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Frieden und Sicherheit, Klimakrise, Pandemien, soziale Ungleichheit, Digitalisierung, Diskriminierung und Polarisierung - selten waren die gesellschaftlichen Herausforderungen so komplex wie heute. Das macht demokratische Entscheidungsfindung und progressive Zukunftsgestaltung nicht einfacher. Wer heute etwas verändern will, wer den notwendigen Fortschritt gerecht gestalten möchte, muss Verbündete finden.
Moderne Gesellschaften werden zunehmend komplexer. Das führt zu einem erhöhten Kooperationsbedarf und erschwertdie Fähigkeit zur Veränderung. Wie können zivilgesellschaftliche Allianzen unter diesen Bedingungen zur Gestaltung des sozialen Fortschritts beitragen? Und was kennzeichnet erfolgreiche Bündnisarbeit?
Auf der Basis von zwölf semistandardisierten Interviews mit Vertreter_innen verschiedener zivilgesellschaftlicher Organisationen und Bewegungen analysiert die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Progressiven Zentrum die Funktionen zivilgesellschaftlicher Bündnisse in der pluralen Demokratie undidentifiziert die zentralen Faktoren für das Gelingen und Scheitern von Allianzen.
Zivilgesellschaftliche Allianzen sind ein Werkzeug, um den Bedingungen der modernen Welt zu begegnen: In ihnen schließen sich unterschiedliche Initiativen, Organisationen und Vereine für eine begrenzte Zeit zusammen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Sie kooperieren, weil sie der Überzeugung sind, dass sie gemeinsam stärker sind als allein und dass die Vielfalt der Perspektiven zu einer besseren Gesamtlösung führt.
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Alina Fuchs
+49(0)30 26935-7327alina.fuchs(at)fes.de
Zivilgesellschaftliche Allianzen – auch Bündnisse genannt – sind freiwillige Zusammenschlüsse mehrerer zivilgesellschaftlicher Akteur_innen, also von Organisationen, Initiativen, Vereinen oder Bewegungen. Diese arbeiten zusammen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Allianzen sind deshalb zeitlich begrenzte Kooperationen, die sich nach Erreichung des Ziels wieder auflösen. Die Mitglieder bleiben dabei stets als unterscheidbare Akteur_innen bestehen.
Arbeitsteilung, Dezentralisierung und Globalisierung haben in modernen Gesellschaften dazu geführt, dass verschiedene Gesellschaftsbereiche weitgehend unabhängig voneinander funktionieren und eigenen Logiken folgen.
Die Verbindung und Kooperation aller für Problemlösungen relevanter Teilsystemeist jedoch sehr herausfordernd. Dies zeigt sich nicht zuletzt an den Problemen kollektiven Handelns, die aus der Klimakrise oder der Pandemie entstehen. Allianzen können an dieser Stelle einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie:
In einer pluralen Gesellschaft kann die Suche nach dem Gemeinsamen, auf das man sich einigen kann, schwierig sein. In Allianzen schließen sich zivilgesellschaftliche Akteur_innen aus unterschiedlichen Bereichen für begrenzte Zeit zur Erreichung eines spezifischen Ziels zusammen. Durch dieses strategische Moment können Interessen gebündelt werden, ohne dass unterschiedliche Werte, Handlungslogiken und Kulturen aufgegeben werden.
Indem Akteur_innen aus verschiedenen Teilsystemen der Gesellschaft sich in Allianzen zusammenschließen, werden Kompetenzen aus vielen Bereichen verbunden. Das ermöglicht einen ganzheitlichen, interdisziplinären Blick und steigert die gesamtgesellschaftliche Problemlösungskompetenz. Gemeinsam kann herausgearbeitet werden, wie die verschiedenen Bereiche sich gegenseitig beeinflussen und wie sie am besten zusammenwirken.
Die Vielzahl an Akteur_innen mit ihren umfangreichen Kompetenzen und Interessenlagen verleiht Allianzen nicht nur eine große Legitimität, sie erhöht auch deren Einflussmöglichkeiten und Wirkmacht. Indem Kräfte gebündelt werden, können sich Allianzen im politischen Raum Gehör verschaffen und ihren Handlungsspielraum erweitern. Gleichzeitig können sie für politische Entscheidungsträger_innen ein wichtiger Bezugspunkt für Entscheidungsfindung und Interessenausgleich sein.
Die Organisation unterschiedlicher Gruppen hinter einem politischen Ziel ist in der Praxis alles andere als einfach. Zu den Schwierigkeiten zählen Absprachen zur Kommunikation untereinander, das einzelne und kollektive Rollenverständnis oder die gemeinsame Ressourcenplanung. Die Kurzstudie identifiziert solche praktischen Hürden und Erfolgsfaktoren der Allianzarbeit. Hier einige Beispiele:
Miteinander vereinbare Wertvorstellung sind sehr wichtig für die Kooperation in einer Allianz. In einer strukturierten und zeitlich begrenzten Wertedebatte sollte deshalb die Frage diskutiert werden: Passen wir in eine Allianz? Es empfiehlt sich, einen kleinen, aber stabilen gemeinsamen Nenner zu identifizieren.
