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COVID-19 und Bildung in Asien: Verschärft die Privatisierung die Ungleichheit?

Bildung in Asien wird immer stärker privatisiert und kommerzialisiert. Im Interview mit dem FES-Büro Nepal sprechen Anand Singh und Melane Manalo von der Bildungsinternationalen (BI) über den aktuellen Stand der Privatisierung der Bildung in Asien und die wachsende Ungleichheit im Zugang zu Bildung.

Bild: Blogbild Bildung Schuelerin Asien

Bildung ist ein grundlegendes Menschenrecht. Dennoch wird die Ungleichheit im Zugang zum öffentlichen Bildungswesen immer größer, es fehlen immer noch Finanzmittel in diesem Sektor, und die digitale Kluft wächst – nicht nur aufgrund der COVID-19-Pandemie.

Gemeinsam mit der Bildungsinternationalen (BI) lud das Büro von FES Nepal Teilnehmerinnen und Teilnehmer von drei Mitglieds-Lehrergewerkschaften aus ganz Nepal ein, um über aktuelle Herausforderungen im Zusammenhang mit der Privatisierung der Bildung in Nepal und weltweit zu diskutieren. Mit 32 Millionen Mitgliedern auf der ganzen Welt, 10 Millionen davon Lehrkräfte und pädagogisches Hilfspersonal in der Region Asien-Pazifik, setzt sich die BI für eine hohe Qualität der Lehre, der pädagogischen Instrumente und des Lernumfelds sowie einer angemessenen Finanzierung der Bildung ein. 

FES Nepal: Was ist der aktuelle Stand der Privatisierung der Bildung in Asien? Stellen Sie in diesem Zusammenhang fest, dass die Ungleichheit im Zugang zur Bildung wächst?

 

Anand Singh: Die meisten der Entwicklungsländer in der Region erfüllen ihre globale Verpflichtung, 4 - 6 Prozent ihres BIP dem Bildungssektor zur Verfügung zu stellen. Die öffentlichen Bildungssysteme kämpfen jedoch noch immer mit einer schlechten Infrastruktur, einem Mangel an Lehrkräften und fehlender staatlicher Finanzierung. Das führt zu einer raschen Privatisierung und Kommerzialisierung der Bildung.

 

Studien der BI in den Philippinen, Indien und Nepal weisen auf Regierungsmaßnahmen wie die Schaffung von Ausnahmeregelungen oder Schlupflöchern für private Anbieter hin. Dies zeigt den fehlenden politischen Willen, die Gesetze zum Recht auf Bildung durchzusetzen und ihre Einhaltung zu überwachen, und begünstigt die Kommerzialisierung und Privatisierung der Bildung. Die Berichte zeigen, wie diese politischen Entscheidungen in diesen Ländern zu einem kontinuierlichen Anstieg der Zahl an billigen Privatschulen geführt haben. In Andhra Pradesh, Indien, übergab die Regierung des Bundesstaates den Betrieb von über 5000 staatlichen Schulen an Bridge International Academies, einer gewinnorientierten Privatschulkette, die niedrige Schulgebühren verlangt. Privatschulen können betrieben werden, ohne sich an die einschlägige nationale Gesetzgebung zu halten.

 

In den Philippinen hat das Bildungsministerium eine gemeinsame Absichtserklärung mit APEC Schools unterzeichnet, welches es diesem Bildungsunternehmen erlaubt zu agieren, ohne jegliche gesetzliche Regelung zu Lehrplänen, Schulinfrastruktur, Qualifizierung der Lehrerinnen und Lehrer, Gehältern und Arbeitsbedingungen einzuhalten. Diese Schulen richten sich gezielt an die Armen und konnten das Interesse globaler Unternehmen und ausländischer Investoren wecken, welche unter dem Vorwand erschwingliche, aber hochwertige Bildung anzubieten, in billige Schulen investieren und gewinnorientierte Schulen und Schulketten gründen. Diese Trends machen nicht nur die Bildung zur verkäuflichen Ware, mit der Geschäfte gemacht werden, sondern schränken auch den Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung für Mädchen und Schüler_innen aus armen und marginalisierten Gemeinschaften ein.

