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Unser Einsatz endet nicht hier

Interview mit Birgit Sippel: „Nun gilt es sicherzustellen, dass an unseren Außengrenzen EU-Recht stets gewahrt und die GEAS-Reform schnell und umfassend umgesetzt wird“, sagt sie als Mitglied des EU-Parlaments und Sprecherin der S&D Gruppe im LIBE Ausschuss.


Interview mit Birgit Sippel, Mitglied des EU-Parlaments und Sprecherin der S&D Gruppe im LIBE Ausschuss

 

Frau Sippel, seit mehr als acht Jahren gibt es seitens der EU-Institutionen Bemühungen, das Gemeinsame Europäische Asylsystem zu verändern. Auch beim neuesten Versuch, den Vorschlägen der EU-Kommission für einen Migrations- und Asylpakt von 2020, hat es lange gedauert, bis sich Rat und Parlament schließlich einigen konnten. Was waren die größten Streitpunkte, die eine schnellere Einigung verhindert haben?

Die Hauptursache für die lange Verzögerung bei der Asyl- und Migrationsreform ist zweifellos, dass sich die Mitgliedstaaten im Rat jahrelang nicht auf eine gemeinsame Verhandlungsposition einigen konnten und somit die eigentlichen Verhandlungen zwischen Parlament und Rat nicht beginnen konnten.

Diese lange Verzögerung im Rat lag maßgeblich am mangelnden Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten, die sich nicht am „Grundsatz der Solidarität und der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten unter den Mitgliedstaaten“ orientierten, wie es die europäischen Verträge vorschreiben. Stattdessen wurde lange auf den eigenen Standpunkten bestanden und zu zentralen Vorschlägen gab es erst im Juni 2023 eine Einigung im Rat. Einige der größten Streitpunkte waren bis zum Schluss, ähnlich wie übrigens auch im Parlament, der Umgang mit Geflüchteten an den Außengrenzen und die Solidaritätsfrage.

Mit Beginn der Verhandlungen zwischen Rat und Parlament, den sogenannten Trilogen, wurde dann schnell deutlich, dass für den Rat jegliche Abweichung von seinem Verhandlungsmandat einem enormen Kraftakt gleichkam. So mussten wir beispielsweise in der Screening-Verordnung mehrere Monate alleine für die Selbstverständlichkeit kämpfen, dass auch während dieser ersten Phase geltendes Asylrecht anwendbar ist.

Dennoch haben wir es trotz der langen Verzögerung im Rat und den weit voneinander entfernten Ausgangspositionen geschafft, in nur wenigen Monaten eine umfassende Einigung zu finden. Das zeigt die Entschlossenheit und den Einsatz aller Beteiligten in den vergangenen Monaten.

 

Was steht im Fokus der zentralen Gesetzestexte der Asylreform?

Ich glaube, allen war klar, dass die Situation der vergangenen Jahre untragbar war. Wir erleben systematische Menschenrechtsverletzungen an unseren Grenzen mit zahlreichen Pushbacks, die oft ungeahndet bleiben. Das geltende EU-Asylrecht wird von den Mitgliedstaaten seit Jahren nur sporadisch umgesetzt und anstatt dies zu ahnden, lobt Kommissionspräsidentin von der Leyen Mitgliedstaaten, die auf rigorose Abschottung setzen.

Deshalb ist es wichtig, dass wir nun klare Regeln schaffen, sodass Mitgliedstaaten ihre Verantwortung wahrnehmen und Schutzsuchenden einen Zugang zu Asyl in Europa ermöglichen. Dabei steht für uns insbesondere ein Solidaritätsmechanismus im Fokus, der die Mitgliedstaaten erstmals dazu verpflichtet, sich untereinander zu unterstützen. Das kann dadurch geschehen, dass Mitgliedstaaten Asylbewerber*innen aufnehmen, aber auch durch finanzielle oder materielle Unterstützung.

Daneben sind die ausgeweiteten Asyl-Grenzverfahren und die Regelungen für sichere Drittstaaten zweifelsohne zentrale Neuerungen der Reform. Beide Aspekte sind gerade für uns Sozialdemokraten schwierig zu akzeptieren, weshalb wir in den kommenden Jahren gerade hier die Umsetzung und Einhaltung der Grundrechte eng verfolgen müssen.

Zuletzt ist insbesondere für mich als Berichterstatterin auch das neue Screening-Verfahren eine entscheidende Neuerung. Damit werden wir flächendeckend alle irregulär eingereisten Menschen registrieren und sie einer Identitäts- und Sicherheitsprüfung unterziehen. So stellen wir in der EU sicher, dass wir stets wissen, wer einreist und schaffen eine bessere Grundlage für die danach folgenden Verfahren. Außerdem führen wir einen neuen Überwachungsmechanismus für Grundrechte im Screening-Verfahren ein, der die Einhaltung von EU- und internationalem Recht kontrollieren wird.