Klarheit über das gemeinsame Ziel dient im Verlauf der Zusammenarbeit nicht nur der Rückbesinnung, sondern auch dem Erwartungsmanagement. Die bewusst gemeinsame Formulierung dieses verbindenden Ziels ist für viele Akteur_innen wichtig, um sich tatsächlich dazugehörig zu fühlen. Dabei kann es nützlich sein, die Gemeinsamkeiten zu betonen: gemeinsame Grundwerte, gemeinsame Zukunftsvisionen, geteilte Erfahrungen und natürlich an allererster Stelle das gemeinsame Ziel.
Allianzpartner_innen müssen besprechen, welches Verhältnis sie sich zu politischen Akteur_innen wünschen. Einerseits erhöht eine enge Zusammenarbeit zwischen Parteien und zivilgesellschaftlichen Allianzen die politische Wirksamkeit beider Seiten. Andererseits setzen sich Allianzen damit Vorwürfen der Parteilichkeit oder des Opportunismus aus. Deshalb ist eine abgestimmte Kommunikationsstrategie für die Öffentlichkeit ratsam.
Große politische Ziele werden dann realistisch, wenn sich eine Mehrheit hinter ihnen abbildet. Je mehr Sektoren und Interessengruppen eine Allianz vereint, desto höher ist deshalb die Wahrscheinlichkeit, dass die Politik die Forderung aufnimmt.
Die Heterogenität bedeutet auch, dass Allianzen eine Breite an Wirklogiken in sich vereinen. Um besonders wirksam zu sein, sollten alle Beteiligten sich absprechen, wer welche Aufgaben glaubwürdig übernehmen kann. Zum Beispiel sollten Bündnispartner_innen, die sich nicht als Lobby-, Dialog- oder Kampagnenorganisationen verstehen, nicht zu einer dieser Formen verpflichtet werden.
Werden Zwischenziele erreicht, überraschende Erfolge erzielt oder bekommt die Allianz zwischenzeitlich besonders viel Zuspruch und Aufmerksamkeit, so ist ein sensibler Moment gekommen. Erfolge sollten gemeinsam erzählt und gefeiert werden. Es lohnt sich deshalb, diese Dinge frühzeitig anzusprechen und in der Entscheidungsfindung offen zu diskutieren.
In der Allianzarbeit kommt es immer auch zu Konflikten. Wichtig ist hier das Verständnis dafür, dass einige Organisationen rote Linien haben, bei deren Überschreitung sie die Allianz verlassen. Damit die gemeinsame Arbeit als Ganzes oder gar das politische Ziel nicht gefährdet ist, sollten die Allianzpartner_innen vorab Konfliktlösungsstrategien vorbereiten, zum Beispiel: Gibt es externe Streitschlichter_innen?
Nicht nur innerhalb der Zivilgesellschaft, auch über die verschiedenen Sektoren hinweg brauchen wir in Zukunft neue Allianzen, um gemeinsam gesellschaftlichen Fortschritt zu bewirken – insbesondere auch zwischen Zivilgesellschaft und Politik. Die Frage, wie politische Entscheidungsträger_innen die zivilgesellschaftliche (Allianz-)Arbeit in politische Aushandlungs- und Entscheidungsprozesse einbinden können, wird für das Gelingen der großen Zukunftsprojekte zentral sein.
Solche Allianzen können zum Beispiel die Form bundesweiter Räte annehmen, in denen Vertreter_innen aus Politik, Wirtschaft und der Zivilgesellschaft die Bedingungen eines gerechten Strukturwandels ausloten.
Für diese explorative, qualitative Studie wurden zwölf semistandardisierte Expert_inneninterviews mit Vertreter_innen verschiedener zivilgesellschaftlicher Organisationen und Bewegungen geführt, die sich für die Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit einsetzen. Die Ergebnisse erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, und sollen als Orientierung dienen.
Paulina Fröhlich ist Leiterin des Programmbereichs „Zukunft der Demokratie“ des Progressiven Zentrums. Dort leitet sie unter anderem innovative Dialogformate mit Bürger_innen, wie „Europa hört – eine Dialogreise“, und Projekte zum souveränen Umgang mit demokratiefeindlichem Populismus im öffentlichen Raum. Zuvor war sie als Mitbegründerin und Pressesprecherin bei der Initiative Kleiner Fünf tätig, die Menschen darin unterstützt, mithilfe „radikaler Höflichkeit“ gegen Rechtspopulismus aktiv zu werden. Sie studierte Geografie und Islamwissenschaft in Münster und Helsinki, gefolgt von einem M.Sc. in Integrated Water Resource Management an der TH Köln und der Jordan University.
Paul Jürgensen ist Referent für Grundsatzangelegenheiten des Progressiven Zentrums. In dieser Funktion verantwortet er übergreifende Projekte in den Themenfeldern gerechte Transformation und progressives Regieren. Zuvor war er als Project Manager im Programmbereich Zukunft der Demokratie tätig und arbeitete zu Repräsentation und Teilhabe, demokratischen Innovationen und Visionen sowie zum Umgang mit Rechtspopulismus und -extremismus. Paul ist u.a. Ko-Autor des Buches "Schleichend an die Macht" (Dietz Verlag, 2020) sowie der Studie "Brücken bauen für die Demokratie" (Friedrich-Ebert-Stiftung, 2020). Vor seiner Tätigkeit beim Progressiven Zentrum hatte er einen Lehrauftrag an der Universität Hamburg inne. Er studierte Staatswissenschaften und Politics, Economics and Philosophy in Passau, Hamburg und Cardiff.