Diese Webseite verwendet Cookies
Diese Cookies sind notwendig
Daten zur Verbesserung der Webseite durch Tracking (Matomo).
Das sind Cookies die von externen Seiten und Diensten kommen z.B. von Youtube oder Vimeo.
Geben Sie hier Ihren Nutzernamen oder Ihre E-Mail-Adresse sowie Ihr Passwort ein, um sich auf der Website anzumelden.
Präsenz und Präzision von Umfragen in volatilen Zeiten – von Thorsten Faas und Anton Könneke
Von der #Aufscholzjagd über die dringend benötigte „Trendwende“ bis hin zum sprichwörtlichen „Umfragekeller“, den es schleunigst zu verlassen gilt: Für Parteien ist die Entwicklung ihrer Umfragewerte ein zentrales Maß des (aktuellen) Erfolgs, insbesondere in Wahlkampfzeiten. Der Beitrag betrachtet drei Facetten rund um das Thema „Meinungsumfragen“ für die zurückliegenden vier Bundestagswahlen: Wie viele Umfragen gab es überhaupt? Wie dicht lagen die Umfragen an den letztlich resultierenden Ergebnissen? Und wie stark schwankte eigentlich alles über längere Zeiträume hinweg?
Von der #Aufscholzjagd über die dringend benötigte „Trendwende“ bis hin zum sprichwörtlichen „Umfragekeller“, den es schleunigst zu verlassen gilt: Für Parteien ist die Entwicklung ihrer Umfragewerte ein zentrales Maß des (aktuellen) Erfolgs, insbesondere in Wahlkampfzeiten. Gerade in dieser Zeit bekommen die Umfragen der Meinungsforschungsinstitute von den Medien und der Öffentlichkeit viel Aufmerksamkeit.
Und doch bleibt das Verhältnis ambivalent: Rund ein Drittel der wahlberechtigten Deutschen sagte in einer Umfrage nach der Wahl 2017, dass Wahlumfragen zumindest hin und wieder manipuliert werden.[1] Auch von Politiker_innen wird die Demoskopie durchaus skeptisch gesehen: Circa 40 Prozent der Kandidat_innen für den Bundestag fanden bei einer Befragung 2017, Demoskopie und Politikberatung hätten zu viel Einfluss.[2] Der potenzielle Einfluss von Umfragen wird von einigen per se skeptisch gesehen, schließlich solle man doch aus Überzeugung und nicht im Lichte von Umfrageergebnissen Politik machen. Erst recht aber steigt die Skepsis, wenn der demoskopische Einfluss gar auf vermeintlich falschen Zahlen basiert. Beispiele für falsche Zahlen im Vorfeld wichtiger Entscheidungen fallen uns wohl allen ein: Trump und Brexit mögen an dieser Stelle als Stichworte genügen. Aber auch die Wahl in Sachsen-Anhalt im Juni 2021 wird gern als Beispiel für ein vermeintliches demoskopisches Versagen angeführt: Aus einem von einigen vorhergesagten Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU und AfD wurde am Ende ein haushoher Sieg Reiner Haseloffs und der CDU. Dass zu diesem Umschwung auf den letzten Metern des Wahlkampfs möglicherweise selbst Umfrageergebnisse beigetragen haben, deren Veröffentlichung Wähler_innen dazu veranlasst haben mag, ihr Wahlverhalten zu ändern, macht das komplexe Beziehungsgeflecht nicht einfacher. Grund genug jedenfalls, in diesem kurzen Beitrag einen Blick auf die Umfragetrends rund um die Bundestagswahl 2021 zu werfen. Wie viele Umfragen gab es überhaupt? Wie dicht lagen die Umfragen an den letztlich resultierenden Ergebnissen? Und wie stark schwankte eigentlich alles über längere Zeiträume hinweg?
Gefühlt sind Umfragen omnipräsent – aber sind sie im Wahljahr 2021 vielleicht sogar noch ein Stückchen omnipräsenter geworden als früher? In jedem Fall ist die Präsenz von Umfragen die notwendige Bedingung für jedwede Form möglicher Einflüsse. Wie also hat sich die Zahl an Umfragen in der „heißen“ Wahlkampfphase in den vergangenen Wahlkampfjahren entwickelt? Abbildung 1 zeigt die Zahl an Wahlumfragen in den jeweils letzten sechs Wochen vor den vier zurückliegenden Bundestagswahlen, die von großen Instituten veröffentlicht und von wahlrecht.de berichtet worden sind. Dabei zeigt sich ein ansteigender, aber keineswegs sich stetig fortsetzender Trend. Im Vergleich zu 2017 etwa ist die Zahl der Umfragen 2021 nicht weiter angestiegen. Eine gewisse Sättigung scheint erreicht – mit 43 Umfragen in sechs Wochen vor der Wahl (mit 42 Tagen) durchaus nachvollziehbar: Im Schnitt erscheint praktisch jeden Tag eine neue Umfrage (wobei es tatsächlich auch Tage mit zwei neuen Umfragen gibt, während andere Tage leer bleiben).