 

Deshalb setzen sich die BI und ihre Mitgliedsorganisationen dafür ein, die Privatisierung der Bildung in Asien zu stoppen und die staatlichen Bildungssysteme zu stärken. Zu diesem Zweck startete die Bildungsinternationale gemeinsam mit ihren Mitgliedsorganisationen eine weltweite Kampagne gegen die Privatisierung und Kommerzialisierung der Bildung. Im Zuge der Kampagne haben Bildungsgewerkschaften betont, dass die Untergrabung des öffentlichen Bildungswesens und die Förderung des Bildungs-Business zu Lasten eines höheren Interesses der Gesellschaft gehen.

 

 

FES Nepal: Wie sehen Sie die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Privatisierung des Bildungssektors?

 

Melane Manalo: Die unzureichenden Bemühungen der Regierungen, den Zugang zu hochwertiger Bildung zu sichern, ermöglichen die Ausweitung der Privatisierung im Bildungssektor, wie es auch ein Bericht der BI aus dem letzten Jahr betont.

 

Die Forschung zeigt, dass die globale Bildungsindustrie aus der durch die Pandemie verursachten Bildungskrise Kapital schlägt. Seit den Schulschließungen verzeichneten Anbieter von Bildungstechnologie (edtech) einen enormen Anstieg ihrer Profite. Kommerzielle Unternehmen mischten sich stärker in das öffentliche Bildungswesen ein, indem sie sich neuen, in der Pandemie entstandenen Netzwerken anschlossen – Zusammenschlüssen einer Vielzahl von Beteiligten wie edtech-Unternehmen, großen transnationalen Konzernen, internationalen Organisationen wie UNESCO, OECD und Weltbank, nationalen Regierungen und anderen.

 

Die Wende hin zum Distanzunterricht erlaubte es privaten Akteuren, sich als zentrale Anbieter wesentlicher Bildungsdienstleistungen zu positionieren – nicht nur als Antwort auf die Krise und die Notwendigkeit des Notfall-Distanzunterrichts – sondern langfristig.

 

Die Pandemie hatte auch vielfältige Auswirkungen auf das Lehrpersonal. Innerhalb des Bildungssektors wurde jedoch das pädagogische Personal an Privatschulen am härtesten getroffen, besonders Erzieherinnen und Erzieher in der frühkindlichen Bildung, wo private Anbieter dominieren. Dort erhielten Tausende von Lehrkräften monatelang keinen Lohn und viele verloren ihren Job. Allein in Nepal wurden über 50.000 Lehrerinnen und Lehrer im Privatsektor monatelang nicht bezahlt. Die Pandemie verstärkte außerdem die Unsicherheit der Arbeitssituation von Privatschullehrerinnen und -lehrern und Hilfskräften. Denn viele von ihnen arbeiten nicht nur in Dienstvertragsverhältnissen, sondern genießen auch nicht den gleichen Schutz ihrer Rechte wie Angestellte im öffentlichen Sektor.

 

FES Nepal: Durch die Pandemie war in vielen Teilen der Region für lange Zeiträume Bildung nur mit digitalen Mitteln möglich. Wie geht insbesondere Asien mit dieser tiefgreifenden Veränderung um?

 

Melane Manalo: Durch die Schließung von Schulen und die plötzliche Verlagerung auf Distanzlehre und Distanzlernen aufgrund der COVID-19-Pandemie wurden die Qualität der Bildung für die Schülerinnen und Schüler und die Arbeitsbedingungen für Lehrkräfte und Hilfspersonal schwer beeinträchtigt. Diese Folgen für Schülerinnen und Schüler und das pädagogische Personal legt die Unzulänglichkeiten und die Ungleichheiten in den Bildungssystemen offen, die schon lange vor der derzeitigen Krise existierten.

 

Die Pandemie führt zu einer Vertiefung der digitalen Kluft sowie der Kluft zwischen Stadt und Land und zwischen den Geschlechtern. In den meisten Ländern ist die Infrastruktur des staatlichen Bildungssystems schlecht. Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler sind nicht in der Nutzung digitaler Technologien geschult, und besonders in ländlichen Gegenden haben Schülerinnen und Schüler keinen Zugang zum Internet.

