Die FES wird 100! Mehr erfahren

Wenn die Worte fehlen

Eine Bilanz in Sachen Integration: Vieles scheitert an fehlenden Sprachkenntnissen – aber das ist nicht nur ein Problem für die Geflüchteten.

Bild: von picture alliance / dpa | Fredrik Von Erichsen Teilnehmerinnen eines Integrationskurses für Frauen lernen am 05.11.2015 in Mainz (Rheinland-Pfalz) im Projekt "Arbeit & Leben" Deutsch - eine hält dabei eine Stimmungs-Karte in den Händen, auf der Smileys von "nicht gut" bis "super" das Befinden darstellen sollen. Die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geförderten Integrationskurse stehen seit dem 24. Oktober auch Asylbewerbern und Geduldeten mit guter Bleibeperspektive offen. Beim Frauenintegrationskurs wird den Kursteilnehmerinnen auch eine Kinderbetreuung angeboten.

Fünf Jahre nach dem Sommer 2015, als Hunderttausende in Deutschland Zuflucht fanden und Deutschland eine große Woge der Hilfsbereitschaft erlebte, zog die Friedrich-Ebert-Stiftung bei der Fachtagung #zusammenfinden am 5. und 6. Oktober 2020 Bilanz: Wo steht Deutschland bei der Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt, ins Bildungssystem und in die Gesellschaft insgesamt? Was ist aus dem Engagement der Ehrenamtlichen geworden? Die zweitägige Online-Konferenz brachte Expert_innen, Politiker_innen und Engagierte zusammen. Gemeinsam wurde diskutiert, was auf der politischen und gesellschaftlichen Ebene getan werden kann, um ein friedliches Nebeneinander in einer bunter werdenden Gesellschaft zu gestalten.

Erfolgsgeschichten finden sich überall

Die Einbeziehung in die Arbeitswelt sowie finanzielle Selbstständigkeit sind entscheidend dafür, dass Neuankommende sich zu Hause fühlen und die Gesellschaft sie als gleichberechtigte Mitglieder betrachtet, und tatsächlich – hier gab es große Einigkeit unter den Teilnehmer_innen – hat Deutschland hier große Fortschritte gemacht. Yulia Kosjakova vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) spricht in diesem Zusammenhang sogar von einer Erfolgsgeschichte. Denn mehr als 50 Prozent der seit 2015 nach Deutschland geflüchteten Menschen haben inzwischen einen Job gefunden. Die Statistik zeigt auch: Im Vergleich zu früheren Migrationsgenerationen, sind die Menschen in den vergangenen fünf Jahren deutlich schneller in Arbeit gekommen. In weiten Bereichen scheint also die Rechnung aufzugehen: Die deutsche Gesellschaft und Wirtschaft bekommen die dringend gesuchten Fachkräfte und die Neuangekommenen finden Jobs.

Und dennoch bleibt viel zu tun, denn die Statistik zeigt auch, dass es große Unterschiede gibt. Nicht nur zwischen den Regionen in Deutschland, sondern besonders auch zwischen den Geschlechtern. So haben bislang nur 20 Prozent der geflüchteten Frauen eine Stelle. Hier gibt es besonderen Handlungsbedarf. Die Frauen benötigen oft mehr Hilfe, Sprachkurse, Familienleben und Berufstätigkeit miteinander zu vereinbaren. PerMenti ist eines von vielen Projekten, das hier ansetzt. Die Initiative aus Nordrhein-Westfalen bereitet geflüchtete Frauen gezielt auf den Berufseinstieg vor und vermittelt Mentor_innen, die sie durch Praktika und Bewerbungsprozess begleiten. Bisher haben 160 Frauen das Programm durchlaufen, 58 von ihnen haben ein Praktikum und 42 eine Stelle gefunden.

Sprache und Sprachlosigkeit

Bezeichnend war, dass die Diskussion um die Integration in den Arbeitsmarkt, die bei den Fachtagen eine wichtige Rolle einnahm, immer wieder auf das Thema Sprachkenntnisse zurückkam. Mit gutem Grund, denn mangelnde Sprachkenntnisse sind die größte Integrationshürde. Deutschland ist weit davon entfernt, Neuangekommene nach ihren beruflichen Qualifikationen und ihrer Erfahrung zu bewerten. Da kann ein Arzt oder eine Ingenieurin noch so gut sein und der Bedarf auf dem deutschen Arbeitsmarkt noch so groß, Deutschkenntnisse bleiben ein Ausschlusskriterium. Dabei ist jedoch klar, dass sich die Sprache deutlich effizienter im Beruf erlernen lässt als im gewöhnlichen Sprachkurs. Auch hier gab es große Übereinstimmung, dass Nachholbedarf besteht. Es gilt die formellen Zugangsbeschränkungen zu senken und Menschen zu ermöglichen, einen Job zu beginnen, bevor sie das notwendige Sprachdiplom geschafft haben.

