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Die Folgen von Corona für Kinder und Jugendliche: Bericht eines Dialogs zwischen Schüler_innen und Jugendforscher Klaus Hurrelmann.
Von Maria Steiger
Am 15. Dezember 2021 hatte der Pädagogik-Leistungskurs der Stufe 12 des Steinbart-Gymnasiums Duisburg per Videokonferenz Besuch von Klaus Hurrelmann.
Klaus Hurrelmann ist ein Sozialwissenschaftler, der unter anderem das Modell der produktiven Realitätsverarbeitung entwickelt hat. Dieses Modell handelt von den vier Entwicklungsaufgaben “Binden”, “Konsumieren”, “Qualifizieren” und “Partizipieren”, welche im Zusammenhang mit der Identitätsbildung und der Persönlichkeitsentwicklung des Einzelnen sowie der Anpassung an die Gesellschaft stehen.
Bereits der Pädagogik-Leistungskurs im Jahr 2020 konnte erstmals Kontakt zu Klaus Hurrelmann aufnehmen und sich mit ihm über das Thema “Schule von morgen”austauschen. Grundlage war sein Beitrag auf Friedrichs Bildungsblog, dem Bildungsblog der Friedrich-Ebert-Stiftung. Dabei standen sowohl die Funktionen von Schule und der Bildungsbegriff als auch die Entwicklungsaufgaben des Einzelnen im Vordergrund.
Aufgrund der aktuellen Corona-Lage, die uns nun schon seit fast zwei Jahren begleitet, stellten wir in unserem Gespräch mit Herrn Hurrelmann folgende Frage in den Fokus: Inwiefern haben sich die Entwicklungsaufgaben junger Menschen durch Corona verändert?
Wir setzten dementsprechend die Persönlichkeits- und Identitätsentwicklung in Zusammenhang mit den Auswirkungen von Corona auf den (Schul-)Alltag von Kindern und Jugendlichen und überlegten uns mögliche Lösungsansätze, um diese in Zukunft unterstützen zu können.
Um sich selbst in dieses Thema und diese Frage eindenken zu können, bat Klaus Hurrelmann unseren Kurs, sich zunächst vorzustellen.
Anschließend ging er auf die Entwicklungsaufgabe “Binden” ein. Hierbei geht es vor allem darum, sich sowohl körperlich als auch psychisch zu kennen und somit auch einschätzen zu können. Herr Hurrelmann ging auf die Schulschließungen ein, wodurch Kontakte teilweise nur virtuell bestehen konnten. Er machte deutlich, dass es für Jugendliche schwierig war, Beziehungen zu knüpfen und zu entfalten. Außerdem stellte er die Wichtigkeit von körperlicher Nähe heraus, welche ebenfalls nicht mehr möglich war. Des Weiteren konnten die Eltern während der Schulschließung alle Handlungen ihrer Kinder verfolgen, wodurch es zu Schwierigkeiten in der Ablösung von den Eltern kam. Dies kann wiederum zur Verunselbstständigung der Jugendlichen führen. Auf der anderen Seite erklärte Klaus Hurrelmann jedoch auch, dass es besonders in Unsicherheits- und Krisensituationen wichtig ist, Beziehungen zu den Eltern zu pflegen und zu festigen, was durch Corona in den meisten Fällen gefördert wurde.
Im weiteren Verlauf des Gesprächs gingen wir auf die Entwicklungsaufgabe “Qualifizieren” ein. Hier geht es um die Entwicklung der intellektuellen und sozialen Kompetenz. Klaus Hurrelmann sprach die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie an und ging somit erneut auf den Rückgang des Präsenzunterrichts ein. Er erklärte, dass für viele Kinder und Jugendliche die Schule als fester sozialer Teil des Alltags wegfiel. Die damit einhergehenden Folgen teilte er in drei Gruppen ein. Ein Teil der Kinder und Jugendlichen eignete sich Selbstdisziplin, digitale Kompetenz sowie Selbstständigkeit an und lernte, sich den Tag selbst zu strukturieren. Ein anderer Teil war zwar auf Hilfe von anderen angewiesen, konnte dennoch jegliche Herausforderungen meistern. Schließlich gab es auch einen Teil, der keine feste Tagesstruktur mehr hatte und somit “weggerutscht” ist.
Angelehnt an diesen letzten Teil der Kinder und Jugendlichen, sprach Klaus Hurrelmann die Entwicklungsaufgabe “Konsumieren” an, bei der es um die Kenntnis der eigenen Bedürfnisse sowie Stärken und Schwächen geht. Er erklärte, dass es bei vielen Jugendlichen zu nach innen gerichteten Persönlichkeitsstörungen kam. Dies steigerte die Aggressionen und führte dazu, dass einige ihre Flucht in Alkohol, Drogen, Zigaretten oder Medien sahen. Somit stellte Herr Hurrelmann heraus, dass Corona sich ebenfalls auf die Entwicklungsaufgabe “Konsumieren” auswirkt.