 

Vorläufige Ergebnisse der jüngsten Studie der BI Asien-Pazifik und der ILO über die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf Bildung und Lehre in der Region Asien-Pazifik zeichnen ein düsteres Bild. Die Untersuchung zeigt, wie Schulschließungen und der Wechsel zu Distanzunterricht und Distanzlernen zu einer Verlängerung der Arbeitszeiten und zu mehr Verantwortung für Lehr- und Hilfskräfte führten, wodurch diese einem höheren Gesundheits- und Sicherheitsrisiko ausgesetzt sind. In vielen Ländern wurden außerdem ihre Gehälter und Leistungen verspätet ausbezahlt und reduziert.

 

Wir befürchten, dass die Verschärfung der Ungleichheit im Zugang zu hochwertiger Bildung, die Kürzung  der Finanzmittel im Bildungssektor und die Unzulänglichkeit von Bildungsressourcen in der Pandemie die Fortschritte im Hinblick auf das nachhaltige Entwicklungsziel 4 weiter verzögern und den Anstieg der Zahl privater, gewinnorientierter Akteure im Bildungswesen weiter begünstigen werden.

 

FES Nepal: Was sind die zukünftigen Trends im Bildungssektor in Asien? Welche spezifischen Bereiche sollten Ihrer Meinung nach in der Bildungspolitik am stärksten berücksichtigt werden?

 

Anand Singh: Seit Beginn der Pandemie stehen Lehrkräfte und pädagogisches Hilfspersonal an vorderster Front und versuchen sicherzustellen, dass jede Schülerin und jeder Schüler trotz der zahlreichen Schwierigkeiten wie digitalem Analphabetismus, Zugang zu digitaler Infrastruktur und Ausstattung und fehlender sozialer Interaktion weiter lernen kann. Sie überwanden die Herausforderung des Unbekannten und entwickelten trotz aller persönlichen und beruflichen Rückschläge innovative Lehr- und Lernmethoden.

Die Regierungen und die internationale Gemeinschaft müssen nun dringender als je zuvor garantieren, dass das Wohlergehen von Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern im Zentrum einer jeden Politik zur Erholung des Bildungssektors steht. Die Pandemie hat uns die Chance gegeben, a) die Finanzierung des Bildungswesens zu erhöhen, b) die Lehrkräfte in die Diskussionen einzubinden, um einen widerstandsfähigen Bildungssektor zu gestalten und c) die berufliche Entwicklung der Lehrkräfte zu unterstützen, sichere Arbeitsbedingungen anzubieten und die Beteiligung der Lehrkräfte an Entscheidungen sicherzustellen.

In Zukunft müssen Bildungssysteme sich verpflichten, für eine dauerhafte Erholung und Umgestaltung des Sektors das Hauptaugenmerk auf die Lehrkräfte zu legen und diese in Entscheidungen einzubeziehen, während die Lehrkräfte selbst sich engagieren und befähigt werden sollen, ihre eigenen Bedürfnisse und Forderungen einzubringen und Bildung für alle zu sichern.

 

Zu den Interviewpartner_innen: Anand Singh ist Oberster Regionalkoordinator und Melane Manalo Regionalkoordinatorin für die Bildungsinternationale in der Region Asien-Pazifik.

 



Über diesen Bildungsblog

Friedrichs Bildungsblog ist der bildungspolitische Blog der Friedrich-Ebert-Stiftung. Friedrich Ebert ist nicht nur Namensgeber der Stiftung.

Sein Lebensweg vom Sattler und Sohn eines Schneiders zum ersten demokratisch gewählten Präsidenten Deutschlands steht für Aufstieg durch Bildung.

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Katja Irle, Redaktionelle Betreuung des Blogs, Bildungs- und Wissenschaftsjournalistin 

Lena Bülow, Team Bildungs- und Hochschulpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung

Florian Dähne, Leiter Bildungs- und Hochschulpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung

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