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Deutschland ist in Unruhe. Hass, Abschottung und Gewalt stehen Solidarität und zivilgesellschaftlichem Engagement gegenüber. Rechtsextreme Gruppen treten öffentlichkeitswirksam an der Seite »normaler« Bürgerinnen und Bürger auf, rechtspopulistische Forderungen und Diskurse erhalten scheinbar immer mehr Raum in Politik und Debatte.
Wie weit sind rechtsextreme und menschenfeindliche Einstellungen tatsächlich in die Mitte der Gesellschaft eingedrungen? Haben Polarisierungen und Konflikte die Norm von der Gleichwertigkeit aller Gruppen verschoben? Gegen wen richtet sich die Ablehnung? Ist die demokratische Mitte geschrumpft oder verloren?
Antworten gibt die aktuelle Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, die in Zusammenarbeit mit dem Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld (IKG) entstanden ist und seit 2006 antidemokratische Einstellungen in der deutschen Bevölkerung untersucht. Schwerpunkte der Studie sind Rechtspopulismus, neue rechtsextreme Einstellungen und deren Überlappung sowie Verschwörungsmythen in der Mitte. Darüber hinaus wird im Jahr 30 nach der Wende auch ein Blick auf die Unterschiede in Ost und West gelegt. Angesichts der aufgeheizten Debatte bietet die Mitte-Studie einen empirisch genauen Blick auf die Meinungen der Mitte. Wo ist sie gespalten, wo ist ihre demokratische Qualität verloren gegangen, wie groß ist das Ausmaß von Demokratiemisstrauen und illiberalen Demokratievorstellungen? Neben der langfristigen Entwicklung rechtsextremer Einstellungen wird auch Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit im Langzeitvergleich abgebildet, die vom IKG seit 2002 erhoben wird.
Andreas Zick / Beate Küpper / Wilhelm BerghanVerlorene Mitte - Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2018/19 Hg. für die Friedrich-Ebert-Stiftung v. Franziska Schröter
332 Seiten, Broschur, 14,90€ ISBN 978-3-8012-0544-7
Eindeutig und offen rechtsextreme Einstellungen werden vom Großteil der Bevölkerung abgelehnt. Lediglich 2 bis 3 % der Befragten äußern sich klar rechtsextrem – im Osten nicht mehr als im Westen. Hier gibt es im Westen kaum Veränderungen in den letzten 5 Jahren, im Osten sind die Zustimmungen nach einem auffälligen Anstieg in 2016 jetzt wieder auf dem niedrigen Ausgangsniveau.
Besonders weit verbreitet ist mit insgesamt 13 % die Zustimmung zum Nationalchauvinismus, ausgedrückt u.a. in der Aussage: „Das oberste Ziel der deutschen Politik sollte es sein, Deutschland die Macht und Geltung zu verschaffen, die ihm zusteht“, der immerhin 17 % der Befragten zustimmen. Doch auch harter Sozialdarwinismus wird von einigen geteilt. Knapp 8 % der befragten Deutschen sind der Ansicht: „Eigentlich sind die Deutschen anderen Völkern von Natur aus überlegen“, fast jede_r Zehnte stimmt inzwischen der Aussage zu: „Es gibt wertvolles und unwertes Leben."
Um ein Gesamtausmaß zu erhalten, werden die sechs rechtsextremen Einstellungen in einem Index zusammengefasst.
*methodische Bemerkung: die Rückgang von 2012 auf 2014 lässt sich u.a. mit dem vorgenommenen Methodenwechsel erklären, der im Kap.2, S.41ff. der Studie ausführlich erläutert wird.
Das Syndrom Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (GMF) setzt sich aus 13 Einzelkategorien zusammen.
Einerseits sind Sexismus, Vorurteile gegen Obdachlose und Menschen mit Behinderung gesunken. Andererseits sind Abwertungen gegenüber diversen Bevölkerungsgruppen nach wie vor weit verbreitet. Jede zweite befragte Person neigt zur Abwertung von Asylsuchenden – dies sind mehr als noch in 2016, obgleich die Zahl der Asylsuchenden rückläufig ist. Weit verbreitet sind die Abwertung von Sinti und Roma (26 %), fremdenfeindliche Einstellungen (19 %) und muslimfeindliche Einstellungen (19 %).
Und auch der klassische Antisemitismus mit seinen Verschwörungsmythen ist mit fast 6 % stabil verbreitet, modernen Formen des Antisemitismus, die sich auf Israel beziehen, stimmen erneut 24 % der Befragten zu.