Dies sind aber nur einige, wenn auch sehr wichtige, Punkte. Immerhin sprechen wir von mehreren Hundert Seiten Gesetzestexten, über die das Europäische Parlament im April final abstimmt, was nochmal den Umfang der Reform unterstreicht.

 

Wie ist die Einigung aus Ihrer Sicht einzuschätzen?

Es steht außer Frage, dass gerade wir als sozialdemokratische Fraktion hohe Zugeständnisse machen mussten, um einen Kompromiss zu ermöglichen und trotz allem klare Regeln zu schaffen. Die Gefahr von unverhältnismäßiger Inhaftierung in den Grenzverfahren durch die Mitgliedstaaten ist beispielsweise ein Punkt, gegen den wir uns bis zuletzt eingesetzt haben. Leider hat die Mehrheit der Mitgliedstaaten und andere Fraktionen im Parlament einen anderen Ansatz verfolgt, sodass wir uns hier nicht durchsetzen konnten.

Allerdings konnten wir, wie bereits erwähnt, einen verpflichtenden Solidaritätsmechanismus durchsetzen und auch mit dem deutlich gestärkten Grundrechteüberwachungsmechanismus im Screening können wir zufrieden sein.

Nun gilt es, dass wir auch an unseren Außengrenzen wieder sicherstellen, dass stets europäisches Recht gewahrt wird und dass die Mitgliedstaaten, die der Reform ja mit qualifizierter Mehrheit zugestimmt haben, schnell und umfassend umsetzen. Unser Einsatz endet also nicht hier. Vielmehr wird es in der nächsten Legislaturperiode eine unserer Kernaufgaben im Migrations- und Asylbereich sein, sicherzustellen, dass die neue Kommission ihren Verpflichtungen vollumfänglich gerecht wird und das neue Recht in allen Mitgliedstaaten durchsetzt.

 

Was sind die nächsten Schritte bei der Reform und wie können sich Akteure aus Parlament und Zivilgesellschaft für eine bestmögliche Umsetzung der Reform einsetzen?

Der Innenausschuss des Parlaments hat der Reform bereits am 14. Februar mehrheitlich zugestimmt. Derzeit laufen die finalen sprachjuristischen Prüfungen und die Übersetzungen in alle Amtssprachen der EU, sodass wir höchstwahrscheinlich am 11. April im Plenum des Parlaments über das gesamte Paket abstimmen. Danach braucht es noch eine formelle Annahme durch die Minister*innen der Mitgliedstaaten, damit die neuen Gesetze im Amtsblatt der Union veröffentlicht werden.

Ab dann werden die Mitgliedstaaten zwei Jahre haben, um die Reform umzusetzen und sich auf die neuen Regeln vorzubereiten. Dabei wird es auch ganz maßgeblich darauf ankommen, dass die Zivilgesellschaft, aber auch kommunale und regionale Akteure, in diese Vorbereitung miteinbezogen werden. Viele der neuen Regeln werden auch unsere Bürger*innen direkt betreffen, etwa wenn sie Geflüchtete unterstützen oder sogar anwaltlich vertreten. Es ist deshalb wichtig, dass die Mitgliedstaaten diese Zeit jetzt effizient nutzen und dabei dennoch nicht aus den Augen verlieren, dass derzeit geltendes Recht bis zum Inkrafttreten der Reform vollumfänglich umzusetzen ist.

 


Zur Person

Birgit Sippel ist seit 2009 Abgeordnete des Europäischen Parlaments. Seit 2014 ist sie Sprecherin der sozialdemokratischen S&D-Fraktion im Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) und ist stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Beschäftigung und Soziale Angelegenheiten (EMPL). Daneben war sie stellvertretende Vorsitzende des Sonderausschusses für Künstliche Intelligenz im digitalen Zeitalter (AIDA) und stellvertretendes Mitglied im Untersuchungsausschuss zum Einsatz von Pegasus und ähnlicher Überwachungs- und Spähsoftware (PEGA). Sie war Verhandlungsführerin des Europäischen Parlaments für die Verordnung zum Zugriff auf elektronische Beweismittel (e-evidence) und führt weiterhin die Verhandlungen für die Verordnungen über Privatsphäre und elektronische Kommunikation (ePrivacy) und für das Screening-Verfahren von Drittstaatsangehörigen an den Außengrenzen, das die Kommission im Rahmen des Neuen Migrations- und Asylpakts vorgestellt hat

Die im Artikel zum Ausdruck gebrachten Meinungen und Äußerungen der Gastautor_innen spiegeln nicht notwendigerweise die Haltung der Friedrich-Ebert-Stiftung wider.


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