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Frankreich hat eine neue Nationalversammlung. Der Super-GAU für Europa, eine Regierung des russlandfreundlichen, EU- und deutschlandkritischen Rechtsextremen Rassemblement National, ist ausgeblieben. Trotzdem bleiben große Fragezeichen.
Frankreich hat eine neue Nationalversammlung. Der Super-GAU für Europa, eine Regierung der russlandfreundlichen, EU- und deutschlandkritischen Rechten im zweitgrößten Mitgliedsstaat ist ausgeblieben. Trotzdem bleiben große Fragezeichen. Findet sich eine stabile Regierung? Ist Frankreich in den nächsten Jahren ein zuverlässiger Partner, oder bleibt es hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt?
Das Parlament ist in drei große Blöcke gespalten. Das Linksbündnis NFP liegt zwar vor Macrons Zentrumsgruppe Ensemble und dem rechtsextremen RN, ist aber trotzdem weit von einer Mehrheit entfernt. Eine Regierungsbildung erscheint äußerst kompliziert. Während führende Politiker aus Ensemble eine Regierung mit konservativen Kräften abseits des RN anstreben, erhebt die NFP als stärkstes Parteienbündnis ihren Regierungsanspruch. Am 15. Juli wollen die verschiedenen Kräfte der NFP Präsident Macron ihre_n Premierkandidat_in präsentieren. In einem Brief an seine Landsleute verkündete der Präsident derweil, dass die Regierungsbildung Zeit brauche und rief zur „Vereinigung“ der republikanischen Kräfte auf. Damit zielt er auf eine Spaltung des Linksbündnisses zwischen der linkspopulistische LFI und den Sozialisten und Grünen. Die NFP scheint derweil eine Minderheitsregierung anzustreben. Aktuell ist nur eines Sicher: Frankreich, das keine Tradition der Koalitionsregierungen hat, steht vor Zeiten großer politischer Ungewissheit.
In der französischen Politik dominiert normalerweise der Präsident die Außen- und Sicherheitspolitik. Macron hat diese Tendenz in den letzten sieben Jahren durch seinen personalistischen Regierungsstil sogar noch verschärft. Laut Artikel 5 der Verfassung ist der Präsident der "Garant der nationalen Unabhängigkeit und der Integrität des nationalen Territoriums". Artikel 15 bestimmt ihn zum "Oberbefehlshaber der Streitkräfte", und er allein entscheidet über den Einsatz von Nuklearwaffen. Doch in Zeiten der Kohabitation, wenn Präsident und Premierminister aus unterschiedlichen politischen Lagern stammen, verschieben sich die Machtverhältnisse. Der Premierminister und seine Minister gewinnen dann erheblichen Einfluss. Denn die Verfassung benennt sie als Verantwortliche für nationale Verteidigung.
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt dies: Während der letzten Kohabitation zwischen Präsident Jacques Chirac und Premierminister Lionel Jospin baute Jospin, seine eigene Beziehung zu Deutschlands Kanzler Helmut Kohl auf und beeinflusste Frankreichs EU-Politik. Die Kompromisse zwischen Präsidenten und Premier führten zu einer weniger ambitionierten und eher Status-quo orientierten Position in Europa. Jospins Regierung veränderte auch Frankreichs Afrika-Politik entgegen Chiracs Präferenzen und reduzierte die Anzahl der in Afrika stationierten französischen Truppen deutlich. Diese Erfahrungen könnten relevant werden, sollten Macron und ein linker Premierminister in einer Kohabitation gemeinsam regieren müssen.
