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Referat Naher/Mittlerer Osten und Nordafrika

Gefährdete Arbeitskräfte werden noch stärker gefährdet

Zur prekären Situation migrantischer Arbeitskräfte, die während der Corona-Pandemie in privaten Haushalten arbeiten.

Bild: cleaning von Pixabay lizenziert unter CC0

++ Der Beitrag erschien im englischen Original erstmalig auf dem Corona&Care Blog der FES.

Die weltweit wenig wertgeschätzte und oftmals unsichtbare Arbeit hauptsächlich weiblicher Haushaltshilfen und Pflegekräfte ist die „Arbeit, die alle anderen Arbeiten ermöglicht“ (UN-Frauenbericht „Fortschritt des Weltfrauenberichts 2016“). Es ist die Arbeit, die uns und unsere Gesellschaften jeden Tag reproduziert. Es ist die Arbeit, durch die die Gleichstellung der Geschlechter und die Sozialsysteme aufrechterhalten werden können. 

Die Corona-Pandemie hat den Wert von Haus- und Pflegearbeit deutlich gemacht, aber wir haben weder Aufrufe zur Erhöhung der Löhne von Hausangestellten und Pflegekräften gehört, noch haben Politiker_innen öffentlich Applaus für diejenigen geklatscht, die Haushalte reinigen und sich um ältere Menschen und Kinder in Privathaushalten kümmern.

Das Gegenteil ist der Fall. Italien, das von der Pandemie schwer betroffen ist und dessen Wohlfahrtsstaat auf eine große Anzahl von Haushaltshilfen und Pflegekräften aus dem Ausland angewiesen ist, hat kürzlich beschlossen, diese ausdrücklich von Cura Italia ("Heilung Italiens"), dem finanziellen Unterstützungspaket für von der Krise betroffene Arbeitnehmer_innen, auszuschließen. Es wird geschätzt, dass dadurch mehr als 2 Millionen Beschäftigte in Privathaushalten (1,2 Millionen von ihnen ohne Papiere) in Italien ohne Entschädigung bleiben werden, wenn sie ihren Arbeitsplatz verlieren. So sind den Zahlen von 2018 zu Folge in Italien, wie in vielen anderen Ländern auch, über 70 Prozent der Beschäftigten in Privathaushalten Migrant_innen und fast 90 Prozent davon sind Frauen. Mit landesweiten Sperrungen und Reiseverboten sowie den ausgedünnten Takten der öffentlichen Verkehrsmittel ist es für diese Beschäftigten immer schwieriger geworden, an ihren Arbeitsplatz zu gelangen. Und wenn die Grenzen geschlossen sind, dann sind sie in Italien gefangen, sobald sie ihren Arbeitsplatz verlieren.

Doppelte Standards

Durch Pflege- und Reinigungstätigkeiten, die ein hohes Infektionsrisiko bergen, riskieren migrantische Arbeitskräfte in Privathaushalten, insbesondere jene ohne Papiere, ihr Leben – und das oft ohne Zugang zu angemessener Gesundheitsversorgung, im Falle eigener Erkrankung.

Während viele Akademikerinnen und Akademiker sich Sorgen machen, weil sie von zu Hause aus arbeiten müssen, ist Hausarbeit Arbeit, die per Definition im Haus des Arbeitgebers stattfindet. Hausarbeit beinhaltet häufig  Hierarchien, die sich aus der informellen, feminisierten und scheinbar grenzenlosen Natur von reproduktiver Arbeit ergeben. Diese findet zudem außerhalb formalisierter  Strukturen zur Kontrolle der Arbeitsbedingungen statt. In Zeiten von Corona verstärken sich  darüber hinaus die Benachteiligungen durch Geschlecht und Migrationshintergrund gegenseitig und fallen noch stärker ins Gewicht.

Die im Haushalt Beschäftigten leben oft weit entfernt von den Vierteln der Wohlhabenden - ihren Arbeitgebers. Um zur Arbeit zu pendeln, müssen sie mehrmals täglich öffentliche Verkehrsmittel benutzen, da es üblich ist, jeden Tag in mehreren Häusern zu arbeiten. Das bedeutet ein erhöhtes Risiko, sich mit dem Virus zu infizieren.