Der Anstieg von 2009 über 2013 bis 2017 ist auf neue Mitstreiter am demoskopischen Markt zurückzuführen, nämlich YouGov und vor allem INSA. Aber nicht nur zahlenmäßig hat sich der Markt damit erweitert; mit YouGov und INSA sind seitdem auch Institute am Markt, die auf Onlineumfragen (anstelle von persönlichen oder telefonischen Umfragen) setzen. Beide Trends – Anstieg im Zeitverlauf, Trend hin zu online – werden weiterhin durch den Umstand unterfüttert, dass mit Civey, IPSOS, Trend Research Hamburg und wahlkreisprognose.de in jüngerer Vergangenheit weitere Institute am Markt sind, die ganz oder teilweise auf Onlineerhebungen setzen; auch Infratest Dimap hat im Wahljahr 2021 seine Umfragen auf einen Methodenmix aus Telefon und online umgestellt.
Angesichts dieser Fülle an Zahlen fällt es gar nicht immer leicht, den Überblick zu behalten. Auch den wahren Trend zu erkennen und sich nicht von einzelnen Ausreißern aus dem Umfragereigen ablenken zu lassen, stellt eine Herausforderung dar. Aber zum Glück gibt es auch hierfür Abhilfe: Im Netz besteht ein großes Angebot an sogenannten Aggregatoren, die aktuelle Wahlumfragen zusammentragen. Jedes große Zeitungshaus hat eine eigene Umfrageübersicht zur Bundestagswahl im Onlineangebot. Dabei gehen die Angebote mitunter weit über die einfache Darstellung des Umfrageverlaufs hinaus: Der „Wahltrend“ von Zeit Online etwa gewichtet Umfragen anhand der Aktualität der Erhebung und der Genauigkeit, mit der das ausführende Institut in der Vergangenheit Wahlen projizierte (Endt 2021). Die Süddeutsche Zeitung kooperiert für die hauseigene „Wahlprognose“ mit zweitstimme.org, einer Gruppe von Politik- und Sozialwissenschaftler_innen, deren Prognosemodell neben den Umfrageergebnissen auch eine „strukturelle Komponente“ zur Vorhersage heranzieht. So fließen auch Amtsinhaber_innen-Effekte, frühere Wahlergebnisse und die Umfragewerte vor dem Wahlkampf mit in das Modell ein (Gschwend 2021).
Die Skepsis gegenüber Umfragen speist sich aber weniger aus der Anzahl der Umfragen, sondern eher aus ihrer vermeintlich geringen oder nachlassenden Präzision. Dazu muss man zunächst einmal festhalten, dass es sich bei den meisten veröffentlichten Sonntagsfragen um sogenannte Projektionen handelt. Diese Erhebungen beanspruchen nicht, den Ausgang der kommenden Wahl zu jedem Zeitpunkt vorherzusagen, sondern eher eine Antwort darauf zu geben, wie abgestimmt würde, wenn denn schon am kommenden Sonntag Bundestagswahlen wären: „Projektionen, keine Prognosen“ – so lautet einer der Kernsätze der Institute. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch: Zumindest die Projektionen, die unmittelbar in der Woche vor der tatsächlichen Bundestagswahl erhoben und veröffentlicht werden, kann man legitimerweise mit dem Endergebnis der Wahl vergleichen. Abbildung 2 zeigt für jede Partei und die vergangenen vier Bundestagswahlen die Differenz zwischen dem Wahlergebnis und dem Mittelwert über all jene Projektionen, die in der Woche vor der jeweiligen Bundestagswahl veröffentlicht wurden.
2021 lagen die zuletzt veröffentlichten Umfragewerte alles in allem sehr dicht am Endergebnis der Wahl. Lediglich bei der CDU und den Linken liegt die durchschnittliche Abweichung (als Betrag) bei über einem Prozentpunkt. Damit schneiden die Umfragen besser ab als in den Vorjahren, in denen wir sowohl extremere Werte für einzelne Parteien (etwa die Union 2013 und 2017, wenn auch in verschiedener Richtung) als auch insgesamt höhere Abweichungen sehen.
