maßnahmen der Konfliktbewältigung, der Friedensförderung und des Wiederaufbaus sollten immer kontextspezifisch entwickelt und umgesetzt werden. So entfalten sie ihre bestmöglichste Wirksamkeit. Was in einem Land oder in einer Region funktioniert, muss es im nächsten nicht tun: Frieden hat keine Blaupausen.
Dafür ist es unabdingbar, dass lokale Expert*innen gehört werden und Einfluss auf die Gestaltung von Maßnahmen nehmen können. Gleichzeitig wurden in den letzten Jahrzehnten und in vielen Konflikten weltweit aber auch wichtige Dinge dazugelernt, worauf es manchmal ankommen kann. Dazu gehört zum Beispiel, Kriegsverbrechen möglichst frühzeitig und möglichst genau zu dokumentieren, um sie später ahnden zu können, oder bereits während eines andauernden Krieges Voraussetzungen zu schaffen, sodass Friedensprozesse unter breiter gesellschaftlicher Teilhabe stattfinden können.
Tina Blohm: Da stimme ich Julia voll zu. Eine Erfahrung aus den Interventionen der letzten Jahrzehnte ist, dass die Intervenierenden nicht genügend kontextspezifisches Wissen besaßen und zu wenig Bescheidenheit bezüglich der Auswirkungen ihres eigenen Handels mitbrachten. Es geht uns um ein vertieftes Zuhören und Analysieren, um spezifische Lösungen zu finden.
Doch auch spezifische Lösungen in einem lokalen Kontext stehen in nationalen und internationalen Zusammenhängen, die wir verstehen und gegebenenfalls ändern müssen. Außerdem ist es wichtig, blinde Flecken in der eigenen Wahrnehmung aufzudecken. Sicherheit und Frieden bedeuten sehr unterschiedliche Dinge für unterschiedliche Menschen. Ein umfassendes polit-ökonomisches Verständnis von Konflikten und Konfliktakteuren ist daher zentral.
Gibt es bereits spürbare Veränderungen der globalen Friedensarchitektur und Auswirkungen des Krieges gegen die Ukraine auf Maßnahmen der Friedensförderung und, wenn ja, an welchen Beispielen kann man diese ablesen?
Julia Strasheim: In der vergangenen Woche habe ich Expert*innen-Interviews für unser Projekt in Brüssel geführt – und am Beispiel der EU-Instrumente im Bereich Frieden und Sicherheit werden manche Veränderungen schon sehr deutlich. Die meisten meiner Gesprächspartner*innen haben zwar betont, dass viele Veränderungen schon vor dem russischen Krieg gegen die Ukraine begonnen haben, aber sagen auch, dass der Krieg existierende Entwicklungen beschleunigt oder intensiviert hat. In fast jedem meiner Gespräche ging es zum Beispiel um die Europäische Friedensfazilität (EPF), die es schon seit 2021 gibt und über die die EU nun zum ersten Mal in ihrer Geschichte tödliche Waffen in ein Kriegsgebiet entsendet – das alleine ist schon eine spürbare Veränderung!
Viele meiner Gesprächspartner*innen vermuten, dass die Ukraine dabei ein Präzedenzfall für den zukünftigen Einsatz der EPF auch in anderen Krisen und Konflikten sein könnte und erwarten eine künftig noch stärker geopolitisch agierende EU. Zwar wurden in manchen Interviews darin auch Chancen gesehen – etwa, dass die EU besser darin wird, äußere Einflussnahme als Konflikttreiber zu verstehen – aber viele meiner Gesprächspartner*innen sehen darin Gefahren. Durch eine „geopolitische Brille“ können etwa lokale Konfliktdynamiken übersehen oder untergeordnet werden und damit im schlimmsten Fall Konflikte weiter verschärft werden.
Welche Rolle kann, oder sollte die Bundesrepublik im Sinne der „Zeitenwende“ im Bereich der Konfliktresolution spielen? Bedroht die Zeitenwende eventuell sogar Deutschlands Position als einer der stärksten Unterstützer von Maßnahmen ziviler Konfliktbearbeitung?
Tina Blohm: Die Bundesrepublik hat immer eine sehr aktive Rolle in der zivilen Konfliktbearbeitung gespielt - viele Akteure im Ausland betrachten sie als Vorbild und Vorreiter. Um diese Aufgaben auszufüllen und auszubauen benötigt man Ressourcen, Expertise, politische Aufmerksamkeit und die Fähigkeit, global neue Allianzen zu schmieden. Wichtig ist, dass Sicherheit, Frieden und Entwicklung gleichwertig und zusammengedacht werden.
In einigen Wochen wird die neue Nationale Sicherheitsstrategie vorliegen und es wird intensive Debatten über ihre Auslegung und Umsetzung im Sinne eines integrierten Sicherheitsbegriffes geben. Hierbei wird es besonders wichtig sein, die komplette Breite der Instrumente der Konfliktbearbeitung im Blick zu halten und sorgfältig abzuwägen, welches Instrument wann benötigt wird. Zudem befinden wir uns mit der Enquete-Kommission ‚Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands‘ an einem Punkt, an dem wir uns intensiv mit Lehren aus der Vergangenheit für die zukünftige Außen- und Sicherheitspolitik beschäftigen. Auch hier können die Lehren für Ansätze der Konfliktresolution und der zivilen Konfliktbearbeitung zukunftsweisend sein.
Weitere Informationen zur Expert:innen-Gruppe gibt es auf der Seite der BKHS: Hier.
Dr. Julia Strasheim ist stellvertretende Geschäftsführerin und Programmleiterin Europa und Internationale Politik der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung.
Tina Blohm ist Referentin für Globale Friedens- und Sicherheitspolitik mit dem Schwerpunkt Frieden und Entwicklung bei der Friedrich-Ebert-Stiftung.
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