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Friedrichs Bildungsblog

Fürs Alter bilden – im Alter bilden – das Alter bildet Altersbildung als Chance: Eine Skizze

Große Bereiche unserer Gesellschaft betrachten „Bildung“ allein aus der Sicht von Schule, Hochschule und der beruflichen Aus- und Weiterbildung. Dabei sollte das Ziel klar sein: Lernen und Bilden ein Leben lang für alle Menschen.

Von Ernst Dieter Rossmann, Ulrike Bahr und Gerhard Ballewski
 

Große Bereiche unserer Gesellschaft betrachten „Bildung“ allein aus der Sicht von  Schule, Hochschule und der beruflichen Aus- und Weiterbildung. Allgemeine Bildung aller Arten als Voraussetzung für erfolgreiches, soziales Zusammenleben und als zentraler Teil der gesamten Bildungsbiographie von der Kindheit bis ins Alter wird dagegen sehr oft gedanklich nicht einbezogen. Dabei sollte das Ziel klar sein: Lernen und Bilden ein Leben lang für alle Menschen.

Zur allgemeinen Ausgangslage

Der psychologische Aspekt

  • Zum Lernen ist es nie zu spät. Und zur Bildung auch nicht. Die Intelligenz und geistige Leistungsfähigkeit verschwinden nicht, sondern verändern sich. Während die Grundintelligenz sich nicht weiter ausbildet, nehmen Erfahrungen, Erinnerung und geistige Techniken zu.
     
  • Es gibt kein homogenes Alter. Die Altersphase nach der Berufstätigkeit wird in Zukunft für eine zunehmende Zahl von Menschen auf durchschnittlich 25 bis 30 Jahre anwachsen. Damit gibt es Abschnitte wie den Umstieg aus der beruflichen in die nachberufliche Lebenszeit, die Zeit des aktiven fitten Alters ab 60+, das Seniorenalter von 75 bis 85, in der es vermehrt gesundheitliche, kognitive und mentale Einschränkungen bei den Menschen geben kann sowie die besonderen Bedingungen der Hochbetagung nach 85 Jahren.
     

Der soziale Aspekt

  • Die höheren Altersabschnitte weisen einerseits starke Seiten der Homogenisierung in  der  Lebenswelt auf, u.a. durch den nachberuflichen Zustand und die damit verbundene tiefgreifenden Veränderungen in den Lebenslagen gegenüber der Phase von Berufstätigkeit und unmittelbarer Familienverantwortung. Andererseits sind die höheren Lebensabschnitte mit einer starken Differenzierung verbunden, zum Beispiel in Bezug auf die materielle Ausstattung, die sozialen Lebensverhältnisse und Kontakte, die Art und Intensität der Aktivitäten etc.
     
  • Die Beteiligung der Älteren an Lern- und Bildungskontexten ist in sehr starker Weise vorgezeichnet durch die Lern- und Bildungserfahrungen, die von den älteren Menschen vor der Altersphase ihres Lebens gemacht worden sind. Das Weiterbildungsbewusstsein, die Weiterbildungsbereitschaft, die Weiterbildungskompetenz und die Weiterbildungsfreude werden entscheidend vorgeprägt in den schulischen Erfahrungen, aber auch in den Weiterbildungserfahrungen während der beruflichen Lebensphase. Bildungsferne verlängert sich in der Regel bis in das Alter. Die Gruppen, die in der beruflichen Lebensphase in der Weiterbildung benachteiligt werden, tragen dieses auch in die nachberufliche Lebensphase weiter.
     
  • Menschen mit einem körperlichen oder geistigen Handicap, einer geringeren formalen Qualifikation, Menschen aus Migration oder Menschen in unteren Einkommensschichten und in Armut sind im Zugang zum Lernen und zur Bildung im Alter besonders benachteiligt. Sie finden auch vielfach schwerer Zugang zu neuen Lernangeboten und neuen Lernformen im Kontext der Digitalisierung, weil sie dabei auf technische und finanzielle Barrieren stoßen und die Chancen dieser neuen Lerntechnologien nicht realisieren können. 
     
  • Akademisch gebildete Menschen haben in der Regel ein höheres Interesse an informeller, non–formaler bis hin zu formaler Bildung im Alter. Das dokumentiert sich in entsprechenden Gasthörerschaften, in Einschreibungen bis hin zu Alterspromotionen genauso wie in allen Formen von Citizen Science bzw. Bürgerwissenschaften. Das Seniorenstudium hat kein Äquivalent in den entsprechenden Qualifikationsstufen nach dem Europäischen Qualifikationsrahmen EQR bzw. seiner deutschen Umsetzung DQR im beruflichen Qualifizierungsbereich.
     
  • Es gibt Unterschiede in der Beteiligung an beruflicher und allgemeiner Weiterbildung nach dem Geschlecht. Die berufliche Weiterbildung ist eher männlich, die allgemeine Weiterbildung ist eher weiblich.
     