Laut Online-Interviews, die Elisabeth Wide mit migrantischen Beschäftigten in Privathaushalten in Finnland durchführte, ermutigen Arbeitgeber sie, im Krankheitsfall zu Hause zu bleiben, um sich vor dem Virus zu schützen. Wenn die Arbeitgeber jedoch selbst krank sind, wird den Beschäftigten dieser Schutz nicht gewährt. Stattdessen wird erwartet, dass sie zur Arbeit kommen, obwohl die Arbeitgeber krank sind. Oft wird ihnen sogar nicht einmal gesagt, dass jemand in der Familie, für die sie arbeiten, krank ist - sie erkennen es dann erst, wenn sie zur Arbeit kommen.

Doppelte Belastung, erhöhte Unsicherheit

Mit der Pandemie wurden die Häuser von Arbeitgeberfamilien in doppelte Arbeitsstätten umgewandelt – sie sind nun Arbeitsstätte der Arbeitgeber und Arbeitsstätte der im Haushalt Beschäftigten. Dies führt zu einer erhöhten Arbeitsbelastung für die Beschäftigten, die neben der Reinigung nun auch für das Familienessen zuständig sind. Eine philippinische Frau, die wir Valeria nennen, erledigt Hausarbeit für private Familien in Finnland. Sie beschreibt ihre Situation so:

"Neben der Reinigung der gesamten großen Häuser muss ich jetzt auch Mittag- und Abendessen für die Familien kochen. Ich arbeite so viel, es ist zu stressig und einfach zu viel für mich. " Valeria sagt, dass sie manchmal auch Reinigung mit Kinderbetreuung kombinieren muss. Während der Pandemie wird ein größerer Teil der Sorgearbeit der Familien auf die im Haushalt Beschäftigten übertragen, so dass die Arbeitgeber mehr Zeit für Arbeit und Ruhe haben - auf Kosten ihrer Angestellten.

Während einige Beschäftigte in privaten Haushalten mit Arbeit geradezu überlastet werden, berichten andere, dass sie kurzfristig ohne Bezahlung entlassen worden sind. In Finnland ist die Aufenthaltserlaubnis für Nicht-EU-Bürger_innen an einen bestehenden Arbeitsvertrag und den Erhalt des Einkommens gebunden. Die finnische Einwanderungsbehörde hat angekündigt, dass eine vorübergehende Entlassung eine Aufenthaltserlaubnis nicht direkt ungültig macht. Aufgrund der Entlassungen besteht jedoch das Risiko, dass die Arbeitserlaubnis nicht erneuert wird. Dies führt dazu, dass den betroffenen migrantischen Arbeitskräften nach Ablauf ihrer Arbeitsgenehmigung die Abschiebung droht. Es gab keine öffentliche Debatte über die Erneuerung von Arbeitsgenehmigungen.

Die Pandemie hat gezeigt, wie sehr europäische Länder von flexiblen und kostengünstigen migrantischen Arbeitskräften abhängig sind. Migrant_innen werden dabei vor allem für Haus- und Pflegearbeit sowie für Saisonarbeit in der Landwirtschaft eingestellt. Leider ist diese Erkenntnis nicht von einer größeren Anerkennung begleitet oder Überlegungen, wie die Gesundheitsversorgung, die Sicherheit und die Rechte von migrantischen Arbeitskräften verbessert werden könnten. Einer postkolonialen Logik folgend, behandeln die europäischen Länder Arbeitskräfte aus dem Ausland häufig weiterhin wie „Wegwerfartikel“ und die Länder, aus denen sie stammen, als Quellen flexibler Arbeit.

 

Autorinnen:

Lena Näre ist außerordentliche Professorin (Tenure Track) für Soziologie an der Universität von Helsinki. Ihre Forschungsinteressen umfassen das Studium von Migration und Asyl, Arbeit und Beschäftigung, Pflege und Transnationalismus, Intersektionalität und ethnografischen Methoden. Sie ist Chefredakteurin (mit S. Bendixsen) des „Nordic Journal of Migration Research.“

Elisabeth Wide ist Doktorandin an der Universität von Helsinki und erforscht die Schnittstellen von Klassifizierung, Geschlecht und Rassifizierung in der Pflege von Migrant_innen und in der Hausarbeit.


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