Erneut fallen Wähler_innen der AfD durch eine deutlich häufigere Zustimmung zu menschenfeindlichen Einstellungen gegenüber diversen markierten Gruppen auf. Anders als noch in den Vorjahren, sind menschenfeindliche und auch rechtsextreme Einstellungen unter Gewerkschaftsangehörigen etwas weiter verbreitet als unter Befragten, die keiner Gewerkschaft angehören. 16 % unter ihnen stimmen sogar rassistischen Einstellungen zu, was nur 9 % der nicht-Gewerkschaftsmitglieder tun.
Auffällig sind auch gestiegene Zustimmungen bei jüngeren Befragten. Die Jüngeren – bis dato weniger menschenfeindlich und rechtsextrem eingestellt als Ältere – ziehen bei einer Reihe von Abwertungen und Dimensionen rechtsextremer Einstellungen nach. Problematisch und destabilisierend sind solche Meinungen auch, weil sie mit einer höheren Gewaltbilligung und -bereitschaft, also einer Verrohung der Gesellschaft, überzufällig einhergehen.
Die Studie zeigt, wie menschenfeindliche Vorurteile sich mit politischen Meinungen verbinden und eng mit rechtsradikalen Orientierungen zusammenhängen.
Allgemeine Etabliertenvorrechte bzw. eine Distanz zu Neuhinzugekommenen, die Ressentiments gegen Außenseiter_innen ausdrückt, werden stabil von 38 % der Befragten geteilt. Die Proklamierung von Etabliertenvorrechten ist im Osten auffällig hoch (43 %), ebenso wie in den unteren und mittleren Einkommensgruppen und mit Blick auf die Parteipräferenz unter AfD-Sympathisant_innen (76 %). Diese Gruppen proklamieren besonders die Vorrechte der Alteingesessenen. Wir sehen bei GMF aber auch, dass es neben den Etabliertenvorrechten und den Kategorien zur Fremdenfeindlichkeit (Abwertung von Fremden, Muslimen, Asylsuchenden) keine gravierenden Unterschiede zwischen Ost und West gibt.
Deutlich weiter verbreitet als rechtsextreme sind rechtspopulistische Einstellungen. Jede fünfte befragte Person (21 %) neigt ganz deutlich zu rechtspopulistischen Einstellungen, bei 42 % lässt sich eine Tendenz dazu feststellen. Über die Bevölkerung hinweg hat die Verbreitung von rechtspopulistischen Einstellungen seit 2014 anders als vielleicht erwartet nicht bzw. nur sehr leicht zugenommen. Rechtspopulistische Einstellungen haben sich stabil verfestigt und das heißt, sie sind in der Mitte normaler geworden.
Viele Befragte stimmen für eine starke Demokratie und Vielfalt an Meinungen, gleichzeitig stimmen sie aber auch rechtspopulistischen Meinungen zu, die nicht von Gleichwertigkeit und Vielfalt ausgehen. Rechtspopulistische Einstellungen werden durch Misstrauen in die Demokratie (unter 59% der Befragten verbreitet) und Zustimmung zu einem Law-and-Order-Autoritarismus (geteilt von 62% der Befragten) erhoben, zum anderen über die Abwertung von Eingewanderten, Muslim_innen, Asylsuchenden sowie Sinti und Roma.
Dies ist besonders ausgeprägt unter den Befragten, die mit der AfD sympathisieren oder sie wählen/ wählen würden.
Dass neurechte, abwertende, rechtsextreme und rechtspopulistische Orientierungen sehr eng miteinander verwoben sind, zeigt die Korrelationsanalyse deutlich.
Neu erfasst hat die Studie die Zustimmung oder Ablehnung von Verschwörungsmentalitäten. In Zeiten, in denen Nachrichten als "Fake News" abgetan und wissenschaftliche Erkenntnisse etwa zum Klimawandel offen infrage gestellt werden, scheint der Konsens darüber ins Wanken zu geraten, worauf wir uns noch verlassen können oder wollen.