  • In den beruflichen Jahrzehnten ab 45 Jahre bis zum Berufsaustritt wird bisher weniger Weiterbildung angeboten und wahrgenommen als in den Jahren davor, weil die Weiterbildungsrendite von den Arbeitgebern und den Beschäftigten als abnehmend bewertet wird. Arbeitgeber sichern zu wenig den Erfahrungsschatz der ausscheidenden Mitarbeiter beim Übergang der Aufgaben an jüngere Mitarbeiter und vergeben sich selbst Chancen für nahtlose Arbeitsübergaben. Auch die Vorbereitung der ausscheidenden Mitarbeiter auf künftige gesellschaftlich relevante Tätigkeiten wird nicht unterstützt. Betriebe und Verwaltungen nehmen häufig diese gesellschaftlich relevante Unterstützung nicht als ihre Aufgabe an.
     
  • Die Weiterbildung im Alter bekommt eine wachsende Bedeutung mit Blick auf die technologische, kulturelle und soziale Teilhabe, die entweder positiv entwickelt und wahrgenommen wird oder die mit Abwehr, Desintegration oder Vereinsamung einhergehen kann. Die Auseinandersetzung und Aneignung der Digitalisierung und neuen Medien,  die Auseinandersetzung mit Fragen wie Migration, Klimawandel und Gesundheit sowie das politische Interesse und die politische Handlungsfähigkeit sind hier die Stichworte. Wenn die Gesellschaft diese zahlenmäßig wachsende Altersgruppe nicht rechtzeitig und aktiv in Entwicklungsplanungen einbezieht, schadet die aktive Mehrheit sich u.U. selbst durch das Fehlen von wertvollem, aktuellem Sachverstand der älteren Mitbürger_innen.
     
  • Ganz wichtig: Weiterbildung in Alter ist grundsätzlich freiwillig. Das macht ihren besonderen Charakter aus. Die Teilnahme soll aber altersgemäß und finanziell gerecht stattfinden können. Es darf keinen Ausschluss geben, etwa durch zu hohe finanzielle,  organisatorische oder mediale Hürden für benachteiligte Gruppen. Barrierefreiheit für Lernen und Bildung im Alter ist ein elementares Ziel.
     

Der bildungspolitische Aspekt

  • Die berufliche Fort- und Weiterbildung hat eindeutige Priorität in der politischen Diskussion, weil sie sich mit Wertschöpfung, Arbeitsqualifikation und Tauschwert, aber auch mit dem Wandel in der Arbeitswelt und mit dem Fachkräftemangel verbindet. Sie ist durch starke Bundeskompetenz und entsprechende Gesetze und Leistungstitel abgesichert. Die allgemeine, sprachliche, kulturelle, gesundheitliche und politische Weiterbildung ist schon nach der Verfassung stärker eine Aufgabe der Länder und Kommunen. Ihre Strukturen sind sehr vielfältig, z.B. mit Festanstellung oder freiberuflich, projektorientiert oder als dauerhaftes Angebot, und gemischt in der Finanzierung.
     
  • Die Bedeutung von Alterslernen und Altersbildung ist im systematischen Sinn noch nicht in der Politik, nicht bei den Sozialpartnern, den Sozialträgern, den Medien und in der Gesellschaft insgesamt angekommen. Lernen und Bildung im Alter sind  als „Privatsache“ individualisiert. Sie werden noch viel zu wenig als politische Gestaltungsaufgabe angesehen. Dies ist umso kritischer, als die Geschwindigkeit des Entstehens neuen Wissens ständig zunimmt, was von älteren Menschen – zumal nach dem Berufsleben – oft  nicht rechtzeitig erkannt wird. Das gilt etwa für technisch-digitale Entwicklungen bei Applikationen und Geräten, für politisch-rechtliche Veränderungen sowie für Alltagsregelungen und Gesundheitsverhalten. Auch neue Standards, etwa in der Kommunikation, bei der Veränderungen der Sprachenvielfalt oder für neue Lebens- und Umweltrisiken usw. sind nicht für alle Menschen zeitgleich erkennbar.
     

Zu möglichen Handlungsfeldern
 

  • Der Zusammenhang von Weiterbildung im Beruf und der Weiterbildungsbereitschaft und Weiterbildungsfähigkeit nach der Berufsphase ist herauszuarbeiten. Lernen und Bildung im Alter müssen aktiv schon in der Berufsphase vorbereitet und gefördert werden, um lebenslanges Lernen zu ermöglichen. Sie sind in den Sozial- und Bildungsgesetzen zu integrieren und abzusichern.
     
