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Die aktuelle Jugendstudie, die die Friedrich-Ebert-Stiftung 2021/22 im Nahen Osten und in Nordafrika durchgeführt hat, knüpft inhaltlich an die fünf Jahre zuvor durchgeführte Studie an. Sie eröffnet neue Einblicke in Lebenschancen, Selbstverständnis und Zukunftsperspektiven von 12.000 jungen Menschen zwischen 16 und 30 Jahren aus Ägypten, Algerien, Irak, Jemen, Jordanien, Libanon, Libyen, Marokko, Palästina, Sudan, Syrien und Tunesien.
Auf den „Arabischen Frühling“ 2010/11, der viele Hoffnungen weckte, folgten Rückschläge: autoritäre Gegenreaktionen, ökonomische Einbrüche, ein beschleunigter Klimawandel, die Coronapandemie und schließlich der Ukrainekrieg. Die Studie untersucht die Lebensrealität von Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Kontext multipler Krisen: Langfristige Prozesse, wie Verarmung, Prekarisierung und Umweltdegradation, kombinieren sich mit kurzfristigen Dynamiken, wie Gewaltausbrüchen und Pandemiegefahren. Aus der Perspektive vieler junger Männer und Frauen führt dies dazu, dass sie um gleiche und angemessene Lebenschancen gebracht werden. So klafft das, „was ist“, und das, „was möglich wäre“, immer weiter auseinander und die jungen Menschen in der MENA-Region bilden eine „enteignete Generation“.
Die Friedrich-Ebert-Stiftung sieht in der Jugend einen entscheidenden Faktor für die demokratische Entwicklung der Region und möchte deren Potenziale stärken, Veränderungen in Politik und Gesellschaft anzustoßen. Auf der Grundlage der Ergebnisse der Jugendstudie will sie eine Auseinandersetzung mit der Situation von Jugendlichen in der MENA-Region anregen.
Vertiefende Analysen der Umfrageergebnisse sind unter dem Titel „Die enteignete Generation. Jugend im Nahen Osten und in Nordafrika“ in einem von Jörg Gertel, David Kreuer und Friederike Stolleis herausgegebenen Sammelwerk erschienen. Mit Beiträgen von: Mathias Albert, Lisa Maria Franke, Jörg Gertel, Katharina Grüneisl, David Kreuer, Carola Richter, Christoph H. Schwarz, Nadine Sika, Thorsten Spengler, Friederike Stolleis und Ann-Christin Zuntz.
Darüber hinaus konnte die Friedrich-Ebert-Stiftung renommierte Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus der Region für die Auswertung der landesspezifischen Daten gewinnen. Diese Länderanalysen wurden von den Autorinnen und Autoren des Buches aufgegriffen und ergänzen die Analyse der empirischen Funde und die Einordnung der Ergebnisse in den regionalen Kontext.
Kontakt: Dr. Friederike Stolleis, 030 26935-7468, Friederike.Stolleis(at)fes.de
Presse: Johannes Damian, 030 26935-7038, Presse(at)fes.de
Erhältlich im J.H.W. Dietz Verlag
Nicht nur regionale Entwicklungen, sondern vor allem auch globale Ereignisse haben das Leben junger Menschen in der MENA-Region in den letzten Jahren stark beeinflusst und sie politisch entmündigt. Sie sind wenig an Politik interessiert und vertrauen den meisten staatlichen Institutionen kaum. Demokratische Regierungsformen haben deutlich an Attraktivität verloren, stattdessen macht sich Ratlosigkeit breit. Die Präferenz für ein politisches System, das sich auf einen „starken Mann“ stützt, ist Ausdruck der Erwartung, dass der Staat grundlegende soziale und wirtschaftliche Unterstützung leisten soll.
Die wirtschaftliche Situation und die Beschäftigung junger Erwachsener in der Region sind durch die Pandemie und die aktuellen Krisen weiter unter Druck geraten. Die Wahrnehmung der ökonomischen Situation der Familie hat sich in fast allen Ländern verschlechtert. Dabei geraten insbesondere diejenigen jungen Erwachsenen unter Druck, die bereits eine Familie gegründet haben. Während die Elterngeneration noch mehrheitlich im öffentlichen Dienst oder als Angestellte arbeitet, müssen sich junge Menschen neue, oft weniger abgesicherte Tätigkeiten suchen.
Die Familie ist die wichtigste Institution und der zentrale Orientierungspunkt für junge Menschen in der MENA-Region, insbesondere weil verlässliche andere Institutionen fehlen. 87 Prozent der Befragten sind überzeugt, dass man „nur in einer Familie ein glückliches Leben führen kann“. Gleichzeitig konstatiert über die Hälfte der Befragten, es sei schwieriger geworden, einen Partner oder eine Partnerin zu finden. Es sind insbesondere die jungen Frauen, die in dieser Situation neue Werthaltungen entwickeln und mehr Handlungsfähigkeit anstreben.