Die Nouveau Front Populaire verfolgt in ihrer Außen- und Sicherheitspolitik keine klare Linie. Zwar betont das Wahlprogramm die Verteidigung der Souveränität und Freiheit der Ukraine sowie die Integrität ihrer Grenzen durch Waffenlieferungen, doch sieht vor allem die LFI die NATO kritisch. Die Parti Socialiste (PS) macht sich andererseits wie kaum eine andere Partei stark für einen ukrainischen NATO-Beitritt. Auch in Bezug auf den Nahostkonflikt besteht Uneinigkeit, da LFI-Chef Melénchon die Hamas nicht als Terrororganisation sieht. Einig ist man sich immerhin im Einsatz für die Freilassung der israelischen Geiseln. Die NFP fordert die sofortige Anerkennung eines palästinensischen Staates und kritisiert die Unterstützung Macrons für die rechte Regierung von Benjamin Netanjahu. Auf europäischer Ebene setzt sich die NFP für das Ende der Freihandelsabkommen und eine umfassende Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) ein. Zusätzlich plädiert sie für eine EU-weite Besteuerung der Superreichen und Übergewinne zur Stärkung der Eigenmittel des EU-Haushalts. Den EU-Fiskalpakt lehnt man ab. In einer möglichen Regierung müsste die NFP nicht nur mit den anderen Kräften in der Nationalversammlung nach Mehrheiten suchen, sondern auch die eigene Geschlossenheit bewahren. Wie schwer dies werden dürfte zeigt die Unfähigkeit des linken Lagers eine gemeinsame Kandidatin für das Amt des Premiers vorzuschlagen. Insbesondere LFI und die PS haben sich in den letzten Tagen hierüber zerstritten. Ausgerechnet Macron könnte als Nutznießer dieses Streits hervorgehen.
Ob es unter diesen Umständen zu einer Kohabitation, oder doch eher zu einer zentristischen Regierung kommt, ist mehr als fraglich. Wenigstens scheint eine Regierungsbeteiligung des rechten RN ausgeschlossen. Die Regierungsbildung wird zusätzlich erschwert durch die Fliehkräfte innerhalb der NFP und von Macrons Ensemble. Schon die linke Vorgängerallianz NUPES, gegründet im Rahmen der Wahl 2022 ist in den letzten Jahren an den inhaltlichen und persönlichen Differenzen zwischen LFI, Sozialisten und Grünen gescheitert. Besonders in der Außenpolitik liegen Welten zwischen den deutschland-, europa- und amerikakritischen Positionen Melénchons und denen führender Sozialisten wie Raphaël Glucksmann. Es wäre keine Überraschung sollte die NFP an möglicherweise schmerzhaften Kompromissen auf dem Weg zur Regierungsbildung zerbrechen.
Neu sind allerdings die Risse im Zentrumsblock. Macrons Autorität ist durch die herben Verluste bei der Wahl angekratzt. Angetreten, um die Rechts-Links Spaltung Frankreichs zu überwinden, treten genau diese Gegensätze innerhalb von Ensemble nun offen zu Tage. Ein Teil möchte eine linke Regierungsbeteiligung durch Zusammenarbeit mit den konservativen und rechten außerhalb des RN verhindern. Andere können sich eine gemäßigt progressive Regierung von Sozialisten, Grünen und Ensemble vorstellen. Aktuell scheint nur die Zersplitterung des Parlaments sicher. Ironischerweise sichert genau diese Zersplitterung bis auf weiteres Macrons Dominanz in der Außen- und Sicherheitspolitik. Denn nur ein_e Premierminister_in mit einer starken Hausmacht im Parlament könnte diese ernsthaft herausfordern. So steht Frankreich aktuell vor innenpolitischer Ungewissheit und außenpolitischer Konstanz, selbst wenn Macron so schwach ist wie nie.
Präsident Macrons Entscheidung die Nationalversammlung aufzulösen und Neuwahlen anzusetzen hat auch in Deutschland alle überrascht. Als dann auch noch der Rassemblement National (RN) als klarer Sieger aus der ersten Runde der Wahlen hervorging, saß der Schock in Berlin tief. Schon sah man eine rechte, deutschlandkritische Regierung in Paris an der Macht. Die Bundesrepublik würde auf einen Schlag ihren wichtigsten Partner in Europa verlieren. Die deutsch-französische Freundschaft wäre in einer tiefen Krise. Dass es nun nicht so gekommen ist, verdanken wir dem taktisches Wahlverhalten der Französinnen und Franzosen sowie dem Rückzug vieler drittplatzierter Kandidaten der Linken Nouveau Front Populaire (NFP) und von Macrons Zentristen. Dementsprechend war das kollektive Aufatmen am Sonntagabend in Berlin beinahe so laut wie in Paris.