  • Lernen und Bildung im Alter müssen vom Bund, den Ländern und den Kommunen als Gestaltungsauftrag angenommen und gefördert werden. Lernen und Bildung im Alter muss im System der Gesundheitsprävention, bei der Förderung der Bildungsinfrastruktur und bei der Unterstützung der einzelnen Personen Beachtung finden. Das Bildungsguthaben muss als Anspruch auch auf das höhere Alter (65 +) ausgedehnt werden. Es muss auf klassische Lern- und Bildungsformate, aber auch auf den Erhalt von elementare Basisfähigkeiten wie Gedächtnistraining, Gymnastik etc. ausgelegt sein.
     
  • Die Förderung der allgemeinen Weiterbildung in allen Bereichen muss eine höhere Priorität bekommen – als Möglichkeit der Teilhabe, in der praktischen Nutzung der Digitalisierung und im Aufbau von Medienkompetenz für alle Menschen, gerade auch im Alter. Wir brauchen ein Recht auf digitale Bildung und Weiterbildung für alle Generationen. Der Charakter der Freiwilligkeit, der persönlichen Lebensbereicherung, der Zufriedenheit und der Freude ist unbedingt zu bewahren und zu stärken.
     
  • Es braucht Instrumente und Konzepte der niedrigschwelligen Lernmotivation sowie Bildungszugänge im Alter, z.B. über Lern-Apps, über soziale und klassische Medien, über Lernclubs, Mehrgenerationenhäuser, Volkshochschulen und Stadtteilzentren. Das Programm Soziale Stadt ist um die Dimension von Lernen und Bildung im Alter zu erweitern, und zwar räumlich sehr wohnortnah. Die aufsuchende Bildungsarbeit ist zu entwickeln. Bildungsberatung und Bildungsbegleitung vor Ort sind als wichtige Elemente gegen Einsamkeit im Alter auszubauen.
     
  • Die Teilhabemöglichkeiten für Menschen mit einem körperlichen oder geistigen Handicap an Lernen und Bildung sind grundsätzlich zu verbessern. Das gilt insbesondere auch für ältere Menschen, für die modellhaft förderliche Bedingungen in  ihrer alltäglichen Lebens-  und Lernwelt zu erkunden und geeignete Lernassistenzen zu entwickeln sind.
     
  • Die Ausbildung von Erwachsenbildner_innen und Bildungsberater_innen mit einer umfassenden Kompetenz im methodisch-motivationalen, aber auch bei gesundheitlichen, gesellschaftlich-rechtlichen und sozialen Kernanliegen speziell im Alter ist anzugehen. Entsprechende Einsatzmöglichkeiten sind zu fördern.
     
  • Organisationen, in denen sich viele ältere Menschen organisieren, wie z.B. Parteien, Gewerkschaften oder Sozialverbände etc., sind zu interessieren, zu aktivieren, einzubinden und zu unterstützen in ein Gesamtkonzept „Lernen und Bildung 65 Plus“.
     
  • Die Bildungs- und Sozialforschung sind auf den Bereich des Lernens und der Bildung im Alter deutlich auszudehnen und mit besonderen Förderprogrammen zu stimulieren. Dazu gehört insbesondere auch die Dimension der Motivierung und der informellen und non-formalen Erwachsenen- und Alterspädagogik. Die Bedeutung von Lernen und Bildung im sozial-räumlichen Umfeld von Alter ist in interdisziplinären Forschungsvorhaben aufzuarbeiten. Neue Handlungskonzepte wie die aufsuchende Bildungsarbeit sind  wissenschaftlich zu begleiten.
     
  • Der Nationale Bildungsbericht muss sich der Altersbildung als Schwerpunktthema genauso widmen wie die Ständige Expertenkommission der KMK. Die diversen Bündnisse für Qualifizierung und Weiterbildung müssen sich für diese Fragen öffnen, weil Lernen und Bildung ganzheitlich zu verstehen sind und sich kontinuierlich entwickeln – nämlich ein Leben lang.
     

Dr. Ernst Dieter Rossmann ist Mitglied des Deutschen Bundestages und Vorsitzender des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung.

Ulrike Bahr ist Mitglied des Deutschen Bundestages und Mitglied des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung.

Gerhard Ballewski ist ehemaliger Regierungsdirektor und engagiert bei der Arbeitsgemeinschaft für Bildung der Berliner SPD.



Über diesen Bildungsblog

Friedrichs Bildungsblog ist der bildungspolitische Blog der Friedrich-Ebert-Stiftung. Friedrich Ebert ist nicht nur Namensgeber der Stiftung.

Sein Lebensweg vom Sattler und Sohn eines Schneiders zum ersten demokratisch gewählten Präsidenten Deutschlands steht für Aufstieg durch Bildung.

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Katja Irle, Redaktionelle Betreuung des Blogs, Bildungs- und Wissenschaftsjournalistin 

Lena Bülow, Team Bildungs- und Hochschulpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung

Florian Dähne, Leiter Bildungs- und Hochschulpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung

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