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Dr. Jan-Martin Wiarda

Corona: Gelegenheitsfenster für den Wissenschaftsjournalismus?

E-Paper der Friedrich-Ebert-Stiftung

Bild: © Johannes Beck, minus Design, Berlin

Hochwertiger Wissenschaftsjournalismus war womöglich nie zuvor so wichtig wie in Zeiten der Corona-Krise. Gleichzeitig macht gerade die aktuelle Situation deutlich, wie fragil die Strukturen des Wissenschaftsjournalismus sind: Seine wirtschaftlichen Grundlagen erodieren, viele Wissenschaftsjournalist_innen arbeiten unter prekären Bedingungen. Der Beitrag diskutiert, welche Strukturen der Wissenschaftsjournalismus braucht, um seine zentrale Funktion für das Gemeinwesen dauerhaft ausüben zu können. Im besten Fall könnte die Corona-Krise so Gelegenheitsfenster für den  Wissenschaftsjournalismus aufzeigen.

Ist Journalismus systemrelevant? In Sonntagsreden würden die allermeisten Politiker_innen sofort zu einem emphatischen „Ja“ anheben. Und in der Krise?

Es war Mitte März, eine Landesregierung nach der anderen verkündete die Schließung von Kitas und Schulen bis mindestens nach Ostern, um die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen. Die Eltern sollten die Kinder zu Hause betreuen, eine Notbetreuung werde es nur geben, wenn Vater und/oder Mutter als „betriebsnotwendiges Personal der kritischen Infrastruktur und der Grundversorgung“ eingestuft würden. Auf den Listen der systemrelevanten Berufe fehlten in vielen Bundesländern und Kommunen zunächst: die Journalist_innen.

Das war kein böser Wille. Nach Druck der Journalistenverbände stellten die Behörden schnell klar: Auch die Mitarbeiter_innen von Presse, Onlinemedien und Rundfunk können ihre Kinder in der Krise
betreuen lassen. Doch offenbarte das Versäumnis eine unangenehme Wahrheit: Die Bedeutung, die Journalist_innen und freie Medien für eine freie Gesellschaft haben, fällt vielen erst nach einigem  Nachdenken ein.

Was erklärt, warum die nun schon viele Jahre andauernde, teilweise existentielle Krise vieler Medien und journalistischer Geschäftsmodelle nicht längst zu einer landesweiten Debatte geführt hat, wie die
„vierte Macht“ im Staat vor dem drohenden Totalverlust von Reichweite, Qualität und Einfluss bewahrt werden kann.

Doch so wie die Krise offenlegte, dass die Lage des Journalismus und der Journalist_innen sich im toten Winkel politischer Wahrnehmungskraft befindet, so zeigt sich in diesen Tagen noch etwas Zweites:
die Unverzichtbarkeit journalistischer Berichterstattung, der unabhängigen Einordnung politischer Entscheidungen und ihrer empirischen Grundlage.

Dass Virologen wie der Charité-Wissenschaftler Christian Drosten zum Obererklärer der Krise geworden sind, dass bisweilen sogar ihre über Twitter verbreitete Meinung in Rekordtempo zu praktischer Politik wird, ist beeindruckend, zugleich aber auch ein wenig gefährlich.Wer, wenn nicht unabhängige Medien können hier als Korrektiv agieren, als Kontrolle, als Steller unangenehmer Fragen? Der NDR-Podcast, in dem Drosten seit der Krise täglich auftritt, liefert nur teilweise eine Beruhigung. So viele Verdienste das Format hat, handelt es sich hier um die Perspektive einer fachwissenschaftlichen Disziplin. Erhält das, was dort besprochen wird, aber auch die nötige Einordnung durch weitere Perspektiven aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft?

Wiarda, Jan-Martin

Corona: Gelegenheitsfenster für den Wissenschaftsjournalismus?

E-Paper der Friedrich-Ebert-Stiftung
Berlin, 2020

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