Wenn man die Betrachtung nach Instituten differenziert (siehe Abbildung 3), lässt sich auch feststellen, welches Institut mit der eigenen Projektion am dichtesten am Wahlausgang lag. Für die zurückliegende Wahl können das Institut Allensbach und die Forschungsgruppe Wahlen dies für sich beanspruchen. Wie schon 2017 wich das Ergebnis des Instituts YouGov dagegen am stärksten vom Wahlergebnis ab.[3]
Insgesamt ist also festzuhalten, dass im Wahljahr 2021 viele Umfragen, die recht treffsicher ausfielen, zu verzeichnen waren. Das ist umso bemerkenswerter – und mit diesem Punkt wollen wir schließen –, weil die Legislaturperiode, wie auch die letzten Monate vor der Wahl, insgesamt durch ein immenses Maß an Volatilität und Umfragedynamik geprägt war – ausweislich von Umfragen. Wie Abbildung 4 am Beispiel von Daten der Forschungsgruppe Wahlen zeigt, waren die Umfragewerte praktisch aller Parteien im Zeitraum von Januar bis September 2021 in einem Ausmaß von Schwankungen betroffen, das so in den Wahljahren zuvor nicht zu beobachten war: Die Union etwa schwankte um 8 Prozentpunkte um ihren Mittelwert (für diesen Zeitraum insgesamt); auch bei SPD und Grünen ist eine sehr hohe Amplitude zu beobachten. Man könnte also sagen: Obwohl sich die Parteianteile über die Legislaturperiode hinweg so stark nach oben und unten bewegten wie nie zuvor und sich dieser Trend auch bis in die Wochen vor der Wahl hinein zog, waren die letzten Umfragen in ihrer Präzision trotzdem sehr hoch.
[1] Vgl. Comparative National Elections Project, deutsche Teilstudie 2017. Frageformulierung: „Was vermuten Sie: Manipulieren Meinungsforschungsinstitute bisweilen ihre Ergebnisse, um z. B. ihrem Auftraggeber Vorteile zu verschaffen?“, eigene Auswertungen.
[2] Vgl. GLES (2018). Kandidatenstudie (GLES 2017). GESIS Datenarchiv, Köln. ZA6814 Datenfile Version 3.0.0, doi.org/10.4232/1.13089. Frageformulierung: „Was halten Sie von folgenden Aussagen zur innerparteilichen Demokratie? (B) Demoskopie und Politikberatung haben auf Parteientscheidungen zu viel Einfluss“, eigene Auswertungen.
[3] In die Auswertung gehen alle Umfragen der Institute Allensbach, Emnid, Forschungsgruppe Wahlen, Forsa, GMS, INSA und YouGov ein, die mit dem geringsten zeitlichen Abstand zur jeweiligen Wahl, längstens aber eine Woche vor der Wahl, veröffentlicht wurden. Fehlende Balken bedeuten, dass das jeweilige Institut in der Woche vor der Wahl im jeweiligen Jahr der Wahl keine Umfragen veröffentlicht hat. Dargestellt ist die Wurzel der mittleren Fehlerquadratsumme (RMSE). Das Maß ergibt sich, indem zunächst die Differenzen gebildet und quadriert werden, woraufhin der Mittelwert dieser quadrierten Differenzen gebildet wird. Im letzten Schritt wird die Wurzel gezogen. Der RMSE erlaubt den Vergleich von Abweichungen zwischen projizierten und tatsächlichen Werten unabhängig der Vorzeichen der Differenzen. Niedrige Werte bedeuten, dass Wahlergebnis und Projektion wenig voneinander abweichen.Abbildungen (durch anklicken vergrößern)
Thorsten Faas
ist Professor für Politikwissenschaft und Leiter der Arbeitsstelle „Politische Soziologie der Bundesrepublik Deutschland“ am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin. E-Mail: thorsten.faas@fu-berlin.de, Twitter: @wahlforschung
Anton Könneke
ist Student der Politikwissenschaft und Mitarbeiter am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin. E-Mail: a.koenneke@fu-berlin.de
Ansprechpartner in der FES: Jan.Engels(at)fes.deDieser Text ist als FES impuls erschienen, Abbildungen, Literaturverzeichnis und weitere Angaben finden Sie hier:
Faas, Thorsten; Könneke, Anton
Präsenz und Präzision von Umfragen in volatilen Zeiten / Thorsten Faas, Anton Könneke ; Herausgeberin: Abteilung Analyse, Planung und Beratung. - Bonn : Friedrich-Ebert-Stiftung, Oktober 2021. - 5 Seiten = 330 KB, PDF-File. - (FES impuls)Electronic ed.: Bonn : FES, 2021ISBN 978-3-96250-989-7
Publikation herunterladen (330 KB, PDF-File)
Analyse von Aiko Wagner und Thorsten Faas
Über Themen im Bundestagswahlkampf 2021 – von Julia Bläsius
Eine historische Bundestagswahl mit einem roten Comeback
Bildung: Florian Dähne030 - 269 35 7056Florian.Daehne(at)fes.de
Arbeit: Susan Javad030 26935-8313Susan.Javad(at)fes.de
Digitalisierung: Stefanie Moser030 26935-8308Stefanie.Moser(at)fes.de