Eine gesunde Skepsis gegenüber Autoritäten und Institutionen ist für eine Gesellschaft wichtig, aber wenn Verschwörungstheorien sogar Gewalt legitimieren, dann können sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie als solche gefährden. Verschwörungstheorien finden teilweise hohen Zuspruch. So meinen 46 % der Befragten, es gäbe geheime Organisationen, die Einfluss auf politische Entscheidungen haben. Fast ein Viertel der Befragten meint, Medien und Politik steckten unter einer Decke, und jede zweite befragte Person gibt an, den eigenen Gefühlen mehr zu vertrauen als Expert_innen.
Jene, die solchen Verschwörungsmythen glauben, sind zugleich misstrauischer gegenüber dem politischen System und sie zeigen eine höhere Gewaltbereitschaft gegen andere und stärkere Abwertungen, zeigt die Studie.
Die Mitte-Studie 2018/19 zeigt: Ost- und Westdeutsche unterscheiden sich nicht in ihrer geringen Zustimmung zu offen rechtsextremen Einstellungen. Doch eine rechtspopulistische Orientierung ist im Osten weiter verbreitet als im Westen, anschlussfähiger.
Das gilt vor allem für die Komponente der Abwertung von „Fremden“ - d.h. Fremdenfeindlichkeit (West 18 %, Ost 23 %), die Abwertung von Muslim_innen (West 19 %, Ost 26 %) und von Asylsuchenden (West 51 %, Ost 63 %) sind im Osten der Republik besonders weit verbreitet, auch autoritäre Einstellungen finden unter ostdeutschen Befragten mehr Zustimmung (West 61 %, Ost 67 %). Erkennbar wird auch: Der Osten fühlt sich politisch machtloser als der Westen, und das Vertrauen in die Demokratie ist geringer.
Vor allem aber ist das Gefühl der kollektiven Wut auf die Zuwanderung im Osten mit 52 % deutlich höher als im Westen mit 44 %. Das Gefühl, persönlich ungerecht behandelt zu werden, der wirtschaftlichen Benachteiligung und der politischen Orientierungslosigkeit gepaart mit Globalisierungsängsten, einer ausgeprägten Identität als Deutsche, bei gleichzeitig mangelnder Erfahrung von Kontakt und Austausch mit Eingewanderten erklären rechtspopulistische Orientierungen, entlassen den Einzelnen aber nicht aus der Verantwortung.
Wie jedoch schon vorangegangene Studien nahegelegt haben, ist eine Generalisierung auf »den Osten« nicht gerechtfertigt. Vielmehr verstärkt sich der Eindruck, dass erstens die Unterschiede zum Westen weniger gravierend sind und zweitens ein großer Teil der Ostdeutschen sich klar demokratisch, pluralistisch und übrigens auch proeuropäisch positioniert. Die Politik ist gut beraten, diesen Bürger_innen gerade im Osten, die eben – auch das legen die Ergebnisse nahe – nicht laut und wütend auftreten, mehr Beachtung zu schenken.
Die Studie zeigt, dass fast ein Drittel meint, die Demokratie führe eher zu faulen Kompromissen als zu sachgerechten Entscheidungen und im 70. Jahr nach Verabschiedung des Grundgesetzes ist mehr als ein Drittel gegen die Idee gleicher Rechte für alle, während gleichzeitig rund 86 % es für unerlässlich halten, dass Deutschland demokratisch regiert wird und 93 % der Ansicht sind, die Würde und Gleichheit aller sollte an erster Stelle stehen.
Über ein Drittel fühlt sich jedoch von der Politik nicht vertreten und nimmt sich als politisch machtlos wahr. Wenn der Großteil der Befragten die Demokratie und ihre Werte befürwortet, ist das zunächst ein gutes Zeichen, allerdings zeigt gleichzeitig die Hälfte der Befragten beispielsweise Menschenfeindlichkeit gegenüber Asylsuchenden und bis zu einem Drittel illiberale Demokratievorstellungen. Ein Teil der Bevölkerung wird also den eigenen Werten nicht gerecht.
Dies scheint auf den ersten Blick kein überaus überraschendes Ergebnis, dennoch zeigt die Analyse, was die Gesellschaft zusammenhält und wo Bruchstellen sind, an denen demokratische Werte verloren gehen. Dies scheint ein Aspekt zu sein, der durchaus als eine Gefährdung der Demokratie interpretiert werden kann.
Die Gleichzeitigkeit von demokratischen und antidemokratischen Orientierungen verweist darauf, dass bestimmte Werte zum Teil eher auf abstrakter Ebene verbleiben als in die eigene Lebensrealität und beispielsweise auf die tatsächlichen Beziehungen zu anderen Menschen übertragen zu werden. Bildung müsste Demokratie daher erfahrbar machen, und nicht nur abstraktes Wissen über das politische System vermitteln.