Die zahlreichen Krisen in der MENA-Region reichen von den bereits 2016 virulenten Wirtschaftskrisen und dem damit einhergehenden Problem der Beschäftigungslosigkeit junger Menschen bis zu den 2020/21 erstmals weltweit erlebten krisenhaften Einbrüchen durch die Covid-19-Pandemie. Während die Pandemie keines der untersuchten Länder verschont hat, werden je nach Land und gesellschaftlicher Schicht andere Problemlagen wie Versorgungsengpässe, Unsicherheit und Hunger als noch dringender und schwerwiegender angesehen.
Die Covid-19-Pandemie war für viele der Befragten eine ambivalente Erfahrung. Sie hatte unmittelbare Auswirkungen auf die körperliche und seelische Gesundheit junger Menschen. Aber auch der Alltag in der Coronakrise wurde von temporären Einschränkungen und neuen strukturellen Ungleichheiten geprägt, die speziell die Allerschwächsten betrafen. Die wichtigste positive Erfahrung während der Pandemiezeit war hingegen das große, spontane, vielfach selbst organisierte, soziale und solidarische Engagement großer Teile der Jugend.
Nahrungsunsicherheit und Gewalt sind oft miteinander verknüpft und treffen vor allem arme und schwache Bevölkerungsgruppen. Beide Phänomene haben drastische Folgen für die Betroffenen, die kaum reversibel sind und zu sozialen Brüchen sowie zum Verlust gesellschaftlicher Standards vor allem beim Zugang zu Grundnahrungsmitteln und sozialer Gerechtigkeit führen. In den betroffenen Ländern und gesellschaftlichen Schichten wirken Hunger und Gewalt als radikale Enteignungsprozesse, die eine Selbstbestimmung für junge Erwachsene und gerechte Lebenschancen kaum mehr realistisch erscheinen lassen.
Trotz der Unsicherheit, die in der Region herrscht, ist nur eine kleine Minderheit der Befragten entschlossen, auszuwandern. Die Zahl derer, die ihre Heimat auf keinen Fall verlassen wollen, ist jedoch seit 2016 gesunken. Die komplexen Gefühle und differenzierten Einschätzungen der Befragten zu Migration widerlegen die stereotype Annahme, die Mehrheit junger Erwachsener in der MENA-Region seien „Migrationsaspiranten“. Darüber hinaus sind Mobilitätspläne nicht nur ein Hinweis auf wirtschaftliche Ausgrenzung, sondern auch eine Strategie für ein menschenwürdiges Leben mit einer sicheren Existenzgrundlage und einer gerechteren Wohlstands- und Chancenverteilung.
Das Bewusstsein für Umweltschutz und Klimawandel wächst quer durch die Region (von 41 % 2016 auf 56 % 2021). Es ist immer dann besonders ausgeprägt, wenn eine direkte Betroffenheit vorliegt. Die große Mehrheit der jungen Menschen erklärt, sich Sorgen um den Zustand der Umwelt zu machen, und viele sind bereit, sich aktiv für eine Verbesserung einzubringen. Allerdings sind die für Umweltverschmutzung und Klimawandel Verantwortlichen oft schwer zu bestimmen. Die Erfolgsaussichten für Protest und Engagement sind laut Umfrage dann am größten, wenn es den Akteuren gelingt, Umweltthemen mit sozioökonomischen Anliegen zu verbinden.
Die Bereitschaft, sich gesellschaftlich einzusetzen, ist groß; die Mehrheit der Befragten (78 %) gibt an, sich ehrenamtlich zu engagieren. An erster Stelle stehen die Hilfe für Arme und Schwache sowie das Engagement für eine bessere und saubere Umwelt. Der Einsatz für sozialen und politischen Wandel steht an letzter Stelle. Viele der jungen Menschen verorten ihr Engagement bewusst außerhalb formaler und institutioneller Bereiche. Trotz ihres kritischen Blicks auf Staat und Gesellschaft handeln sie mit der Überzeugung, wenigstens in ihrem eigenen Umfeld die Welt positiv beeinflussen zu können.
Trotz tiefer Enttäuschung über politische und wirtschaftliche Entwicklungen verfügen die Befragten über ein nahezu unerschöpfliches Reservoir an Optimismus, das jeder jungen Generation zu eigen zu sein scheint. Im Vergleich zur Erhebung fünf Jahre zuvor, ist der Anteil derer, die optimistisch in die Zukunft blicken, jedoch geringer geworden. Während durchaus Forderungen an die Politik und an die älteren Generationen artikuliert werden, sind die jungen Menschen zugleich bereit, Dinge selbst anzupacken. Die spontan organisierte Solidarität ist ein lehrreiches und Mut machendes Beispiel für die große Energie und das Potenzial dieser jungen Generation, die Enteignungsspirale zu durchbrechen und die Gesellschaften der Region gerechter und nachhaltiger zu gestalten.
Abu-Rumman, Mohammad; Alkhatib, Walid
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Khatib, Ghassan
El-Battahani, Atta
Tamim, Kamal Naif
Khalifa, Asma
Meften, Ahmed Qasim
Doueihy, Michel
Diab, Jasmin Lilian
Gertel, Jörg; Kreuer, David
Ait Mous, Fadma
Melliti, Imed
Boussaïd, Khadidja