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Auch in Corona-Zeiten sitzt Präsident Maduro (noch) fest im Sattel. Er setzt die politische Agenda, und die Opposition stolpert hinterher.
Bild: Frauen in Caracas von Rafael Urdaneta Rojas
Den offiziellen Zahlen zufolge sind in Venezuela bisher (Stand 15. September) über 50.000 Menschen am Coronavirus erkrankt und fast 500 Menschen sind gestorben. Täglich werden 1000 Neuinfektionen gezählt. Dies entspricht der Mindestprognose der venezolanischen Akademie der Wissenschaften vom Mai des Jahres – ein Anstieg, den die Regierung zu diesem Zeitpunkt für unwahrscheinlich gehalten hatte und für deren Veröffentlichung sie Mitgliedern der Akademie mit Repressionen gedroht hatte. Im Vergleich zu anderen Staaten in Lateinamerika sind dies geringe Zahlen, aber das vollkommen herunter gewirtschaftete Gesundheitssystem des Landes ist auch damit überfordert. Außerdem sind die Zahlen höchst zweifelhaft. Es wird wenig und in schlechter Qualität getestet; viele Menschen mit Symptomen melden sich nicht, weil sie Angst haben, wie an der Grenze zu Kolumbien in Quarantänelager eingewiesen zu werden. In einem Bericht von Anfang September geht die Akademie von in Wahrheit gegenwärtig täglich bis zu 4000 neuen Infektionen aus und prognostiziert bis Jahresende zwischen 7000 und 14.000 Neuinfizierte täglich.
Die Regierung Maduro hatte nach den ersten Informationen über Infektionen in Venezuela am 12. März 2020 mit Ausgangssperren und Quarantänemaßnahmen reagiert, die im Prinzip bis heute gelten und das wirtschaftliche und soziale Leben in Venezuela weitgehend zum Erliegen gebracht haben. Da viele Menschen informell beschäftigt sind und weiter ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, werden die Ausgangsperren vielfach ignoriert. Bei der Überwachung sind die Menschen der Willkür der Polizei und anderer offizieller und halboffizieller Sicherheitskräfte ausgesetzt. Unter diesen Umständen finden Kundgebungen der venezolanischen Oppositionsparteien – bisher ihr wirksamstes Mittel im Kampf um die Macht – nicht mehr statt. Die Auseinandersetzung hat sich ins Internet verlagert, denn die übrigen Medien befinden sich in der Hand der Regierung. Nur vereinzelt ist es zu Protesten gegen die häufigen Stromausfälle, den Ausfall der Wasserversorgung und den Benzinmangel im ganzen Land gekommen, aber die meisten Menschen sind zu sehr mit dem Überleben beschäftigt, um sich aufzulehnen.
Allerdings sind führende Köpfe von Regierung und Militär an COVID-19 erkrankt, einige so schwer, dass sie für die Regierungsarbeit ausgefallen sind; es sind auch führende Repräsentanten gestorben. Angesichts der Tatsache, dass die Regierung den Virus von Anfang an ernst genommen und versucht hat, sich zu schützen, ist das ein weiteres Anzeichen dafür, wie weit sich die Pandemie in Venezuela in Wahrheit verbreitet hat. Dennoch hat die Regierung für den 6. Dezember 2020 Parlamentswahlen anberaumt. Auch ohne die Bedrohung durch Corona ist zweifelhaft, ob die erforderlichen Bedingungen für faire Wahlen geschaffen werden, aber feststeht, dass in der Pandemie die Möglichkeiten, einen Wahlkampf durchzuführen, stark limitiert sein werden und viele Menschen vor einer Stimmabgabe in Wahllokalen zurückschrecken werden. Für eine Briefwahl stehen weder die Infrastruktur noch finanzielle Mittel zur Verfügung. Auch so kostet die Abhaltung einer Wahl Geld; angesichts der weggefallenen Staatseinnahmen nach dem Ende der Ölförderung in diesem früher so reichen Land wird dieses dringend für die Erfüllung der Grundbedürfnisse der Menschen und für die Bekämpfung der Pandemie gebraucht. Bislang hat die Regierung alle Forderungen nach einer Verschiebung der Wahl abgelehnt. Die politische Opposition ist zunehmend zersplittert und auch intern über die Frage zerstritten, ob sie die Wahlen boykottieren wird. Angesichts ihrer Schwäche haben Akteure der Zivilgesellschaft, wie der venezolanische Unternehmerverband oder die katholische Kirche, an Bedeutung gewonnen. Forderungen nach einem humanitären nationalen Pakt zur Bekämpfung des Coronavirus und seinen Folgen zwischen Regierung und Opposition unter Beteiligung der Zivilgesellschaft verhallten bisher ungehört.
Außenpolitisch hat sich das ohnehin schon angespannte Verhältnis zum Nachbarstaat Kolumbien in der Coronakrise weiter verschlechtert. Mehr als 80.000 der über 5 Millionen in den letzten Jahren ausgewanderten Menschen sind zuletzt über die eigentlich wegen Corona geschlossene Grenze nach Venezuela zurückgekehrt, weil sie in ihren Aufnahmeländern Arbeit und Unterkunft verloren haben. Die Rückkehrer_innen werden nur in kleinen Gruppen über die Grenze gelassen, und viele kampieren unter menschenunwürdigen Bedingungen im Grenzgebiet. Andere versuchen ihr Glück über Schmugglerpfade und werden Opfer krimineller Banden. Präsident Maduro macht die Rückwanderung aus Kolumbien verantwortlich für die Verbreitung des Coronavirus in Venezuela und nennt ihn deshalb auch den „kolumbianischen Virus“. In Kolumbien auf der anderen Seite der Grenze wachsen die Vorbehalte gegen die Venezolaner, die beschuldigt werden, Schutzmaßnahmen nur lasch zu befolgen und so für die Verbreitung des Virus in Kolumbien zu sorgen.
Ein weiterer internationaler Akteur im Konflikt zwischen Regierung und Opposition ist neben den USA, die weiterhin an dem Oppositionsführer Juan Guaidó festhalten, eine militärische Invasion zu seinen Gunsten aber ausschließen, die EU mit ihrem Außenbeauftragten Josep Borell. Diese verhandelt gerade mit Regierung und Opposition, ob, wann und unter welchen Bedingungen die von der Regierung für Dezember geplanten Wahlen stattfinden sollen. Hinzu kam zuletzt die Türkei, die am Zustandekommen einer Amnestie Maduros für 110 politische Häftlinge als Zugeständnis im Vorfeld der für Dezember geplanten Parlamentswahlen beteiligt gewesen sein soll. Die Region Lateinamerika tut sich schwer mit Venezuela, weil auch innerhalb der einzelnen Länder das chavistische Regime sehr unterschiedlich bewertet wird. Hinzu kommt, dass diese Länder in der Coronakrise weitgehend mit sich selbst zu tun haben. Für Hilfsmaßnahmen der internationalen Gemeinschaft, ohne die Venezuela die Krise nicht bewältigen können wird, ist erforderlich, dass die Regierung offiziell einräumt, wie katastrophal die humanitäre Lage ist. Bisher geschieht das nicht, sondern sie hält an dem Mythos fest, sie habe alles im Griff. Politisch allerdings sitzt die Regierung (noch) fest im Sattel; sie setzt die Agenda, und die Opposition stolpert hinterher.
Katharina Wegner ist Landesvertretin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Venezuela.
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