Franziska Schröter
Referentin für das Projekt "Gegen Rechtsextremismus" im Referat Demokratie, Gesellschaft, Innovation
030/ 269 35 7311030/ 269 35 9241Franziska.Schroeter(at)fes.de
Peter Donaiski
Kommunikation und Grundsatzfragen
030 269 35-7038030 269 35-9244
Peter.Donaiski(at)fes.de
Gaby Rotthaus Forum Berlin Projekt "Gegen Rechtsextremismus"030 269 35 7311forum.gr(at)fes.de
Grundlage der Studie ist eine quantitative Bevölkerungsbefragung, die im Herbst/Winter 2018/19 durch das Sozialwissenschaftliches Umfragezentrum (SUZ) durchgeführt wurde. Erhoben wurden die quantitativen Daten mittels einer telefonischen Befragung mit Dual-Frame-Ansatz (Festnetz und Mobilfunk) unter Einsatz computergestützter Befragungssoftware (CATI-Methode).
Die Datengrundlage der Umfrage bilden 1.890 repräsentativ ausgewählten Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit. Die finale Stichprobe wurde mit einer Anpassungsgewichtung unter Einbeziehung der soziodemografischen Hilfsvariablen Alter und Bildungsstand gewichtet.
Die Mitte-Studie verbindet die Langzeitstudie Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit des Instituts für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld, die seit dem Jahr 2002 – also seit nunmehr über 16 Jahren – Vorurteile, Diskriminierungen und Abwertungen von Gruppen untersucht, mit der Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, die seit dem Jahr 2006 vor allem rechtsextreme Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft untersucht (bis 2012 mit der Universität Leipzig, seit 2014 mit der Universität Bielefeld).
Datengrundlage der repräsentativen Umfrage 2018/19:
u.a. SPIEGEL Online 25.4.19 * Badische Zeitung 25.4.19 * Tagesthemen 25.4.19 (ab 6min40s) * heute journal 25.4.19 (ab 15min02s) * heute+ 25.4.19 * Tagesspiegel 25.4.19 * Deutschlandfunk 25.4.19 * Der Freitag 26.4.19 * Bayrischer Rundfunk 29.4.19 * RP Online 29.4.19 * ZEIT 1.5.19 * Tagesschau Faktenfinder 2.5.19 * SPIEGEL Online 4.5.19 * HPD 13.5.19 * Weserkurier 3.6.19 * Tagesspiegel 25.7.19 *
Andreas Zick / Beate Küpper / Daniela KrauseGespaltene Mitte - Feindselige Zustände Rechtextreme Einstellungen in Deutschland 2016
Studie zum Download
ProgrammErgebniszusammenfassung/ Presse-HandoutPressemitteilungBuchinformationDietz-Verlag
Andreas Zick / Anna Klein
Fragile Mitte - Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2014
Dietz-VerlagPressemitteilungZusammenfassung
Oliver Decker / Johannes Kiess / Elmar BrählerDie Mitte im Umbruch - Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2012
PressemitteilungZusammenfassung der Ergebnisse
Medienecho Ein RBB-Interview mit dem Herausgeber der Studie Dr. Ralf Melzer finden Sie hier anhören.
Oliver Decker / Marliese Weißmann / Johannes Kiess / Elmar Brähler
Die Mitte in der Krise - Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2010
Studie zum DownloadPressemitteilung Wichtigste Ergebnisse im ÜberblickPräsentation der Autor/innenProgramm der Veranstaltung
MedienechoInterview mit Oliver Decker, domradio.de, 14.10.2010sueddeutsche.de, 13.10.2010Spiegel Online, 13.10.2010/ Ole ReißmannSpiegel Online, 13.10.2010/ Christoph RufHandelsblatt, 13.10.2010Hürriyet Daily News, 14.10.2010General-Anzeiger, Bonn, 14.10.2010Article in the Prague Post (english), 27.10.2010
Oliver Decker / Elmar BrählerBewegung in der Mitte Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2008, mit einem Vergleich von 2002 bis 2008 und der Bundesländer
Oliver Decker / Elmar Brähler, unter Mitarbeit von Norman Geißler
Vom Rand zur Mitte - Rechtsextreme Einstellung und ihre Einflussfaktoren in Deutschland