Bundeskanzler Olaf Scholz äußerte sich positiv zu dem Sieg der pro-europäischen Kräfte und betonte die Bedeutung einer Regierung ohne den RN: "Es wäre eine große Herausforderung gewesen, wenn sich Macron auf eine Zusammenarbeit mit einer rechtspopulistischen Partei hätte einlassen müssen. Das ist jetzt abgewendet", erklärte der Bundeskanzler. Auch Regierungssprecher Steffen Hebestreit äußerte Erleichterung über den Wahlausgang: "Erst mal überwiegt eine gewisse Erleichterung, dass Dinge, die befürchtet worden sind, nicht eingetreten sind", kommentierte er. Konkret stehen beispielsweise die deutsch-französischen Rüstungsprojekte, die der RN stoppen wollte, nicht mehr auf der Kippe.
Bei aller Erleichterung bleibt Berlin besorgt aufgrund der unklaren Regierungsbildung. Zwar scheint Frankreich pro-europäisch zu bleiben, doch alles andere ist ungewiss. Ob es beispielsweise zu einer Kohabitation zwischen Macron und einem linken Premier, oder doch eher zu einer zentristischen Regierung kommt, ist mehr als fraglich. Klar ist, Europas Herausforderungen können nur unter Beteiligung von Deutschland und Frankreich gelöst werden. Daher hoffen einige in Berlin, dass die neuen politischen Verhältnisse zu einer Stärkung des Parlamentarismus und einer demokratischen Kultur der Kompromisse in der Nationalversammlung führen könnten. Ein frommer Wunsch angesichts des konfrontativen Charakters der französischen Politik.
Die meisten in Berlin erwarten eine schwierige Regierungsbildung. Nicht nur die fehlende Mehrheit einer Partei, auch die Fliehkräfte innerhalb der NFP und von Macrons Ensemble tragen dazu bei. Schon die linke Vorgängerallianz NUPES, gegründet im Rahmen der Wahl 2022, ist in den letzten Jahren an den inhaltlichen und persönlichen Differenzen zwischen LFI, Sozialisten und Grünen gescheitert. Besonders in der Außenpolitik liegen Welten zwischen den deutschland-, europa- und amerikakritischen Positionen Melénchons und denen führender Sozialisten wie Raphaël Glucksmann. Es wäre keine Überraschung sollte die NFP an möglicherweise schmerzhaften Kompromissen auf dem Weg zur Regierungsbildung zerbrechen. Ein erstes Beispiel ist die Unfähigkeit im linken Lager sich auf eine_n gemeinsamen Kandidat_in für das Amt des_r Premierminister_in zu verständigen. Die Zerstrittenheit links der Mitte spielt Macron in die Hände.
Neu sind allerdings die Risse im Zentrumsblock. Macrons Autorität ist durch die herben Verluste bei der Wahl angekratzt. Angetreten, um die Rechts-Links Spaltung Frankreichs zu überwinden, treten genau diese Gegensätze innerhalb von Ensemble nun offen zu Tage. Ein Teil möchte eine linke Regierungsbeteiligung durch Zusammenarbeit mit den konservativen und rechten außerhalb des RN verhindern. Andere können sich eine gemäßigt progressive Regierung von Sozialisten, Grünen und Ensemble vorstellen. Aktuell scheint nur die Zersplitterung des Parlaments sicher. Ironischerweise sichert genau diese Zersplitterung bis auf weiteres Macrons Dominanz in der Außen- und Sicherheitspolitik. Denn nur ein_e Premierminister_in mit einer starken Hausmacht im Parlament könnte diese ernsthaft herausfordern. Genau auf diese Kontinuität setzt man aktuell in Berlin. Zwar ist der französische Präsident geschwächt, aber seine Grundprinzipien werden bis auf weiteres die Außen-, Sicherheits- und Europapolitik von Deutschlands wichtigstem Partner bestimmen. Angesichts des Abgrunds einer RN-Regierung ist dies das überraschend positive Signal in einer ungewissen Zeit.
Felix Kösterke ist bis Februar 2024 Redakteur des Fokusportals Zeitenwende bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin. Zuvor war er unter anderem bei Interpeace in Brüssel sowie im Abgeordnetenbüro eines Mitglieds des Verteidigungsausschusses im Deutschen Bundestag tätig. Er hat Politikwissenschaft und Kommunikation in Mainz und Straßburg studiert und befindet sich im letzten Semester seines Masterstudiums der Internationalen Sicherheit an der Sciences Po in Paris.
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