„Wir brauchen Geduld und mehr Flexibilität“, brachte es der SPD-Bundestagsabgeordnete Karamba Diaby auf den Punkt.

Erörtert wurde auch, wie sich Menschen motivieren lassen, einen Beruf zu ergreifen, auch wenn sie für die Arbeit nur unwesentlich mehr Geld bekommen, als ihnen vom Jobcenter ausgezahlt wird. Denn Berufstätigkeit gilt als wesentlicher Faktor, der das Ankommen in einem fremden Land beeinflusst. Was die Motivation angeht, einen Job unterhalb der eigenen Qualifikation anzunehmen gibt es Unterschiede: Menschen, die in der Hoffnung auf eine bessere wirtschaftliche Lage nach Deutschland gekommen sind, sind dazu eher bereit, als Menschen, die vor Gewalt und politischer Verfolgung geflohen sind. 

Gemeinsam die Schulbank drücken

Ein besonderer Fokus lag auch auf dem Thema Bildung: Die Einbeziehung der neuangekommenen Kinder und Jugendlichen braucht besondere Anstrengungen. Doch wie soll das gelingen in Zeiten von Lehrer_innenmangel? Auch in diesem Bereich gibt es einige interessante Projekte wie zum Beispiel das Refugee Teacher-Programm der Universität Potsdam. Geflüchtete, die bereits im Heimatland als Lehrer_innen gearbeitet haben, werden in 18 Monaten auf den Schuldienst in Deutschland vorbereitet. Im Anschluss erhalten sie einen befristeten Vertrag als pädagogische Hilfskräfte, um den Berufseinstieg zu erleichtern. Das Projekt, das bundesweite Bekanntheit erlangt hat und als Modellprojekt gilt, kann auch als Beispiel gesehen werden, wie aus Erfahrungen gelernt werden und Projekte umgestaltet werden müssen. So beschrieb Programmleiterin Anna Alexandra Wojciechowitz einen Rückgang von Bewerbungen: Während sie 2016 noch mehr als 600 bekommen hat, waren es zuletzt nur noch 115. Dies habe damit zu tun, dass inzwischen viele das Programm absolviert haben. Es gebe aber auch Schwierigkeiten: So hätten viele der Absolvent_innen mit fehlender Akzeptanz durch Kolleg_innen und besonders Eltern zu kämpfen. Es zeigt sich also, dass es bei der Integration in den Arbeitsmarkt neben beruflichen und sprachlichen Qualifikationen um einen weiteren entscheidenden Faktor geht: Akzeptanz und die Stimmung in der Gesellschaft.

Stimmung verbessern

Die Diskussion über Rassismus und extrem rechte Tendenzen in Politik und Gesellschaft nahm einen breiten Raum bei den Diskussionen ein. Wie kann diesem Trend etwas entgegengesetzt werden? Auf der individuellen Ebene gelte es, Menschen miteinander in Kontakt zu bringen, Brücken zu bauen und Initiativen zu fördern, die sich für mehr Miteinander im Alltag einsetzen. Zivilgesellschaftliches Engagement ist das A und O des Zusammenlebens.

„Es ist wichtig, sich zu engagieren, um sich in einer neuen Umgebung zu Hause zu fühlen, Freunde zu finden. Es ist auch wichtig, sich mit anderen auszutauschen und damit demokratische Grundhaltungen zu festigen und nicht zuletzt gibt Engagement den Menschen das Gefühl, dass sie etwas bewirken können“, so der Politikwissenschaftler Roland Roth.

Das Engagement der Mehrheitsgesellschaft ist dabei ebenso wichtig wie Initiativen, die von Neuangekommenen gestartet werden. Mit Douha al Fayyad und Tareq Alaows saßen zwei Geflüchtete auf dem Podium, die darüber sprachen, warum sich viele Geflüchtete engagieren und auf welche Schwierigkeiten sie dabei stoßen. So berichtete Al-Fayyad darüber wie sie als Lehrerin in Sachsen oft rassistisch beleidigt und wegen ihres Kopftuches angegriffen wird.

„Da muss man sehr stark sein, um weiterzumachen“, erklärt sie.

Ein weiterer Faktor, der dazu führt, dass viele Geflüchtete, die sich anfangs engagiert haben, nun zurückziehen, sei der Alltagsstress, so Alaows. Job- und Wohnungssuche und Aufenthaltsprobleme nehme sie enorm in Beschlag. Nachlassendes Engagement hängt aber auch damit zusammen, dass viele Projekte nicht mehr finanziert werden.  