Anschließend erklärte Klaus Hurrelmann uns, dass alle Entwicklungsaufgaben miteinander zusammenhängen und auf irgendeine Weise durch Corona beeinträchtigt sind. Zudem ging er darauf ein, dass bestimmte Übergänge im Leben, wie z.B. der Einstieg in ein Studium oder einen neuen Beruf, kritische Ereignisse im Leben darstellen. Durch die Störung der Entwicklungsaufgaben, fielen sowohl innere Ressourcen als auch die äußere Unterstützung weg. Der Jugendliche hat somit schnell das Gefühl, nicht in dieses neue System hineinzufinden, was zu starkem Selbstzweifel führen kann.
Gemeinsam mit Herrn Hurrelmann teilten wir die Einschätzung, dass durch Corona Probleme bezogen auf die Motivation entstanden sind. Das Zusammensein mit Gleichaltrigen wurde sehr stark eingeschränkt, wodurch die extrinsische Motivation, z.B. in Form von Lerngruppen, wegfiel.
Somit stellten wir uns die Frage, inwiefern die Institution Schule die intrinsische Motivation des Einzelnen fördern kann. Klaus Hurrelmann legte uns nahe, dass die Schule es schaffen müsse, dass die Kinder und Jugendlichen von sich aus arbeiten wollen und ihre Handlungen nicht zwingend von ihren Noten abhängen. Des Weiteren müssen Veränderungen direkt wahrgenommen werden, sodass pädagogisch schnell gehandelt werden kann. Hier legte Klaus Hurrelmann nun deutlich den Fokus auf die Digitalisierung und die Notwendigkeit der Medienkompetenz. In seinen Augen müsse aktiv gegen Suchtmechanismen vorgegangen werden, damit Medien dem Einzelnen wirklich nutzen können. Zudem könne durch die Förderung von Medienkompetenz das Mobbing anderer verhindert werden.
Zum Schluss stellte Klaus Hurrelmann die Frage, was man tun kann, um Kinder und Jugendliche zu unterstützen. Wir kamen zu dem Ergebnis, dass es besonders in der Grundschule wichtig ist, die Lehrer-Schüler-Beziehung weiter zu stärken und die Eltern anzusprechen, die dem System Schule kritisch gegenüberstehen. Des Weiteren sollten Dinge, wie Beziehungen untereinander sowie Regeln und Sanktionen in der Schule verstärkt thematisiert werden, damit Kinder und Jugendliche ein Gefühl für eine soziale Gemeinschaft, in der Regeln gelten, entwickeln.
Rückblickend auf das Gespräch mit Klaus Hurrelmann können wir festhalten, dass Corona sich sowohl positiv als auch negativ auf die Entwicklungsaufgaben und somit auch auf die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen auswirkt. Dennoch sind alle vier Entwicklungsaufgaben gleichberechtigt und sollten dementsprechend alle gleichermaßen gefördert werden. Außerdem haben wir gelernt, wie wichtig äußere Einflüsse für die intrinsische Motivation des Einzelnen sind. Uns ist ebenfalls bewusst geworden, dass es keine Patentlösung für die Unterstützung von Kindern und Jugendlichen gibt. Es kommt jedoch vor allem auf den richtigen Umgang mit sozialen Medien an, weshalb eine umfangreiche Förderung der Medienkompetenz in Zukunft von großer Bedeutung ist.
In einer späteren Besprechung in unserem Leistungskurs stellte sich heraus, dass ein direktes Gespräch mit Klaus Hurrelmann eine besondere und lehrreiche Erfahrung für uns war. Der Inhalt kam plötzlich nicht mehr von Arbeitsblättern, sondern wurde uns nochmal auf eine ganz andere Art und Weise vermittelt. Ich persönlich konnte dadurch einen sehr viel größeren Bezug zu der Entwicklung anderer aber auch zu meiner eigenen Entwicklung aufbauen. Zudem ermutigte Herr Hurrelmann uns, von persönlichen Erfahrungen zu berichten. In der Zeit, in der wir heute leben, ist dies immer noch nicht selbstverständlich, weshalb es in meinen Augen ein sehr emotionaler Moment war. In dem Gespräch mit Klaus Hurrelmann, meinen Lehrern und meinen Mitschülern habe ich gelernt, dass ich mit vielen Sorgen und Ängsten nicht alleine gelassen werde.
Trotz allem ist das vermutlich Wichtigste, das Klaus Hurrelmann uns mit auf unseren Weg gegeben hat Folgendes: “Entwicklungsaufgaben hat man sein Leben lang.”
Maria Steiger ist Schülerin des Steinbart-Gymnasiums in Duisburg.
Über diesen Bildungsblog
Friedrichs Bildungsblog ist der bildungspolitische Blog der Friedrich-Ebert-Stiftung. Friedrich Ebert ist nicht nur Namensgeber der Stiftung.
Sein Lebensweg vom Sattler und Sohn eines Schneiders zum ersten demokratisch gewählten Präsidenten Deutschlands steht für Aufstieg durch Bildung.
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Katja Irle, Redaktionelle Betreuung des Blogs, Bildungs- und Wissenschaftsjournalistin
Lena Bülow, Team Bildungs- und Hochschulpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung
Florian Dähne, Leiter Bildungs- und Hochschulpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung
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