Handlungsbedarf gibt es aber auch auf politischer Ebene. So wies Roth auf ein Paradox hin: Während auf der kommunalen Ebene in Deutschland Migrant_innen oft ganz selbstverständlich einbezogen würden, weil dies für das Zusammenleben wichtig ist, gebe es auf der Bundesebene immer noch Vorbehalte, Deutschland als Einwanderungsland zu sehen. Dementsprechend gebe es anders als in anderen europäischen Ländern kein Kommunalwahlrecht für Drittstaatler_innen. Auch am Beispiel der Bereitschaft, neue Geflüchtete aufzunehmen, zeigt sich diese Kluft zwischen Kommunen, die gerne Geflüchtete aufnehmen wollen und dem Bund, der die Aufnahme ablehnt. Die Vernetzung von Städten hat in den vergangenen Monaten dazu beigetragen, den Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen.

„Ein klares Zeichen für mehr Menschlichkeit ist hier auch wichtig, um rechten Tendenzen in der Bevölkerung etwas entgegenzusetzen. Auch deswegen ist diese Vernetzung wichtig“, so Gesine Schwan von der Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/Oder.


Fazit: Gebaute Brücken müssen auch instandgehalten werden

Als Beobachterinnen und Berichterstatterinnen haben wir zwei Tage intensiver Diskussion verfolgen können. Eine große Anzahl verschiedener, interessanter Perspektiven wurde aufgezeigt, zahlreiche Projekte vorgestellt und unzählige Statistiken ausgewertet. Als Ergebnis lässt sich besonders eine Botschaft, die von zahlreichen Speaker_innen aufgegriffen wurde, zusammenfassen: Trotz einer Vielzahl an Problemen klappt es in Deutschland eigentlich ganz gut, jedoch braucht es mehr Flexibilität und vor allem Geduld von beiden Seiten, beim Erlernen der Sprache und beim Aushalten von Sprachproblemen der Neuangekommenen, bei der Jobsuche und beim Kampf gegen bürokratische Hürden.

Besonders hervorheben möchten wir außerdem: Gerade Geflüchtete waren von der Coronakrise betroffen. Als Angestellte in Restaurants, im Service oder anderen befristeten Stellen gehörten sie zu den ersten, die entlassen wurden. Das hat die Integration in den Arbeitsmarkt gebremst. Die Förderung vieler Projekte, die sich für ein besseres Zusammenleben einsetzen, läuft derzeit aus. Angesichts des Anwachsens extrem rechter und neofaschistischer Strömungen ist es jedoch besonders wichtig, Brücken zwischen Neuangekommenen und Alteingesessenen zu bauen und zu erhalten.

Sicherheit, Teilhabe und Demokratie sind die drei wichtigsten Punkte des Pakt für das Zusammenleben in Deutschland, den die SPD jüngst vorgestellt hat. Aus unserer Sicht gehört dazu aber auch, dass die Bundesregierung, an der die SPD beteiligt ist, ein klares Zeichen gegen rechte Gewalt und Extremismus setzt. Auch ist es nicht zu verantworten, dass immer noch Menschen an den EU-Außengrenzen sterben und weiterhin die Augen vor der Situation im Flüchtlingscamp Moria zu verschließen, ist mit unserem Gebot von Menschlichkeit und Solidarität nicht zu vereinbaren und zugleich politisch ein falsches Signal: Es beeinflusst das politische Klima negativ.

Abschließend möchten wir als Schlusswort einen Gedanken festhalten: Integration ist nicht nur das, was zwischen Individuum und Gesellschaft passiert. Es ist auch das, was im Inneren der Menschen passiert. Das ist nicht sofort ersichtlich. Wir blicken auf die Fachtagung zurück mit der Gewissheit, dass gerade jetzt im Inneren der Menschen in Deutschland viel passiert, seien es Geflüchtete oder Menschen, die schon lange in diesem Land leben.   

 

Autorinnen:

Maryam Mardani und Amloud Alamir sind Journalistinnen von Amal, Berlin!, einer Online-Plattform mit Nachrichten aus Berlin auf Arabisch und Persisch. 10 Journalisten aus Syrien, Afghanistan, Iran und Ägypten berichten über alles, was in Berlin wichtig ist: Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur.

 

Der Beitrag entstand im Rahmen der integrationspolitischen Fachtage #zusammenfinden der FES am 5. und 6 Oktober 2020. Alle Infos zur Tagung und das Programm finden Sie hier.

 


Bildung:
Florian Dähne
030 - 269 35 7056
Florian.Daehne(at)fes.de

Arbeit:
Susan Javad
030 26935-8313
Susan.Javad(at)fes.de

Digitalisierung:
Stefanie Moser
030 26935-8308
Stefanie.Moser(at)fes.de

 

 

nach oben